Neuwahlen in Israel:Das verheerende "System Netanjahu"

Benjamin Netanjahu

Teile und herrsche! So macht Israels Premierminister Benjamin Netanjahu Politik.

(Foto: AFP)

Seit fast 20 Jahren treibt "Bibi I." Israels Politik vor sich her. Doch weder außen- noch innenpolitisch löst Benjamin Netanjahu Probleme. Er wird nicht von einer Vision, sondern von purem Machtinstinkt angetrieben.

Ein Kommentar von Peter Münch, Tel Aviv, Tel Aviv

Israels ehrwürdiger Staatsgründer David Ben-Gurion hatte sich schon in seinen Kibbuz in der Negev-Wüste zurückgezogen, als ihn das Land noch einmal zur Hilfe rief. Also übernahm er 1955 wieder die Regierungsgeschäfte, amtierte bis 1963 - und stellte mit insgesamt 13 Amtsjahren den bis heute gültigen Premierminister-Rekord in Israel auf.

Auf dem zweiten Platz liegt inzwischen Benjamin Netanjahu, und wenn er bei der nun im Handstreich vorgezogenen Neuwahl im März erneut gewinnt, dann kann er tatsächlich Ben-Gurions Rekord einstellen. Ein Freudentag für Israels Demokratie wäre das dann allerdings nicht.

Denn für Israel wäre es am besten, wenn Netanjahu in die Wüste geschickt würde - und mit ziemlicher Sicherheit käme dann auch keiner mehr auf die Idee, ihn zurückzurufen. Das Problem allerdings ist, dass Netanjahu sich festgesetzt hat im Zentrum Jerusalems.

"Bibi I." treibt seit fast zwei Jahrzehnten die Politik vor sich her

Seit fast zwei Jahrzehnten schon dominiert Netanjahu als "Bibi I." die israelische Politik oder treibt sie vor sich her. Angefeuert wird er dabei nicht von einer Vision, sondern allein vom reinen Machtinstinkt. So hat er drei Wahlen gewonnen und beste Chancen, auch aus der vierten als Sieger hervorzugehen - und das, obwohl seine Bilanz als Regierungschef innen- wie außenpolitisch verheerend ist.

Das markanteste Ergebnis seiner Außenpolitik ist die Belastung der Beziehungen selbst zu Israels besten Freunden. Im Weißen Haus wird Netanjahu als Serientäter geführt, weil er einst schon Bill Clinton ebenso zur Weißglut brachte wie nun Barack Obama. Die Europäer treibt er mit seiner Siedlungspolitik zu Sanktionen, und mit den Palästinensern redet er schon lange nicht mehr. Statt eines Friedensprozesses gibt es unter Netanjahu regelmäßig Krieg mit der Hamas.

Netanjahu hat die Politik zur Zirkusnummer gemacht

Auch die Innenpolitik wird dominiert vom obersten Netanjahu'schen Gesetz: Teile und herrsche! Kurzatmig wechselt der Premier die Koalitionen, die israelische Parteienlandschaft zerfällt in immer neue Splittergruppen, der eigene Likud driftet ungebremst nach rechts ab. In Umfragen kommt dieser Likud als größte Partei nicht einmal mehr auf 20 Prozent der Parlamentssitze. Doch stören muss das Netanjahu nicht, solange keiner stärker ist als er.

In diesem sorgfältig inszenierten Chaos kommt dem Regierungschef die Rolle des Dompteurs zu, der als einziger die wilden Kräfte zügeln kann. Die Politik verkommt dabei zur Zirkusnummer. Kein einziges der wirklich großen Probleme des Landes wird dabei gelöst - nicht der Konflikt mit den Palästinensern und auch nicht die erdrückend hohen Lebenshaltungskosten.

Doch Netanjahu hat ein perfides Rezept, wie er all diese Probleme umgeht: Er lenkt den Druck einfach um auf immer neue Schauplätze, auf denen er dann das Land in Atem hält. Mal ist es die Gefahr durch die iranische Atombombe, bei der er den "nuklearen Holocaust" beschwört. Mal ist es (pünktlich zur vorigen Wahl) ein Krieg um Gaza. Und wenn nun in Jerusalem eine neue Intifada droht, dann ist die Antwort darauf eben eine Neuwahl. Wer will sich noch über die Mieten oder den Preis für einen Schokopudding aufregen, wenn es wieder einmal ums große Ganze geht.

Dieses "System Netanjahu" ist für den Premier enorm erfolgreich, aber es ist verheerend für Israel. Es schafft ein Klima der Angst und der Lähmung, obwohl doch eigentlich ein Ruck durchs Land gehen müsste. Allen Umfragen zufolge wird Netanjahu mit einer Regierung aus Ultra-Rechten und Ultra-Orthodoxen auch nach der nächsten Wahl weiterregieren können. Im politischen Zentrum und auf der Linken ist niemand in Sicht, der sein System durchbrechen könnte. Und auch im Negev sitzt kein Ben-Gurion mehr, den man zur Hilfe rufen könnte.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: