Datensammlung von Versicherungen:"Wollen wir wirklich in dieser Welt leben?"

Fitness-Armbänder von Fitbit

Fitness-Armbänder machen den individuellen Lebensstil messbar. "Wir brauchen Regeln", sagt der US-Rechtswissenschaftler Scott Peppet.

(Foto: dpa)

Alles ist messbar: Versicherungen ködern ihre Kunden mit Rabatten, wenn sie ihren Lebensstil preisgeben. Der US-Jurist Scott Peppet warnt: Das kann schnell in ein System der Überwachung und Bestrafung umschlagen.

Von Christian Endt

Die Generali-Gruppe wagt sich als erster Versicherer in Europa auf dieses sensible Terrain: Kunden, die mithilfe einer App beweisen, dass sie etwas für ihre Fitness tun, ihre Ernährung und Lebensstil gesund sind, bekommen Rabatte. Setzt sich das Modell durch, könnte es weitreichende Folgen für die Gesellschaft haben. Ein Gespräch mit Scott Peppet, Professor an der juristischen Fakultät der University of Colorado in Boulder. Er forscht seit Jahren zum Zusammenspiel von Recht und Technologie.

SZ.de: Die Generali-Versicherung will ihre Kunden dafür belohnen, wenn sie ihren alltäglichen Lebensstil messen - und die Daten an sie weitergeben. Wie verändern solche technischen Möglichkeiten das Geschäft der Versicherer?

Peppet: Eine Versicherung ist ja letztendlich eine Gemeinschaft von Versicherten. Man weiß nicht, wer ein guter, wer ein schlechter und wer ein furchtbarer Fahrer ist. Wir wissen nur, dass es von jeder Sorte ein paar gibt. Also werfen wir sie alle in einen Topf und verteilen das Risiko. Natürlich wird das ein bisschen angepasst, sodass beispielsweise Fahranfänger etwas mehr zahlen. Doch mit Geräten wie einem Sensor im Auto, der das Fahrverhalten misst, lässt sich der Preis in Zukunft exakt und individuell festlegen. Autoversicherer machen das schon länger, auch in Europa. Bei Krankenversicherungen erleben wir gerade die erste Welle, die mit Generali nun auch nach Deutschland kommt. Die sagen: Wenn ihr uns Daten über euren Lebensstil gebt, bekommt ihr einen Rabatt.

Was bedeutet das für den einzelnen Kunden?

Das ist erst einmal positiv. Er bekommt einen Rabatt auf seine Versicherungsprämie - großartig! Es belohnt ihn für gutes Fahrverhalten oder ein gesundes Leben oder was auch immer. Das ist ökonomisch effizient und führt dazu, dass im Durchschnitt jeder weniger bezahlen muss.

Es ist doch gut, wenn die Prämien billiger werden.

Es gäbe in einem solchen System natürlich Verbraucher, die mehr zahlen müssten. Durchschnittlich würden die Versicherungskosten aber sinken. Also könnte man sagen: Wir steigern durch individuelle Preise erstmal unsere Effizienz, und kümmern uns später darum Benachteiligungen auszugleichen. Die Frage ist, ob dieser Ausgleich wirklich stattfinden würde. Das ist eine politische Frage.

Irgendwann ist verdächtig, wer nichts preisgibt

Was ist denn der politische und gesellschaftliche Preis für diese Effizienzsteigerung?

Wir machen uns damit auf den Weg in eine Welt, in der fast alles vermessen und aufgezeichnet wird. Billige Versicherungen sind nett, aber wenn man der Ansicht ist, dass eine Demokratie freie Individuen erfordert, die nicht unter ständiger Beobachtung stehen, dann ist die Ersparnis das vielleicht nicht wert. Wir können Sensoren bauen, die erfassen wie viel wir rauchen, wie viel wir trinken, wie häufig wir trainieren, wie oft wir mit unseren Freunden sprechen und wie viel Zeit wir mit Videospielen verbringen. Es ist belegt, dass Menschen ihr Verhalten ändern, wenn sie beobachtet werden. Wollen wir in einer Welt leben, in der wir von unserem Chef belohnt werden, weil wir um zehn Uhr ins Bett gehen? Was macht das mit unserem Verständnis von uns selbst, unserer Vorstellung von Freiheit? Dazu gehört doch auch die Freiheit, bis zwei Uhr morgens wach zu bleiben.

Sollten wir Fitnessarmbänder und Sensoren im Auto also verbieten?

Scott Peppet ist Professor an der juristischen Fakultät der University of Colorado in Boulder. Er forscht seit Jahren zum Zusammenspiel von Recht und Technologie.

Der US-Rechtswissenschaftler Scott Peppet forscht seit Jahren zum Zusammenspiel von Recht und Technologie.

(Foto: Casey A. Cass, University of Colorado)

Es geht um den Kontext, in dem Daten genutzt werden. Wer seine Fitness messen möchte, weil ihn das motiviert mehr Sport zu treiben, für den ist das eine gute Sache. Doch wirtschaftliche Akteure wie Banken oder Versicherungen stellen fest: "Moment, diese Daten sind interessant für unser Geschäft." Wir brauchen Regeln, die die Verwendung einschränken. Die Leute sollten keine Angst haben, dass ihr Arbeitgeber an diese Daten kommt und sie gegen sie verwendet. Vor zwei oder drei Jahren war das alles noch ziemlich theoretisch. Inzwischen haben wir eine Explosion des Marktes für solche Geräte. Wir erzeugen zuerst die Daten und überlegen uns dann, was damit passieren soll. Sobald diese Daten mal vorhanden sind, bekommt man den Geist nicht zurück in die Flasche.

Worin liegt die größte Gefahr, wenn Arbeitgeber oder Versicherungen an die Daten gelangen?

Wir müssen genau beobachten, was passiert. Selbst in den USA nutzen bisher nur relativ wenige diese Angebote. Solange es eine freie Wahl bleibt, ist alles okay. Wenn irgendwann die Mehrheit der Verbraucher solche Sensoren nutzt und beispielsweise ihr Fahrverhalten an die Versicherung weitergibt, machen sich die verdächtig, die das nicht tun. Von ihnen wird irgendwann angenommen, dass sie schlechte Fahrer wären. Wenn fast jeder einen Rabatt bekommt, ist das faktisch ein Preisaufschlag für diejenigen, die sich der Datensammlerei verweigern. Belohnung und Strafe sind zwei Seiten der gleichen Medaille.

Fitness-Tracker verraten viel mehr, als man vermutet

Wie könnten denn Regeln für den Umgang mit diesen Daten aussehen?

Zuallererst müssen die Verbraucher echte Entscheidungsfreiheit haben, was mit ihren Daten passiert. Dazu gehört zunächst, dass sie Bescheid wissen. Sie müssen wissen, was von den Sensoren erfasst wird, was mit den Daten passiert, wo sie gespeichert werden. Können die Daten vor Gericht verwendet werden? Hat die Regierung Zugriff? Welche Rückschlüsse können aus den Daten gezogen werden? Wer ein Fitness-Armband hat, könnte schließlich denken, da geht es nur ums Training. In Wahrheit verraten solche Geräte aber wesentlich mehr über den Benutzer. Ich glaube, bisher fehlt den meisten Verbrauchern ein Verständnis für diese Dinge.

Tut die Industrie genug, um die Verbraucher zu informieren?

Ich habe die Fitness-Sensorgeräte von 20 Herstellern genauer untersucht. Bei keinem einzigen lagen Datenschutzbestimmungen bei. Es gab auch keinen Hinweis, wo diese Informationen zu finden sind. Auf der Website sind sie häufig versteckt. Die Texte waren verwirrend geschrieben und erhielten kaum relevante Informationen. Ich denke wenn man solche Geräte verkaufen möchte, sollte man dem Käufer auch genügend Informationen darüber geben.

Nehmen die Verbraucher diese Entwicklung denn ernst genug?

Ich werde häufig gefragt, warum ich mir so viele Sorgen um dieses Thema mache. Ich antworte dann immer: Wir leben nicht mehr im Jahr 1997. Damals gab es das kommerzielle Internet noch nicht. Keine Datenhändler, kein Tracking von Surfverhalten, kein Google Adwords. Damals war es plausibel zu sagen, wir wissen nicht was passieren wird. Aber jetzt haben wir das Jahr 2014. Wir haben bereits eine massive Infrastruktur errichtet, um Daten zu erfassen, zu verkaufen und für Anzeigen zu nutzen. Wir haben gesehen, dass sich Arbeitgeber für Facebook und Twitter interessieren. Wir können nicht mehr naiv sein.

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