Freispruch für Karl Dall:Prozess der Peinlichkeiten

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Er beteuert seine Unschuld - vor den Reportern und während der Verhandlung: Karl Dall bei der Ankunft im Bezirksgericht in Zürich am 9. Dezember 2014. (Foto: dpa)
  • Das Bezirksgericht in Zürich spricht Karl Dall vom Vorwurf der Vergewaltigung frei. Dem Entertainer wird außerdem eine Entschädigung in Höhe von etwa 8300 Euro zugesprochen.
  • Im Prozess kommen heikle Details zur Sprache: Erotische E-Mails werden zitiert, neben Gutachten zur sexuellen Leistungsfähigkeit des Komikers geht es auch um die Panikattacken der Klägerin.
  • Selbst die Staatsanwaltschaft zweifelte an der Glaubwürdigkeit der Frau, forderte aber dennoch zwei Jahren auf Bewährung.

Von Charlotte Theile, Zürich

Draußen ist es noch dunkel an diesem Wintermorgen, doch die Scheinwerfer strahlen hell. Karl Dall steigt aus dem Auto, er wirkt gefasst, konzentriert, es hätte ja auch wenig Sinn, sich vor den Journalisten zu verstecken. Im Gegenteil: Der 73-jährige Entertainer beantwortet schon vor der Verhandlung Fragen, er drückt seine Hoffnung aus, dass es noch am gleichen Tag zu einem Urteil des Zürcher Bezirksgerichts kommen werde.

Auch im Zeugenstand ist Dall später bemerkenswert offen. Er spricht ausführlich über seine Prostata-Operation und die Folgen, die diese für ihn hatte - die Schlagzeile "Karl Dall ist impotent" stets vor Augen.

Die Anklage lautet auf Vergewaltigung und Nötigung. Am Ende des langen Tages kommt das Bezirksgericht Zürich-Limmat zu dem Schluss, dass der 73-Jährige als freier Mann nach Hause gehen kann. Nach mehr als elf Verhandlungsstunden das erlösende Wort des Richters Roger Weber: Freispruch. Für die Anschuldigungen gegen Karl Dall seien nicht genügend Beweise vorgelegt worden. Das Gericht sprach ihm eine Entschädigung von 10 000 Franken (rund 8300 Euro) zu.

Der Weg bis zu diesem klaren Urteil ist allerdings lang und anstrengend - für beide Seiten. Die 44-jährige Journalistin S. hat das Verfahren mit ihren Vorwürfen gegen Karl Dall ins Rollen gebracht. Sie wird deutlich länger als der Angeklagte befragt. Dabei geht es dem Gericht nicht nur darum, herauszufinden, was in der Nacht vom 5. auf den 6. September 2013, die Dall und S. in einem Fünf-Sterne-Hotel in Zürich verbrachten, tatsächlich geschah. Das Vorleben der 44-Jährigen ist ebenfalls von Interesse.

Denn die Journalistin suchte offenbar immer wieder den Kontakt zu prominenten Männern, angeblich aus beruflichen Gründen, wobei diese dann rasch in den Hintergrund traten. Nicht selten soll es dabei auch zu intimen Kontakten gekommen sein. S. soll sich dann nicht mehr abschütteln haben lassen, bis zu 50 Mal pro Stunde angerufen haben, Drohungen und Erpressungsversuche werden ihr zur Last gelegt.

Zweimal ist S. aus diesen Gründen vorbestraft. Zwei Schweizer Politiker hatten sich die ständigen Annäherungsversuche von S. gerichtlich verbieten lassen. Auch Udo Jürgens, den S. als ihren "ersten Freund" bezeichnet, soll angeblich von ihr öfters belästigt worden sein.

"Ein Shitstorm, wie ich ihn noch nie erlebt habe"

Der ermittelnde Staatsanwalt kritisiert die Medien für die Art der Berichterstattung, die aus einem möglichen Opfer gleich eine Täterin gemacht habe: "Das ist ein Shitstorm, wie ich ihn noch nie erlebt habe", sagt er. Der Boulevard und die betroffenen Männer hätten sich einhellig auf die Frau "eingeschossen".

So sieht es auch der Anwalt der Privatklägerin in seinem Schlussplädoyer. Die Verteidigung von Karl Dall habe sich darauf verlegt, die Glaubwürdigkeit von S. zu beschädigen - mit Geschichten, die mit der betreffenden Nacht überhaupt nichts zu tun hätten.

Als Beleg für die Glaubwürdigkeit seiner Mandantin dienen ihrem Anwalt unter anderem Tonaufnahmen, in denen Karl Dall sagt, er habe sich an diesem Abend "nicht sehr charmant" verhalten. In einer anderen Sequenz sagt der Angeklagte, dass er den Sex mit der Journalistin als "sehr angenehm" empfunden habe und seit Jahren nicht mehr "gevögelt" habe. Die Erklärung Dalls, er habe dies nur gesagt, um die aufdringliche Journalistin loszuwerden, sei nicht glaubhaft.

Auch der Staatsanwalt konzentriert sich auf diese Mitschnitte. Obwohl die Aufnahmen ohne Wissen von Dall angefertigt worden waren, wird die Verwertbarkeit auch von der Verteidigung nicht in Frage gestellt.

Ein weiteres Argument der Staatsanwaltschaft gegen Dall ist eine E-Mail, die der Entertainer S. am Abend des 6. September schickte. In dieser schreibt er von einem "Rachefeldzug" und davon, dass sie sich ihren nächsten Schritt "gut überlegen" solle.

Aber auch S. belastet ein schriftliches Dokument: So hat sie einem Freund vor dem Treffen mitgeteilt, sie sei "krank vor Liebeskummer" wegen Dall. Unstrittig ist, dass sich Dall und S. am 5. September um 21 Uhr in der Bar des Zürcher Fünf-Sterne-Hotels trafen und zusammen eine Flasche Rotwein tranken. Auch dass beide etwa eine Stunde später in die Hotelsuite von Karl Dall gingen, um dort eine Talkshow anzusehen, steht außer Frage. Danach fuhr S. den Entertainer zu einem Casino. Sie habe draußen auf ihn gewartet, fast drei Stunden lang. Dall, der die Journalistin als "anstrengend" empfunden habe, sagte in der Verhandlung, er habe gehofft, dass S. nicht länger warten wolle.

Doch als er aus dem Casino kam, war sie immer noch da und fuhr ihn daraufhin zum Hotel zurück. Dall sagte aus, S. habe ihm gesagt, sie werde bald von einem Freund abgeholt. Sie blieb dann bis in die Morgenstunden in der Hotelsuite.

Einfach das gesagt, was sie hören wollte

Im Zeugenstand sagte der Entertainer, er habe die Journalistin an diesem Abend loswerden wollen. In den Morgenstunden seien die Tonaufnahmen zustande gekommen. Er habe einfach das gesagt, was sie hören wolle: eben, dass sie gut im Bett sei.

Der Verteidiger Karl Dalls verwies in seinem Schlussplädoyer besonders auf die Parallelen, die sich zu einer anderen Vergewaltigungsanklage ergeben würden. S. hatte vor einigen Jahren gegen einen anderen Mann ähnliche Vorwürfe erhoben.

Auch damals will S. aus reiner Naivität mit dem Mann auf ein Hotelzimmer gegangen sein. Auch findet sich in beiden Anklagen die Angabe, sie habe klar und deutlich gesagt, dass sie mit dem Beschuldigten keinen Sex haben wollte.

Zumindest eines ist nach diesem Gerichtstag sicher: Die Details, die vor Gericht ausgebreitet wurden, sind für beide Seiten peinlich. Gegenstand der Verhandlung waren sowohl ein medizinisches Gutachten, das sich mit der sexuellen Leistungsfähigkeit Karl Dalls beschäftigt, als auch ein psychiatrisches Gutachten, das die Panikattacken von S. beschreibt.

Auch der erotische E-Mail-Kontakt, den die beiden bereits vor dem Treffen hatten, wurde mehrmals zitiert. Seit die Vergewaltigungsvorwürfe publik wurden, so beklagt Dall, habe er kein Engagement mehr bekommen. Dafür dürfte es nun wohl keinen Grund mehr geben.

© SZ vom 10.12.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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