Schriftstellerin Olga Grjasnowa:"Beim Bankett mit Putin spricht keiner über Homophobie"

Olga Grjasnowa

Olga Grjasnowa: "Ich bin das beste Beispiel für ein Akademikerkind."

(Foto: Imago)

In ihrem zweiten Roman schickt Olga Grjasnowa eine verletzte Ballerina auf einen Roadtrip durch den Kaukasus. Ein Gespräch über ihr Geburtsland Aserbaidschan, den Drill sowjetischer Künstler und die verspäteten Ambitionen deutscher Bildungsbürger-Kinder.

Von Kathleen Hildebrand

Wer nur den Text auf dem Buchrücken liest, könnte meinen, er habe es mit einem weiteren "Berlinbuch" zu tun: drei junge Leute mit unklarer sexueller Orientierung treffen sich im Kreuzberger Künstlermilieu, eine Dreiecksgeschichte beginnt. Doch "Die juristische Unschärfe einer Ehe" hat anderes mit den Lesern vor. Olga Grjasnowa, 1984 in Aserbaidschan geboren, schickt eine verletzte Ballerina zu illegalen Autorennen in Baku, in ein Foltergefängnis und schließlich auf einen Road-Trip durch den Kaukasus.

2012 hochgelobt für ihr Debüt "Der Russe ist einer, der Birken liebt", erzählt Olga Grjasnowa in ihrem zweiten Roman ziemlich abgebrüht von einer Generation, für die Heimat relativ geworden ist.

SZ.de: Frau Grjasnowa, Ihr neuer Roman dürfte viele Leser gleich zu Beginn ziemlich schockieren: Schon in der ersten Szene wird Leyla, die Hauptfigur, in einer aserbaidschanischen Gefängniszelle geprügelt, vergewaltigt und gedemütigt. Die deutsche Gegenwartsliteratur wird oft als weichgespült bezeichnet - wollten Sie diesem Vorwurf etwas entgegensetzen?

Olga Grjasnowa: Eigentlich nicht.

Vergangenes Jahr gab es eine Debatte darüber, dass die Literaturinstitute bevölkert seien von Arztsöhnen und -töchtern und dass es deshalb nur noch brave Jungakademikerliteratur gebe.

Was erwartet man denn? Es sind doch vor allem die Unis, die voll mit Akademikerkindern sind. Das ist ein Symptom unseres Bildungssystems. Die Literaturinstitute bieten hingegen denen eine richtige Chance, die es nie auf eine normale Uni geschafft hätten. Es ist nicht wahr, dass da nur Akademikerkinder studieren.

In dem Kommentar, der die Debatte angestoßen hat, wurden Sie als Gegenbeispiel zur homogenen Gruppe der westdeutschen Bildungsbürgerkinder genannt. Sehen Sie sich so?

Überhaupt nicht, ich bin ja das beste Beispiel für ein Akademikerkind. Mein Vater ist Rechtsanwalt und meine Mutter Klavierlehrerin. Aber weil ich einen exotisch klingenden Nachnamen habe, assoziieren die Leute immer gleich: Arbeiterschicht.

Die beiden weiblichen Hauptfiguren aus Ihren bisherigen Romanen haben wie Sie einen sowjetischen Hintergrund. Beide - Leyla und Mascha Kogan in "Der Russe ist einer, der Birken liebt", sind sehr diszipliniert, eigentlich haben sie einen ausgewachsenen Kontrollwahn. Gibt es da einen Zusammenhang?

Bei Leyla liegt das daran, dass sie Ballerina ist, sie steckt alles weg. Bei Mascha brauchte ich ihren Kontrollzwang für die Geschichte. Aber ja, es gibt da eine postsowjetische Prägung, die in den Ausgewanderten noch viel stärker drin ist als in den Daheimgebliebenen. Je älter ich werde, desto stärker wird mir das bewusst. Es ist die Strenge, der Drill, gerade in der künstlerischen Ausbildung. Im Westen läuft das anders, da fängt die Ausbildung zum Künstler viel zu spät an und ist nur für die privilegierte Schicht da, die sich den Unterricht leisten kann.

Im Roman reist Leyla aus Berlin zurück in ihre Heimat Aserbaidschan. Sie selbst sind auch dort geboren. Kehren Sie oft zurück?

Für den Roman war ich sechs Mal in Aserbaidschan, um zu recherchieren. Die ersten fünf Tage ist es immer sehr schön, die Landschaft ist toll, es ist mediterran, sehr hedonistisch. Aber dann fange ich an, mich zu ärgern. Die Gesellschaften im postsowjetischen Raum sind viel konservativer geworden. Man heiratet wieder jung - und jungfräulich. Mit 27 war ich damals die einzige unverheiratete Frau unter meinen gleichaltrigen Freundinnen. Außerdem ist da die Korruption, die den Alltag durchzieht. Sie ist überall.

In Aserbaidschan werden Ihre Figuren mit Homophobie konfrontiert. Ein Aserbaidschaner sagt dazu, dass der Westen den Homophobie-Diskurs brauche, um sich Russland und den Post-Sowjetstaaten moralisch überlegen fühlen zu können. Sehen Sie das so?

Homosexuelle haben ja auch im Westen nicht die gleichen Rechte wie Heterosexuelle. Das betrifft das Adoptionsrecht, die Ehe. Und auch hier werden Schwule und Lesben verprügelt. Natürlich ist es nicht so wie in Russland mit dem Propagandagesetz. Aber wieso sprechen westliche Politiker dieses Thema immer nur zu Hause an? Beim Staatsbankett mit Putin spricht keiner über Homophobie.

Ihre Romanfiguren ärgern sich kaum über die Korruption und die politischen Zustände in Aserbaidschan. Wieso begehren Sie nicht mehr auf?

Sie sind alle drei recht traditionell und überhaupt keine Revoluzzer. Sie passen sich sofort an, als sie aus Berlin nach Aserbaidschan kommen, nehmen alle Vergünstigungen an.

Spiegelt das die Realität wider? Würden Sie sich mehr Aufbegehren, mehr Revolution von jungen Menschen wünschen?

Ich habe keine guten Erfahrungen mit Revolutionen gemacht. Jedenfalls nicht in den Neunzigerjahren auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion. Die Revolution ist eine romantische Idee, aber in der Durchführung ist sie problematisch - vor allem, wenn eine nationale Komponente hinzukommt. Und hier im Westen gibt es nicht genügend Grund. Es geht uns ja tatsächlich gut. Wenn man die deutsche Staatsbürgerschaft hat, ist eigentlich alles rosig, das würde keiner riskieren. Was an den Grenzen Europas passiert, ist das Schlimme. Aber man macht keine Revolution für die anderen.

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