Regierungskrise in Israel:Drehbuch für das Scheitern

Israel coalition crisis

Alles deutet auf Neuwahlen hin: Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu (rechts) hat seinen Finanzminister Jair Lapid gefeuert.

(Foto: Abir Sultan/dpa)

Israels Ministerpräsident Netanjahu erzürnt bewusst seinen Koalitionspartner - und liebäugelt mit vorzeitigen Wahlen. Umfragen zufolge stehen seine Chancen gut, danach ein noch weiter rechts angesiedeltes Regierungsbündnis zu bilden.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Israel steuert auf eine vorgezogene Neuwahl zu. Auslöser ist ein heftiger Streit zwischen Premier Benjamin Netanjahu und den liberaleren Kräften in seiner Koalition. Am Dienstagabend feuerte der Regierungschef deshalb kurzerhand Finanzminister Jair Lapid und Justizministerin Tzipi Livni. Er werde es "nicht mehr tolerieren, dass Minister aus der Regierung heraus die Regierungspolitik kritisieren", erklärte Netanjahu. Mit dem aktuellen Kabinett sei Israel nicht zu führen, deshalb müsse es so schnell wie möglich Neuwahlen geben.

Nicht einmal zwei Jahre nach der letzten Regierungsbildung wird nun mit einem Wahltermin im Frühjahr gerechnet. Umfragen zufolge stehen Netanjahus Chancen gut, danach ein noch weiter rechts angesiedeltes Bündnis zu bilden. Doch auf dem Weg dorthin lauern gewiss noch zahlreiche Finten und Fallstricke.

Das seit Monaten laufend fortgeschriebene Drehbuch dieser sorgfältig inszenierten Koalitionskrise hatte für Montagabend ein Krisentreffen der beiden Protagonisten Netanjahu und Lapid vorgesehen. Der Premier verdächtigt den Finanzminister seit Längerem, hinter seinem Rücken an einer alternativen Koalition zu basteln. Nun empfing er ihn mit einem Angebot, das Lapid nur ablehnen konnte.

Netanjahu sieht sich nach Alternativen um

Netanjahu legte eine Liste an Forderungen auf den Tisch, mit der er nichts weniger als eine Kapitulation verlangte: Lapid solle aufhören, die Regierungsarbeit zu untergraben und Siedlungsbauten in Jerusalem zu kritisieren. Er müsse dem umstrittenen Nationalitäten-Gesetz zustimmen, das Israel zu Lasten der arabischen Minderheit als jüdischen Staat definiert.

Und er solle aus seinem Haushalt zusätzliche Milliarden für die Armee freigeben und dafür sein Leuchtturmprojekt zur Verbilligung des Wohneigentums aufgeben.

Lapid sah sich in eine Falle gelockt, sprach von einer "Farce" und schlug am Dienstag zurück.

Der Premierminister habe sich "unverantwortlich" gezeigt, sagte er und warf ihm vor, die Interessen der Mittelschicht an niedrigeren Lebenshaltungskosten verraten zu haben, um den religiösen Parteien neue Angebote unterbreiten zu können.

Tatsächlich stehen die beiden ultra-orthodoxen Parteien Schas und Vereinigtes Thora-Judentum im Mittelpunkt aller neuen Machtspiele. Nach der letzten Wahl waren die bewährten Steigbügelhalter zugunsten eines säkularen Bündnisses ausgebootet worden. Nun umwirbt sie Netanjahu wieder als handsame Alternative zu Lapids Zukunftspartei und der "Bewegung" von Tzipi Livni.

Lieberman will Königsmacher sein

Die Führer der frommen Klientelparteien können ihre Rückkehr an die alten Fleischtöpfe kaum erwarten und sind schon eifrig damit beschäftigt, den Preis für eine Unterstützung Netanjahus festzulegen.

Die Rolle des Königsmachers versucht sich allerdings gerade auch Außenminister Avigdor Lieberman auf den Leib zu schneidern. Bei der vorigen Wahl war er mit seiner russischen Immigrantenpartei "Unser Haus Israel" auf einer gemeinsamen Liste mit Netanjahus Likud angetreten.

"Höchste Zeit, dem Fiasko ein Ende zu setzen"

Nun will er wieder allein ins Feld ziehen und versucht, sich dabei mit einem jüngst veröffentlichten eigenen Friedensplan auch einen etwas verworrenen Weg ins politische Zentrum zu öffnen. Ideologisch passt er dort zwar nicht hin, aber bei der Regierungsbildung sind in Israel immer schon Machtwille und Pragmatismus die obersten Gesetze gewesen.

Vehement für Neuwahlen tritt naturgemäß auch Oppositionsführer Isaac Herzog von der Arbeitspartei ein. Es sei "höchste Zeit, dem Fiasko ein Ende zu setzen", sagte er und rief die Parteien der Mitte dazu auf, mit einem gemeinsamen Block anzutreten. Ein Zusammenschluss gegen Netanjahu war allerdings schon bei der vorigen Wahl am Ego der Parteiführer gescheitert.

Aus Verzweiflung könnte sich am ehesten noch Tzipi Livni anschließen, weil ihrer Partei schwere Verluste vorhergesagt werden. Sie spitzt die Auseinandersetzung nun auf eine "Wahl zwischen Zionismus und Extremismus" zu. Lapid dagegen ist schon allein deshalb schwerer einzubinden, weil er sich selbst mindestens genauso wie Herzog ins Premiersamt sehnt.

Die Schwäche und Uneinigkeit seiner Gegner also dürfte wieder einmal Netanjahus größte Stärke sein. Schon jetzt regiert er mit drei Amtsperioden länger als alle anderen Premierminister vor ihm mit Ausnahme des Staatsgründers David Ben-Gurion. Seine Popularitätswerte sind zwar seit dem Gaza-Krieg des Sommers wieder abgesackt.

Aber immer noch halten ihn 35 Prozent für den besten Premierminister-Kandidaten. Herzog auf Platz zwei kommt nicht einmal auf die Hälfte dieses Werts, Lapid nur auf sieben Prozent. Auch dies dürfte für Netanjahu ein großer Anreiz sein, dem Land allen sonstigen Problemen zum Trotz nun einen Wahlkampf aufzubürden.

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