Schauspieler Andy Serkis:"Rollenbesetzung nach Typen gehört der Vergangenheit an"

Andy Serkis

Andy Serkis: "Das ist nichts anderes als Schauspielerei."

(Foto: AP)

Er war King Kong, Gollum und Caesar in "Planet der Affen": Andy Serkis verkörpert Computerfiguren. Ein Gespräch über Vorbehalte gegenüber der Technik und sein neues Projekt mit Christian Bale.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Andy Serkis sitzt in einem Hotel in Los Angeles. An der Wand hängt ein Foto von ihm in einer Art Taucheranzug, vor seinem Gesicht ist eine Kamera installiert. Das war seine Arbeitskleidung beim Film "Planet der Affen - Revolution", der am 2. Dezember auf DVD erscheint. Serkis verkörpert darin den Affen Caesar - mit Hilfe von "Performance Capture". Diese Technologie ließ Serkis nicht nur zu einem Affen werden, sondern auch zu King Kong und Gollum in der "Herr der Ringe"-Reihe.

Süddeutsche.de: Mister Serkis, Sie sagten vor ein paar Monaten, dass Sie jedem, der Performance-Capture-Darsteller nicht als Schauspieler wahrnimmt, einen Tritt verpassen wollen. Wie viele mussten Sie seitdem verteilen?

Andy Serkis: Habe ich das wirklich gesagt (lacht)? Im Ernst: Natürlich umgibt "Performance Capture" noch immer etwas Geheimnisvolles. Lange wurde diese Technologie nicht ernst genommen. Aber wir erleben gerade eine Veränderung, die Leute verstehen jetzt, worum es geht: Die Darsteller am Set erarbeiten diese Figuren - und nicht der Verantwortliche für Spezialeffekte. Wenn sie zusammen mit dem Regisseur und anderen Schauspielern arbeiten, erkennen die Menschen auf einmal: Das ist nichts anderes als Schauspielerei.

Performance Capture

Mit "Performance Capture" werden Mimik und Bewegung der Schauspieler mithilfe aufgeklebter Sensoren auf die digital erzeugte Figur übertragen. Das "Motion Capture"-Verfahren hingegen, das bei "Der Herr der Ringe" eingesetzt wurde, erfasst lediglich die Bewegungen - Gollums Mimik ist ausschließlich computeranimiert.

Wären Sie enttäuscht, falls Sie für Ihre Rolle als Caesar in "Planet der Affen - Revolution" keine Oscar-Nominierung bekommen?

Es geht nicht um mich. Performance-Capture-Darbietungen sollten wie alle anderen schauspielerischen Leistungen beurteilt werden. Wenn es die Zuschauer berührt hat und eines Oscars oder eines Screen Actors Guild Awards würdig ist, dann sollte es keinen Unterschied machen, wie Schauspieler auf der Leinwand erscheinen.

Es ermöglicht Schauspielern, neue Rollen zu versuchen, die ihnen womöglich bislang verwehrt blieben ...

Absolut! Man kann jede Rolle annehmen und jede Kreatur verkörpern - ob Mensch, Tier oder Roboter. Alles. Die Rollenbesetzung nach Typen gehört der Vergangenheit an.

Wirklich? Würden Sie schon so weit gehen?

Der Beweis dafür ist Karin Konoval, die in "Planet der Affen" einen männlichen Orang-Utan spielt. Normalerweise würde niemand auf die Idee kommen, eine Schauspielerin für diese männliche Rolle in Erwägung zu ziehen. Aber sie hatte die Fähigkeit, diese Figur glaubhaft zu verkörpern.

Ist das Verkörpern von Affen und Gestalten wie Gollum einfacher als menschliche Figuren - oder lässt es sich problemlos darauf übertragen?

Einen Menschen zu kreieren ist immer noch die kniffligste Aufgabe, weil unsere Augen derart geschliffen und kultiviert sind. Auch wenn man ein digitales Abbild eines Menschen erschafft, das zu 99 Prozent stimmt, werden unsere Augen immer noch bemerken, dass es nicht echt ist. Bei abstrakteren Dingen wie etwa einem Affen ist das Gehirn gnädiger, wenn es nicht zu 100 Prozent real ist.

Sie könnten aber einen Menschen verkörpern, der völlig anders aussieht als Sie?

Ja.

Aber würde der Zuschauer dann noch wissen, dass das der Schauspieler Andy Serkis ist?

Es würde mit Sicherheit durch die Persönlichkeit oder die Art der Darbietung Hinweise geben, um wen es sich handelt. Gleichermaßen achtet man bei der Erstellung einer Figur darauf, dass gewisse Details der Physiognomie, wie die Augenform, ähnlich sind oder man synchronisiert Gesichtsbewegungen. Nehmen Sie etwa den Typen, den Steve Carrell in "Foxcatcher" spielt - man erkennt Carell aufgrund des Makeups kaum. Über Performance Capture könnte ich aussehen wie Steve Carell, der aussieht wie dieser Typ.

Aber es wäre dann Andy Serkis, der die Rolle spielt ...

Durch und durch.

Als würde man den Computer neu starten

Zuletzt schien gerade bei Kinofilmen die Technik im Vordergrund zu stehen: Wer sorgt für die gewaltigere Explosion, bei wem kracht es lauter? Performance Capture wirkt, bei aller Technologie, wie ein Schritt zurück ...

Genau darum geht es - und "Planet der Affen - Revolution" ist ein prägendes Beispiel dafür: Er versucht nicht, spektakulär zu sein, wo es nicht notwendig ist. Der Film feiert nicht die Kunst der Spezialeffekte, sondern die Kunst der unsichtbaren Optik.

Nervt es Sie, dass Sie wie ein Kreuzritter die Menschen von dieser Technologie überzeugen müssen?

Ich habe eine Passion für dieses Handwerk entwickelt - und ich will, dass auch andere Schauspieler das erleben. Ich führe gerade Regie beim Film "The Jungle Book" mit einer ganzen Reihe grandioser Schauspieler: Cate Blanchet, Benedict Cumberbatch und Christian Bale. Wenn Sie die fragen, ob sich die Arbeit mit Performance Capture von normaler Schauspielerei unterscheidet, dann werden die sagen: Natürlich nicht!

Mussten Sie Christian Bale überreden?

Nein. Er hat mitgemacht, weil er eine neue Herausforderung gesucht hat und etwas machen wollte, durch das er neue Fertigkeiten lernt. Als wir eine Leseprobe hatten, sagten viele der Schauspieler: "Wow, wie komme ich an diese Figur nur heran?" Wie oft in ihrem Leben würden sie das zugeben? Es ist, als würde man den Computer neu starten - und es führt zu hochinteressanten Darbietungen.

Was mussten Sie Schauspielern wie Blanchet oder Cumberbatch in Bezug auf die Technik beibringen?

Gar nicht mal so viel. Ich wollte, dass sie sich nicht so sehr um das Aussehen ihrer Figuren kümmern, sondern dass sie deren Seelen finden. Ihre Gesichtsausdrücke formen letztlich die Figur, die sie da verkörpern.

Was bedeutet das für Sie als Regisseur?

Ich versuche, ein Umfeld zu schaffen, in dem die Technologie erblühen kann und sich Schauspieler wohlfühlen. Wer den emotionalen Aspekt einer Darbietung vernachlässigt, kann ihn später nicht per Knopfdruck an einem Computer erzeugen. Ich übergebe dabei einen Großteil der Verantwortung an die Schauspieler.

Gibt es denn Grenzen - also Bewegungen oder Ausdrücke, die nicht durch die Technik eingefangen werden können?

Bei den Affen nicht. "Jungle Book" dagegen ist eine ganz andere Geschichte, weil wir etwas versuchen, was noch nie zuvor versucht wurde. Wir versuchen, einen Hybriden aus einem menschlichen Gesicht und einem Tier mit vier Füßen zu erstellen. Das ist ein komplett neuer Vorgang mit neuen Problemen, die wir lösen müssen. Daran arbeiten wir gerade.

Was ist das?

Wir versuchen, einen Hybriden aus einem menschlichen Gesicht und einem Tier mit vier Füßen zu erstellen. Das ist ein komplett neuer Vorgang mit neuen Problemen, die wir lösen müssen. Daran arbeiten wir gerade.

Wohin entwickelt sich die Technologie? Es gibt diese Fotos von Ihnen mit all dem technischen Gerät am Körper: Wird das irgendwann verschwinden?

Es wird verschiedene Möglichkeiten geben, die weniger belastend für einen Schauspieler sind. Wir werden den Punkt erreichen, an dem die Technik nicht mehr störend sein wird und wir uns völlig frei bewegen können.

Sie waren einer der ersten, der diese Nische für sich entdeckt hat. Sehen Sie sich noch immer als Pionier?

Ich hatte das Glück, einer Bewegung anzugehören, die gerade begonnen hatte - ich war also von anderen Pionieren umgehen. Ich sehe mich eher wie ein Rennfahrer in einem Formel-1-Auto: Es braucht ein Team, das einem die Technologie bereitstellt, um mit dieser Geschwindigkeit fahren zu können. Ich habe nun ein paar bekannte Charaktere verkörpert und dadurch ein bisschen Aufmerksamkeit bekommen.

Nur wenige Schauspieler werden gleich mit mehreren Figuren assoziiert - Harrison Ford vielleicht als Han Solo und Indiana Jones. Sie waren King Kong, Gollum, Caesar - und wirken nun auch noch in der Fortsetzung der "Star-Wars"-Saga mit ...

Ich darf jeden Tag unterschiedliche Figuren spielen, eine neue Technologie entwickeln und als Regisseur an interessanten Projekten arbeiten - und kann mit meiner Familie immer noch die Straße hinunterlaufen. Ich werde erkannt, aber nicht zu sehr. Das ist wunderbar. Ich habe den besten Job der Welt!

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