Debatte beim FC Barcelona:Für immer Messi

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Immer läuft alles über ihn: Lionel Messi beim FC Barcelona.

(Foto: AFP)

253 Tore in der spanischen Liga: Lionel Messi löscht eine uralte Bestmarke - trotzdem sorgen sich die Fans um die Zukunft des Argentiniers. Viele befürchten einen Treuebruch.

Von Oliver Meiler, Barcelona

Sein Torjubel hat sich kaum gewandelt in all den Jahren, aus Choreographien macht er sich nichts. Es mischt sich nie protzige Selbstgefälligkeit in sein kindliches Entzücken. Auch kein Trotz. Lionel Messi vom FC Barcelona jubelt über seine Tore, als fielen sie vom Himmel. Und sie fallen noch immer zahlreich und schön.

Nach dem Hattrick gegen den FC Sevilla am Samstag sind es nun 253 Tore allein in Spielen der höchsten spanischen Liga, der Primera División. Keiner traf dort damit öfter als er, auch nicht in fernen Schwarz-Weiß-Zeiten, als das Toreschiessen noch einfacher gewesen sein soll - als Verteidiger noch keine Käfige und Mauern errichteten, keine Busse vor das Tor parkten. Der Rekord von Telmo Zarra, dem in 277 Spielen mit dem baskischen Verein Athletic Bilbao 251 Tore gelungen waren, hielt sechs Jahrzehnte lang. Seit 1955.

Der Rekord überlebte auch den Ansturm von Granden wie Alfredo Di Stéfano, Hugo Sánchez, Raúl. Messi archivierte ihn nun mit einer Leistung, die selbst Marca, der Sportzeitung aus Madrid, eine runde Note "10" wert war. Mehr geht nicht, eigentlich. Doch Messi ist ja erst 27 Jahre alt, ein Mann für ewige Rekorde in bunten Farben.

Nach dem zweiten seiner drei Tore warfen ihn die Kollegen schon mal zum Triumph in die warme Spätherbstluft. Mitten im Spiel, zu Chören und Ovationen der beglückten Fans im Camp Nou. Nach Abpfiff blieben die Spieler alle noch einige Minuten auf dem Rasen und schauten hoch zur veralteten Anzeigetafel, wo als Hommage ein Zusammenschnitt einiger Tore Messis lief, begleitet von Elogen von Spielern, Trainern, Vorstandsmitgliedern.

Und wieder war es, als sei ihm das alles unangenehm, einen Tick zu überdreht, zu stark auf ihn fokussiert. Messi greift sich in solchen Momenten ständig ins Gesicht, zieht den Kopf ein, als wollte er sich verstecken. Die Überhöhung seiner Person ist ihm peinlich. "Sag nicht Tor, sag Messi", titelte El País, ebenfalls aus Madrid, mit dem Versuch, ein neues Synonym zu schaffen.

"Man weiß ja nie, was kommt"

Es scheint den spanischen Zeitungen nun wieder ein guter Moment zu sein für die Frage, wer denn nun der beste Fußballer aller Zeiten sei, auch wenn sich die verschiedenen Epochen natürlich nur leidlich vergleichen lassen. Man erinnert auch daran, wie Messi einst als Flügelstürmer begann, der es in seinen ersten Saisons mit Barça auf eine passable Quote von 0,5 Toren pro Spiel brachte - bevor ihn Pep Guardiola 2009 in die Rolle des "falschen Neuners" presste und als hängende Spitze ins Zentrum rückte. Die Torquote verdoppelte sich über Nacht. Alle dienten dem Argentinier, die ganze Mannschaft kreiste um Messi, den Vollender mit Links.

In jüngster Vergangenheit sank die Quote wieder ein bisschen. Es gibt nun gar Phasen, da trifft Messi mal drei Spiele in Serie kein einziges Mal. Und das sollte nicht verwundern. Trainer Luis Enrique hat Messis Position um einige Meter nach hinten versetzt, auf eine offensive "10", Gestalter mit gelegentlicher Tiefenwirkung. Messi spielt eine "9,5". Er bedient nun mehr, als dass er bedient wird, schickt mal Neymar und mal Luis Suárez, öffnet das Spiel mit weiten Pässen, und steht dann doch zuweilen plötzlich wieder im Herzen des Sturms.

So richtig rund läuft das alles noch nicht. Allzu oft muss Messi ein Spiel mit seiner Klasse allein "lösen", wie die Spanier sagen, die Blockade im Solo brechen - wie aus dem Nichts: mit einem Freistoß, einer Intuition. Der angestrebte Systemwechsel aber harzt. Real Madrid zeigt gerade den besseren, begeisternderen, feiner orchestrierten Fußball als Barcelona. Die Kritik an Luis Enrique ist daher auch laut. Man wäre nicht überrascht, wenn auch in diesem Jahr kein großer Titel dazukäme.

Und so stellt sich für Messi die Frage, ob bei aller Liebe zu Barça, der Wiege und Bühne seines Erfolgs, nicht doch mal noch ein Wechsel gescheit wäre. So sagte er das zwar nicht in seinem Interview vor einer Woche mit Olé, einem argentinischen Blatt. Doch in Barcelona wertete man sein "Man weiß ja nie, was kommt" als Zeichen anfliegender Traurigkeit und als drohenden Treuebruch. Messi hat ja auch Probleme mit dem Finanzamt, Mühen im Duo mit Neymar, Wirren mit einigen Figuren der erratisch wirkenden Vereinsleitung. Und wenn nun ein großer europäischer Klub mit sehr viel arabischem oder russischem Geld ein Angebot machen würde, ja, was wäre dann? Einige hundert Millionen Euro bräuchte es wohl schon dafür, und 20 Millionen netto Gehalt pro Saison.

Die Sportzeitung Mundo Deportivo aus Barcelona lancierte schnell eine Kampagne über Twitter, mit der der "Floh" bei Laune gehalten werden soll, möglichst für immer: #siempremessi, heisst sie, immermessi. Immer er, immer entscheidend, auch aus dem Nichts.

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