CDs der Woche - Popkolumne:Es geht zu Ende

Take That sind wieder einer weniger und bringen das im Titel ihres neuen Albums gleich zum Ausdruck. Röyksopp wollen zwar noch Musik machen, aber keine CD mehr herausbringen. Und Prager Kunststudenten halten das Gedenken John Lennons und des Falls der Berliner Mauer gleichermaßen hoch. Wie elegant.

Von Max Fellmann

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John Lydon

John Lydon alias Johnny Rotten; Sex Pistols

Quelle: Mario AnzuoniI/Reuters

Punkrock. Ging das nicht ganz anders? John Lydon hat gerade gestanden, dass er in den letzten zwei Jahren 10 000 Pfund rausgeschmissen hat - für iPad-Apps. In einem rührenden Interview mit dem britischen Telegraph erzählte der ehemalige Sänger der Sex Pistols von seiner Kindheit in Armut, von seiner schweren Krankheit als Junge - und von seinem holprigen Verhältnis zum Geld.

Er hat zwar als Musiker und, ja, Butter-Werbefigur ganz gut verdient, aber Lydon, der Punk aller Punks, hat sich natürlich nie für Tagesgeldkonten oder festverzinsliche Wertpapiere interessiert. Was reinkommt, muss raus. "Ich habe mich in Spiele wie "Game Of Thrones" verrannt, "Game Of War", "Real Racing". Ich habe nicht mehr groß aufgepasst, wie ein Idiot halt. Aber in mir steckt nun mal ein Kind. Ein Teil meiner Kindheit wurde mir gestohlen und ich bin fest entschlossen, sie mir zurückzuholen."

iPad und Punk, das klingt zwar wie ein fundamentaler Gegensatz - aber gerade deshalb passt das Ganze natürlich wie die Faust (von Steve Jones) auf's Auge (von Glen Matlock).

Denn sich jenseits aller Vernunft einfach zu gönnen, wonach einem gerade der Sinn steht, und sei es eben kapitalistische Unterhaltungselektronik: Das ist dann doch genau der Gedanke, mit dem Punk vor 40 Jahren begann.

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Röyksopp

"The Inevitable End" ist zwar das letzte Album, aber nicht das Ende von Röyksopp.

Quelle: Embassy of Music

Das klassische Album als Musikformat hat seine besten Zeiten hinter sich. Heute wird gestreamt. Mit dieser Erkenntnis gehen wenige so konsequent um wie Röyksopp. Das norwegische Elektro-Duo veröffentlicht jetzt "The Inevitable End" (Warner) und verkündet, es sei sein letztes Album.

Man werde zwar weiterhin Musik machen, aber sich andere Wege in die Öffentlichkeit suchen. Lustig, dass "The Inevitable End" trotzdem in vielen Vorabkritiken als Abschiedswerk verstanden wurde. Die beiden wollen ja weitermachen.

Gut so, denn auch diesmal schaffen die Norweger auf ihrem ureigensten Gebiet - weiche Club-Elektronik mit Moorwanderungsmelancholie - ein paar schöne, neblige Momente.

"The Inevitable End" hier auf Spotify hören

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Take That

Da waren's nur noch drei: Take That musizieren ohne Jason Orange.

Quelle: Polydor

Gibt es eigentlich etwas Tristeres als Bands, die lang nach ihrer besten Zeit in Teilbesetzung ein Comeback versuchen? Ja. Bands, die in Teilbesetzung ein Comeback versuchen und dann noch weiter zerbröseln.

Take That hatten sich wieder mit Robbie Williams zusammengetan, es dann noch mal zu viert versucht - jetzt ist auch noch Jason Orange ausgestiegen. Die übrigen drei stolpern weiter wie halb zerschossene Zombies im B-Movie.

Das neue Album heißt "III" (Universal) und enthält die übliche Mischung aus cremigen Balladen und Vorabendfunk. Spannend ist an dem ganzen Unternehmen höchstens noch, ob Gary Barlow und Mark Owen nächstes Jahr wohl mit dem Album "II" weitermachen.

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John Lennon

Die John-Lennon-Mauer in Prag wurde übermalt. Immer diese Kunststudenten.

Quelle: dpa

In einer Seitenstraße in Prag steht die sogenannte John-Lennon-Mauer. Eine Hauswand, auf die in den Achtzigerjahren Jugendliche Bilder von Lennon gesprüht haben, dazu Zeilen aus seinen Songs und Beatles-Logos. 1988 lieferten sich Studenten und Polizei deshalb ein Gerangel auf der Karlsbrücke.

In den Jahren danach wurde die Mauer zu einer Art Wende-Wallfahrtsort. Jetzt, zum Jahrestag des Mauerfalls in Deutschland, hat eine Gruppe von Kunststudenten die Wand weiß übermalt und drauf geschrieben "Wall Is Over".

Wie elegant: Da wird nicht nur des Mauerfalls gedacht, sondern durch die Verballhornung eines berühmten Lennon-Songs ("Happy Xmas / War Is Over") auch des Mannes, der auf der Mauer 25 Jahre lang zu sehen war.

Und zugleich ist mit der Übermalung ja auch die Wall over, auf der sich das Ganze abspielt. Selten ein Graffiti gesehen, das Popkultur, Zeitgeschichte und Meta-Gag so geschickt verschachtelt. Und wem hätte das Ganze vermutlich am besten gefallen? Genau. Schade, dass sein Leben schon over ist

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Erdmöbel

Schräges Cover, schräge Musik: Erdmöbel feiern wieder ihr ganz persönliches Weihnachten.

Quelle: Jippie!

Zuletzt noch ein echtes Vanillekipferl von Album: "Geschenk" von Erdmöbel (Rough Trade). Die schlauen Kölner Kammerpopper veröffentlichen jedes Jahr ein Weihnachtslied, diese neue Zusammenstellung lohnt sich allein schon des Covers wegen, auf dem die vier Musiker als befremdliches Krippenquartett rumstehen.

Und die Musik, ach, die ist natürlich mandarinensüß und christbaumkugelbunt. Hochmelodische Refrains, Basslinien, die allein durch den Schnee tanzen könnten, Posaunen voll Melancholie, dazu Texte, so fein gedrechselt wie Weihnachtsfiguren aus dem Erzgebirge.

Hübsch die deutsche Version von "Last Christmas", euphorisch die Silvesterversion von "Erster Erster", besonders rührend aber ist das letztjährige Erdmöbel-Weihnachtslied "Ding Ding Dong (Jesus weint schon)". Ja, so kann das was werden mit diesem Fest. Oh kommet doch all.

© SZ vom 26.11.14/danl/pak
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