EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker:"Ich beantworte keine widerlichen Fragen"

Jean-Claude Juncker

"Wir haben in Luxemburg keine Politik mit dem Ziel gemacht, anderen Ländern Steuereinnahmen wegzunehmen", sagt der neue EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker.

(Foto: dpa)
  • In seinem Antrittsinterview kündigt der neue EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker an, europäische Schuldenländer nicht sanktionieren zu wollen.
  • Mit dieser Entscheidung kommt Juncker Frankreich und Italien, zwei der größten Volkswirtschaften der Euro-Zone, weit entgegen.
  • Juncker weist die Vorwürfe zurück, in seiner Zeit als Regierungschef Luxemburgs sein Land mit Steuertricks reich gemacht zu haben.

Von Cerstin Gammelin

Notorische Haushaltssünder unter den EU-Ländern wie Frankreich und Italien müssen vorerst nicht damit rechnen, für das Überschreiten der Schuldengrenze bestraft zu werden.

EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker sagte der Süddeutschen Zeitung und weiteren europäischen Blättern, er habe "die Wahl getroffen, nicht zu sanktionieren". Die Kommission werde an diesem Freitag klare Bewertungen für die von den Euro-Ländern eingereichten Haushaltspläne für 2015 abgeben. "Aber die finalen Entscheidungen über Konsequenzen haben wir auf März, April verschoben", sagte Juncker in seinem ersten Interview seit dem Amtsantritt.

Jean-Claude Juncker im Wortlaut

Das Interview lesen Sie in der Freitagsausgabe der Süddeutschen Zeitung oder in der digitalen Ausgabe auf dem Smartphone oder Tablet.

Mit dieser Entscheidung kommt Juncker Frankreich und Italien, zwei der größten Volkswirtschaften der Euro-Zone, sehr weit entgegen. Die sozialistische Regierung in Paris bekommt trotz ihrer Ankündigung, erst 2017 die erlaubte Neuverschuldung wieder einhalten zu können, erneut mehr Zeit. Zudem entgeht sie vorerst Strafen in Milliardenhöhe, die der Stabilitäts- und Wachstumspakt bei dauerhaften Verstößen gegen die Regeln vorsieht. Auch Italien wird geschont. Die Regierung von Matteo Renzi macht mehr Schulden, als gestattet sind. Brüssel müsste deshalb eigentlich ein Strafverfahren einleiten. Dem Vernehmen nach zeigt sich die Kommission gegenüber weiteren fünf Ländern milde.

Juncker: Kein Diktat für EU-Länder

Juncker sagte, es wäre einfach gewesen, jetzt schon Sanktionen zu verhängen. "Wir haben Regeln, Strafen, Sanktionen". Er habe sich anders entschieden, um die Länder selber erklären zu lassen, wie sie ihre Haushalte in Ordnung bringen. Hintergrund sind Beschwerden aus den Hauptstädten, die EU-Kommission diktiere, wie nationale Haushaltspläne auszusehen hätten; sie greife damit in nationale Hoheiten ein.

"Dieses Mal werde ich Frankreich, Belgien und Deutschland nicht diktieren, was sie zu tun haben", sagte Juncker. "Die Länder mögen die Lektionen nicht, die aus Brüssel kommen. Kleinere Länder mögen es nicht, weil sie sich nicht verteidigen können. Große Länder sowieso nicht. Sie machen selber Vorschläge. Das ist ein Weg, mit Staaten und Parlamenten umzugehen, der respektvoller ist." Das habe er geändert. Zudem gelte: "Ich muss den Regierungen zuhören. Und verstehen, was in den verschiedenen Ländern los ist. In jedem Land passieren andere Dinge. Die muss ich auf dem Radar haben, ich muss die Personen genau beobachten, das Verhalten des Parlaments, die öffentliche Meinung."

EU-Kommission soll Einhaltung der Regeln überwachen

Die Regierungen der Euro-Länder hatten sich auf dem Höhepunkt der dramatischen Schuldenkrise 2011/2012 verpflichtet, enger zusammenzuarbeiten und ihre Haushaltspläne vorab der EU-Kommission vorzulegen. Die Behörde soll prüfen, ob die Pläne den Regeln entsprechen und Maßnahmen, etwa spezifische strukturelle Reformen empfehlen, um die Haushalte zu sanieren. Mit der Zusammenarbeit wollten die Euro-Länder verhindern, dass eine neue Krise die Währungsunion als Ganzes gefährden kann.

Juncker warb dafür, die Diskussionen über das Sparen und Investieren zu beenden. Sie schreckten Investoren ab, sagte er. "Wenn wir nur über Schuldenberge streiten und Regierungen drohen: ihr werdet sanktioniert, ihr müsst mehr machen und so weiter, dann ist das Gift." Um davon wegzukommen, habe er das 315-Milliarden-Euro-Investmentpaket vorgeschlagen. "Natürlich müssen wir über Sanierung und Reformen reden", sagte Juncker. "Aber, wie man so sagt: Ein Baum wächst nicht nur mit Erde und Luft, er braucht auch eine Gießkanne."

Der Kommissionschef räumte ein, dass er gern mehr öffentliches Geld in das angekündigte Investitionspaket gesteckt hätte. "Ich habe das Geld genommen, was ohne große pädagogische Anstrengungen verfügbar war. Wir haben nicht mehr und wir können nicht Geld ausgeben, das wir nicht haben. Ich wollte weder Zeit noch Energie vergeuden."

"In den vergangenen Wochen habe ich sehr viel telefoniert mit den Staats- und Regierungschefs, ich habe in Brisbane mit den Deutschen, Briten und Franzosen geredet und dann beschlossen, einen schnellen Schritt nach vorne zu tun." Er gehe davon aus, dass die Hauptstädte den Plan unterstützen. "Soweit es Deutschland betrifft, ja. Die Bundeskanzlerin und der Vizekanzler haben gesagt, dass sie für den Plan sind."

Juncker widerspricht den Vorwürfen zu Steuertricks

Juncker wies die Vorwürfe zurück, in seiner Zeit als Regierungschef Luxemburgs sein Land mit Steuertricks reich gemacht zu haben. "Wir haben keine Politik gemacht in Luxemburg mit dem Ziel, anderen Ländern Steuereinnahmen wegzunehmen. Wir haben um moderne Unternehmen wie AOL, Amazon geworben. Die dazugehörigen Steuerbeschlüsse haben die Steuerbehörden getroffen, nicht die Regierung. Aber natürlich haben wir geworben und verhandelt wie andere Regierungen auch, die irische, die niederländische und auch die belgische."

Mit Blick auf die Enthüllungen des internationalen Reporternetzwerkes über aggressive Steuervermeidungspolitik sagte er, diese Behauptungen seien "unfair und einfach nicht wahr. Wir haben im November 1997, als ich Chef der EU-Finanzministerrunde war, einen Verhaltenskodex für fairen Steuerwettbewerb verabschiedet. Das war ein Meilenstein. Wir haben das gemacht, weil alle Länder außer Österreich und Luxemburg das Steuersystem harmonisieren wollten. Wir haben auch die Zinssteuerrichtlinie verabschiedet."

"In dieser Zeit, als Luxemburg dachte, das Bankgeheimnis sei überlebenswichtig, haben wir durchgesetzt, dass EU-Länder wählen konnten zwischen Datenaustausch oder Abgeltungssteuer. Belgien, Österreich und Luxemburg haben die Abgeltungssteuer gewählt. Beides hatte denselben Effekt. Aber es gab den internationalen Trend, dass die Länder das Bankgeheimnis abgeschafft haben. Das habe ich 2013 als Premierminister dem Luxemburger Parlament vorgeschlagen. Wir haben nicht gezögert. Außer, wenn wir den Eindruck hatten, dass nur einige Länder etwas machen müssen."

"Das waren keine Fragen, das waren Attacken"

Dass er lange Zeit geschwiegen hat und die Vorwürfe nicht eher aufklären wollte, begründete er so mit der Art der Fragestellung. "Ich antworte nicht auf widerliche Fragen. Das waren keine Fragen, das waren Attacken. Jede Frage ein Angriff. Kriminell! Illegal! Ich hatte übrigens schon im Juli beschlossen, keine Interviews zu geben."

Als Kommissionschef wolle er für mehr Steuertransparenz sorgen. "Wir haben unser Prinzip klargemacht: das Land, in dem Unternehmen Gewinn machen, muss auch das Land sein, in dem es Steuern zahlt. Darüber sind wir uns einig und wir werden Gesetzesvorschläge vorlegen. In den nächsten sechs Monaten wird der zuständige Kommissar Pierre Moscovici eine Direktive über den automatischen Austausch von Steuerinformationen und Steuerbescheiden vorlegen. Es wird interessant sein zu sehen, ob wir diesen Weg gehen können und wer das unterstützt."

Juncker sagte, müsste er noch einmal wie damals in Luxemburg entscheiden: "Ich würde genau dasselbe machen. Wir hatten keine andere Wahl. Aber ich würde einen präziseren Blick werfen auf die Vorabsprachen zur Unternehmensbesteuerung. Jeder wusste, dass diese Vorabsprachen über Steuerbescheide getroffen werden. Ich würde das Gesetz ändern, damit es dem Finanzminister möglich ist, sich über diese Steuerabsprachen zu informieren. In anderen Ländern haben Finanzminister entschieden über Steuerbescheide. Das haben wir in Luxemburg niemals gemacht."

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