Flüchtlinge in München im Hungerstreik:"Wir bleiben hier"

Dieter Reiter kommt zu den Hungerstreikenden am Sendlinger Tor Platz und spricht mir ihnen. München

Es ist ein höfliches, respektvolles Gespräch zwischen Dieter Reiter und den Hungerstreikenden, einig werden sie sich aber nicht.

(Foto: Florian Peljak)
  • Die Flüchtlinge, die in der Münchner Innenstadt in einen Hungerstreik getreten sind, haben ein Angebot von Oberbürgermeister Dieter Reiter abgelehnt.
  • Die 30 Männer und Frauen protestieren gegen die Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften.
  • Reiter will sich auf Landes- und Bundesebene für die Flüchtlinge einsetzen.

Von Andreas Glas

Am Ende ziehen sie sich ins Zelt zurück. Sie beraten, ob sie sich auf Dieter Reiters Angebot einlassen. Im Deckenmeer bildet sich ein Kreis aus etwa 30 Menschen, in der Mitte kniet Adeel A. und zerlegt das Angebot des Oberbürgermeisters in drei Teile. Dazu spreizt er zuerst den Daumen aus seiner geballten Faust, dann den Zeigefinger, dann den Mittelfinger. Erstens, zweitens, drittens. Die Beratung dauert nur ein paar Minuten, dann tritt Adeel A. vors Zelt und sagt: "Wir bleiben hier."

Eine halbe Stunde vorher, Tag drei im Hungerstreik am Sendlinger-Tor-Platz. Dieter Reiter kommt, er holt seine rechte Hand aus der Jackentasche und streckt sie Adeel A. entgegen, dem Sprecher der Hungerstreikenden. Eine Geste an die Flüchtlinge soll es sein, deshalb steht der SPD-Politiker am Montagnachmittag vor dem offenen Zelt mit der grünen Plane, wo seit Samstag etwa 30 Flüchtlinge ausharren. Sie fordern ein Bleiberecht und wollen nicht länger in Gemeinschaftsunterkünften leben. "Um ehrlich zu sein, ich kann nichts versprechen, wofür ich nicht verantwortlich bin", sagt Reiter, "ich kann nur versprechen, mein Bestes zu tun, um Ihre Situation zu verbessern."

"Ich bin nur der Bürgermeister"

Sein Bestes tun - das hat Reiter schon einmal versprochen. Vor sechs Wochen, als er die Flüchtlinge in der völlig überfüllten Bayernkaserne besuchte. Damals hielt er Wort, schloss die Kaserne und nahm das Thema Flüchtlinge in München selbst in die Hand. Doch diesmal bleiben seine Hände tief vergraben im Anorak, fast die ganze Zeit über, in der er mit den Hungerstreikenden spricht. Über das Bleiberecht entscheidet in erster Linie das Bundesamt für Migration, für die Unterbringung ist der Freistaat zuständig. "Ich bin nur der Bürgermeister, ich kann dem Minister nicht sagen, was er zu tun hat", sagt Reiter.

Eine schnelle Lösung habe er nicht. Reiter sagt aber auch: "Ein Hungerstreik ist sicher nicht der richtige Weg." Deshalb hat er zum Sendlinger-Tor-Platz einen Vorschlag mitgebracht, ein Drei-Punkte-Angebot. Wenn die Flüchtlinge erstens ihren Hungerstreik beenden, werde er zweitens für jeden von ihnen eine zwischenzeitliche Unterkunft in der Bayernkaserne besorgen; und drittens werde er die Protestierenden "zu Gesprächen mit der bayerischen Staatsregierung und eventuell Vertretern der Bundesregierung einladen, wo sie zusammen mit den Flüchtlingsverbänden ihre Forderungen formulieren können".

Höfliches, respektvolles Gespräch

Es ist ein höfliches, respektvolles Gespräch zwischen dem OB und dem Sprecher der Flüchtlinge, der sich Reiters Drei-Punkte-Angebot aufmerksam anhört, nach der Beratung im Zelt aber ablehnt: "Wenn wir jetzt in die Lager zurückgehen, sind wir in der gleichen Situation wie vorher. Wir können nicht einfach dort warten und darauf vertrauen, dass sich von alleine etwas ändert. Wir haben keine Wahl."

Flüchtlinge in München im Hungerstreik

Seit drei Tagen harren die streikenden Flüchtlinge am Sendlinger-Tor-Platz aus.

(Foto: dpa)

Als Reiter den Platz verlässt, versichert er, dass die Entscheidung der Flüchtlinge "meine persönliche Vorgehensweise in keiner Weise beeinflussen" werde. Egal, ob der Hungerstreik weitergehe oder nicht, werde er so schnell wie möglich mit den Forderungen der Flüchtlinge an Landes- und Bundesregierung herantreten, um zu beraten, "was möglich ist, um die Situation zu verbessern". Bayerns Sozialministerin Emilia Müller (CSU) kritisierte unterdessen die Aktion der Asylbewerber. Die Meinungs- und Versammlungsfreiheit gehöre zwar zu den Grundpfeilern der Demokratie, "zu dieser Demokratie gehört es aber auch, dass der Staat und die Gesellschaft nicht erpressbar sind". Derweil richten sich die Hungerstreikenden auf einen längeren Aufenthalt am Sendlinger-Tor-Platz ein, viele Münchner helfen kräftig dabei. Immer wieder bringen Menschen Wasser und Decken vorbei, Wärmflaschen und Thermoskannen, die mit heißem Tee gefüllt sind. Auch die Polizei wird erst einmal abwarten, versichert Kreisverwaltungsreferent Wilfried Blume-Beyerle, der für die Sicherheitsstrategie der Stadt zuständig ist. Zwar hatte zuvor ein Krisenstab der Stadt getagt, doch sei dieser ergebnislos verlaufen: "Es gab ja nichts zu entscheiden, weil die Menschen einen Anspruch auf Versammlung haben", sagt Blume-Beyerle. Außerdem habe er für die Flüchtlinge "ein gewisses Verständnis angesichts der Situation, in der sie sich befinden".

Einschreiten werde man frühestens am kommenden Montag, solange nämlich gilt die Genehmigung für die Versammlung am Sendlinger-Tor-Platz. "Außer natürlich, wenn der Hungerstreik trocken wird", sagt Blume-Beyerle, wenn die Flüchtlinge also auch aufhören sollten zu trinken. "Dann besteht ja nach fünf, sechs Tagen Lebensgefahr, dann müssen wir einschreiten und die Versammlung auflösen." Gut möglich, dass dieser Fall bald eintritt, Adeel A. jedenfalls sagt: "Wenn kein Signal aus der Politik kommt, könnte es bald ein trockener Hungerstreik werden."

Promis werben

Schauspielerinnen wie Brigitte Hobmeier, Kabarettisten wie Ottfried Fischer, Musiker wie Konstantin Wecker oder vom Orchester der Staatsoper: Sie alle wollen mit einem "Lebenden Adventskalender" jungen Flüchtlingen in München helfen. Vom 1. Dezember bis Heiligabend werden jeden Abend in der Heilig-Geist-Kirche am Viktualienmarkt Künstler und Prominente auftreten, wie das Erzbischöfliche Ordinariat mitteilte. Sie tun dies unentgeltlich und bei freiem Eintritt - die Zuschauer sind aber aufgerufen zu spenden. Beginn ist jeweils um 19 Uhr. Parallel dazu ist in der Kirche eine Fotoausstellung der Caritas zu sehen: "Was ist Heimat?" SZ

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