Polizei in den USA:Finger am Abzug

Reaction to grand jury decision on the Michael Brown shooting

Polizisten nehmen in Ferguson einen schwarzen Demonstranten fest.

(Foto: dpa)

Die Polizei in den USA schießt häufiger als früher. Und die afroamerikanische Bevölkerung muss dafür den Preis zahlen. Junge Schwarze wie Michael Brown werden schneller verdächtigt - und öfter getötet.

Von David Hesse

Mit einer Anklage im Fall Ferguson hatten nur die wenigsten Beobachter gerechnet. Das Gesetz gesteht Polizeibeamten die Ausübung von tödlicher Gewalt unter ziemlich vielen Umständen straffrei zu. Im Staat Missouri zum Beispiel dürfen Polizisten gemäß Kapitel 563 des Gesetzestexts töten, um eine Verhaftung durchzusetzen oder eine Flucht zu verhindern - so lange der Beamte Grund zur Annahme hat, dass die verdächtige Person eine Straftat begangen hat oder ohne sofortige Festnahme Leben gefährden kann. Im Klartext heißt das: Schieß, wenn es dir nötig erscheint.

Die Polizei schießt häufiger als früher. Gemäß einer von der Bundespolizei FBI geführten Statistik ist es im vergangenen Jahr zu 461 "gerechtfertigten Tötungen" durch amerikanische Cops gekommen. Gerechtfertigt heißt, dass niemand eine Verletzung der Vorschriften festgestellt hat. Das ist die höchste Zahl seit 20 Jahren - derweil die allgemeine Mordrate zurückgeht. Sehr wahrscheinlich setzt die FBI-Erhebung noch zu tief an, da sie nur die von lokalen Polizeistellen gemeldeten Tötungen aufführt. Eine Pflicht zur Meldung aber gibt es nicht.

Zu Tragödien kommt es immer wieder. Am Samstag erschoss ein Polizeibeamter in Cleveland, Ohio, einen 12-jährigen Jungen, der neben einem Jugendhaus mit einer Plastikpistole hantierte. Ein Zeuge hatte die Polizei alarmiert und schon am Telefon gesagt, die Waffe "sei wahrscheinlich nicht echt".

Dokumente der Grand Jury

Die örtliche Lokalzeitung St. Louis Post-Dispatch hat auf ihren Webseiten die Dokumente gesammelt, die die Grand Jury im Verlauf ihrer Beratungen berücksichtigte:

Aussagen der Zeugen, die von der Grand Jury gehört wurden.

Abschriften von Verhören durch Polizei und Bundespolizei FBI.

Berichte und Beweisdokumente, die von der Grand Jury in Betracht gezogen wurden.

Zwei eintreffende Polizisten forderten den Jungen auf, die Hände zu erheben. Als der nicht gehorchte, sondern nach seiner Waffe griff, erschoss ihn ein Beamter. Am Sonntag erlag der Junge seinen Verletzungen. Die Polizei sagte, die Waffe habe sehr echt ausgehen. Auf die Polizisten gezielt allerdings habe der Junge nicht. Eine Untersuchung läuft.

"Er hätte mehrere Personen angreifen können"

Unwahrscheinlich, dass daraus ein Strafprozess erwächst. Wie im Fall des Michael Brown in Ferguson dürfte der Schütze entlastet werden. Zwischen 2004 und 2011 mussten sich laut einer Studie der Universität Bowling Green nur 41 Beamte wegen Mordes oder Totschlags verantworten. Dem stehen 2718 "gerechtfertigte Tötungen" gegenüber, die das FBI für denselben Zeitraum festhält.

Auch in Saratoga Springs, Utah, wurde nichts aus einer Anklage. Im September erschossen Polizisten hier einen 22-jährigen Mann, weil er ein stumpfes Zierschwert in den Händen hielt. Der Verdächtige rannte vor den Beamten davon und starb durch sechs Schüsse in den Rücken.

Eine Geschworenenjury kam zu dem Schluss, die Polizei habe rechtmäßig gehandelt. "Er hätte mehrere Personen angreifen und sogar töten können, hätte man ihn nicht an der Flucht gehindert", erklärte der örtliche Staatsanwalt. Der Fliehende trug ein pseudojapanisches Zeichentrickkostüm, als er starb.

Mach immer, was die Polizei von dir verlangt

Der Möchtegern-Samurai war Afroamerikaner, genau wie Tamir Rice, der 12-Jährige mit der Plastikpistole. Die Bloggerin KJ Dell'Antonia, die über Familienthemen schreibt, formuliert drei mögliche Ratschläge, die man seinen Kindern nach der Erschießung des Buben in Cleveland geben könne. Erstens: Spiel nie mit echt aussehenden Plastikpistolen. Zweitens: Mach immer, was die Polizei von dir verlangt. "Versuch nicht, den Beamten zu zeigen, dass deine Pistole nicht echt ist." Und drittens: Einem weißen Jungen wäre das vielleicht nicht passiert.

Amerikas Polizisten haben gern den Finger am Abzug. Und die afroamerikanische Bevölkerung muss dafür den Preis zahlen. Junge Schwarze werden schneller verdächtigt - und öfter getötet. Gemäß einer Studie der Investigativplattform Pro Publica laufen junge schwarze Männer in den USA 21 Mal häufiger Gefahr, von der Polizei erschossen zu werden. Für viele schwarze Amerikaner war Michael Brown in Ferguson deshalb nur ein Toter mehr.

Das Problem sitzt tief. Noch in der Nacht zum Dienstag rief die Bürgerrechtsorganisation ACLU die Bevölkerung auf, eine Petition gegen diskriminierende Polizeimethoden zu unterschreiben: "Wir dürfen keine weitere junge schwarze Person durch die Hand der Polizei verlieren." Die Aktivisten fordern ein Verbot des "Racial Profiling"; die Andersbehandlung von Verdächtigen aufgrund ihrer Hautfarbe soll nicht länger möglich sein. Nach den tödlichen Schüssen auf Michael Brown in Ferguson trugen schwarze Demonstranten Schilder mit der Aufschrift: "Ich bin nicht der Feind."

Die USA sind ohnehin kein ungefährliches Land. Geschätzte 270 Millionen Schusswaffen sind im Umlauf, Amokläufe ein wiederkehrendes Problem. Das erzeugt Handlungsdruck; der öffentliche Anspruch auf Sicherheit ist groß. Wohl auch deshalb hat US-Präsident Barack Obama kaum eine Stunde nach Bekanntwerden des Jury-Entscheids zu Ferguson um Verständnis für die Beamten gebeten: "Begreift, dass die Polizisten jeden Tag ihr Leben für uns aufs Spiel setzen. Sie haben einen schweren Job, die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten und Gesetzesbrecher zur Verantwortung zu ziehen."

Allerdings, räumte der erste schwarze Präsident der USA im selben Atemzug ein, sei das tiefe Misstrauen der nicht-weißen Bevölkerung gegenüber der Polizei nicht ohne Grund: "Diese Probleme sind nicht einfach erfunden." Das Justizwesen brauche Reformen.

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