Kennedy als Coffee Table Book:Erfindung des Messias

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"Sein Heldentum ist redlich, sogar außergewöhnlich": Mailer 1960 über Kennedy. (Foto: Stanley Tretick/Taschen)

Superman kommt in den Supermarkt: Norman Mailers legendäre "Esquire"-Reportage über John F. Kennedy gibt es nun erstmals in deutscher Übersetzung - und als Coffee Table Book.

Von Willi Winkler

Auch der beste Journalismus braucht eine gute Inszenierung. Mit einer Anzeige wird gerade ein Model gesucht, das bereit ist, vor einer heruntergekommenen Hauptstadt zwei Stunden lang mit einem dicken Buch zu posieren. Obacht aber: "Sie haben möglicherweise Mühe, es zu halten." Gage: hundert Dollar.

Das dicke Buch ist nicht bloß schwer (genau 5,062 Kilo), sondern auch groß, 29 mal 39,5 Zentimeter, richtig groß, denn es enthält einen der Ur-Texte moderner politischer Berichterstattung, Norman Mailers Reportage Superman kommt in den Supermarkt von 1960. Der damals durch seinen Kriegsroman Die Nackten und die Toten bereits weltbekannte Autor - er lässt sich vom Kandidaten bereitwillig auf seine Bücher ansprechen - beobachtete 1960 in Los Angeles, wie die Demokraten John F. Kennedy zu ihrem Präsidentschaftskandidaten wählten.

Die Reportage erschien dreieinhalb Monate später im Novemberheft der Zeitschrift Esquire, und sie enthielt eine majestätische Prognose: "Der Mann, den sie da nominierten, war anders als alle Politiker, die sich in der Geschichte des Landes um die Präsidentschaft beworben haben. Wenn er gewählt wird, gelangte er in einem Jahr an die Macht, in dem Amerika der Niedergang droht."

"Er ist ein Kriegsheld"

Kennedy wurde mit einer hauchdünnen (und teilweise gekauften) Mehrheit gewählt und gilt, zumal er drei Jahre später im Amt ermordet wurde, bis heute als Inbegriff jugendlicher, idealistischer Politik. Oder wie es Mailer formuliert: "Er ist ein Kriegsheld, und sein Heldentum ist redlich, sogar außergewöhnlich. Er ist ein Mann, der mit dem Tod konfrontiert war und sich aufgrund einer Kriegsverletzung einer Rückenoperation unterziehen musste, die ihn entweder töten oder seine Kraft wiederherstellen würde; der eine Frau geheiratet hat, deren Gesicht für den Geschmack einer Demokratie, die ihre First Ladies lieber als Herrscherinnen am heimischen Herd sehen möchte, zu sehr die Phantasie beflügelt; ein Mann, der mit dem politischen Selbstmord flirtet, indem er nach Ansicht seiner politischen Altvorderen vier, acht oder zwölf Jahre zu früh zu einer Nominierung stürmt; ein Mann, der eine Woche vor dem Parteitag erklärt, dass die Jungen besser als die Alten geeignet sind, Geschichte zu gestalten."

Norman Mailer war aber nicht nur ein wortgewaltiger Dröhner, sondern Schriftsteller, Zeitdiagnostiker, Psychologe, Mahner, Lober, Preiser, Schwärmer, Eitelkeitsweltmeister, also ein Journalist, genau genommen der beste, den Nachkriegsamerika aufzubieten hatte. Er genügt sich nicht damit, biedersinnig und allenfalls mit ein bisschen Lokalkolorit aufgehübscht Fraktionskämpfe, Hintertreppen-Deals und durchrauchte Nächte zu schildern, sondern nimmt noch Gelegenheit, das Hotel, in dem der Parteikonvent stattfindet, in Grund und Boden zu dissen, beiläufig den Schauspieler Gregory Peck als Poser zu denunzieren und ohne Not und vor allem ohne Angst vor Platzverschwendung Los Angeles zu besingen: "Und in diesem Land des Niedlichen findet sich Männlichkeit nur in den Barbarismen, den Vulgaritäten, auf den riesigen Werbetafeln, den kreischenden Neonreklamen, dem Brüllen der Tankstellen und riesigen Drugstores in den Farben von Farmzubehör, im Wedeln der Sportwagen, der hochgetunten Karren, der Cabrios."

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Der große Kulturkritiker Theodor W. Adorno würde im Sechseck springen, wenn er Los Angeles derart schamlos besungen sähe: Für ihn ist es "eine Stadt zum Autofahren, die Straßen sind breit, der Verkehr ist nervös und schnell, die Sender spielen lebhafte, plumpsende, kräuselnde, der Pop in den Pop-Melodien ist gut, kein Mensch mit Ehre im Leib würde sich dabei lieben wollen, aber der Sound ist gut, um mit dem Auto zu pendeln, Elektrogitarren und Hawaii-Harfen."

Das hat doch alles nichts mit einer politischen Reportage zu tun, sagen die festangestellten Hausmeister der Wolf-Schneider-Schule für ironie- und konjunktivfreie, aber unbedingt leserfreundliche Serviceprosa, und sie haben selbstverständlich recht. Genau deswegen ist es hohe Kunst geworden oder meinetwegen, wie die Lehre geht, der Beginn des New Journalism von Tom Wolfe, Gay Talese und Hunter S. Thompson. Es ist auch der Beginn der großen amerikanischen Seifenoper, in der jeden Monat ein noch jüngerer, neuerer, radikalerer und haarigerer Politiker als Hoffnungsträger ausgerufen werden muss, weil es sonst ja nichts zu berichten gäbe. Anders gesagt: Die inzwischen etwas nachgedunkelte Lichtgestalt des Baron zu Guttenberg ist eine Spätfolge von Mailers Reportage, für die sich der Autor, da bereits 2007 verstorben, allerdings nicht mehr verantworten muss.

Weiße Neger und Hipster

Mailer hat seinen Kennedy als literarische Figur geschaffen, nach dem Vorbild des von ihm 1957 kreierten "weißen Neger", dem "Hipster", und geformt zum "existenzialistischen Helden". Mit Politik, mit solider Berichterstattung hat das wie gesagt nichts zu tun. Aber es ist wie bei den alten Petticoat-Filmen: Niemand braucht sie, und doch ist es ein ewiger Jammer, dass solche Autos und solche Reportagen nicht mehr gebaut werden. Der Platz ist nicht mehr da, und die Begeisterung, einen Kandidaten, selbst wenn er eine jugendliche Erotik ausstrahlt, die weit über die Politik hinausreicht, hochzuschreiben. Das letzte Mal ist das 2008 passiert, als nicht wenige den Messias Kennedy wiederkehren sahen, schwarz diesmal, veränderungsentschlossen, ein Revolutionär mit Namen Barack Obama. Hat nichts geholfen.

Gut fünfzig Jahre nach ihrer Entstehung feiert Mailers Reportage, ordentlich wissenschaftlich begleitet, ein Comeback als Coffee Table Book. Die Groß-Reportage aus dem Internet zu fischen (esquire.com/features/superman-supermarket), kommt genau 99,99 Euro billiger, um den Preis allerdings, dass es nicht übersetzt, sondern das originale Mailer-Englisch ist und der Ausdruck natürlich nicht die herrlichen zeitgenössischen Fotos, unter anderem von Cornell Capa und Garry Winogrand, bietet.

Mailer, so groß und berühmt er 1960 schon war, musste übrigens die berufsüblichen Schikanen hinnehmen: Die Redaktion des Esquire änderte die von ihm gewählte Überschrift (aus dem "Supermarket" wurde der seinerzeit schicke "Supermart"), weshalb Mailer viele Jahre nicht mehr für das Magazin schrieb.

Die Agentur hat offenbar noch immer keine Frau gefunden, die stark genug wäre für den fünf Kilo dicken Mailer. Das Angebot wurde mittlerweile auf zweihundert Dollar erhöht.

JFK. Superman kommt in den Supermarkt . Taschen-Verlag, Köln. 372 Seiten, 99,99 Euro.

© SZ vom 28.11.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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