Öl und Gas:Warum Europa nicht an Aserbaidschan vorbeikommt

Oil derricks are reflected in a polluted

Dieses Öl hätte Europa gerne: Bohrungen in der Nähe des Kaspischen Meeres in Aserbaidschan.

(Foto: Mladen Antonov/AFP/Getty Images)
  • Nach dem Ende des Pipeline-Projekts South Stream, richtet Brüssel seinen Fokus auf Aserbaidschan. Von dort soll Gas durch Georgien, die Türkei, Griechenland bis Italien gepumpt werden.
  • Die EU befindet sich in einer Zwickmühle angesichts der jüngsten Repressionswelle gegen Kritiker der aserbaidschanischen Regierung.

Von Frank Nienhuysen

"Rufen Sie später noch mal an", sagt die automatische Stimme auf Aserbaidschanisch, dann auf Russisch. Aber es hat natürlich keinen Sinn: Chadija Ismailowa ist verhaftet. Stunden später geht eine Rundmail von Rasul Dschafarow ein, zum Tag der Internationalen Menschenrechte. Abgeschickt aber hat sie sein Bruder Sanan - denn Rasul Dschafarow ist im Gefängnis. Die jüngste Repressionswelle in Aserbaidschan gegen Kritiker der Regierung hat in Europa große Sorgen ausgelöst.

Thorbjörn Jagland, Generalsekretär des Europarats, bezeichnete Ismailowas Verhaftung als "nicht notwendig" und eine "sehr negative Botschaft". Er forderte Baku auf, dass die Journalistin, die an Enthüllungsgeschichten rund um die Präsidentenfamilie Alijew beteiligt war, und andere politische Gefangene sofort freigelassen werden. Aber Aserbaidschan macht Europa nicht nur Kummer, es macht ihm auch große Hoffnungen. Es geht um Gas.

Nachdem Russlands Präsident Wladimir Putin das Ende des Pipeline-Projekts South Stream angekündigt hat, richtet Brüssel seinen Fokus auf Aserbaidschan, das energiereiche Kaukasus-Land am Kaspischen Meer. EU-Energiekommissar Maroš Šefčovič will jetzt vor allem den Bau des "Südkorridors" vorantreiben, über den Gas von Aserbaidschan durch Georgien, die Türkei, Griechenland bis Italien gepumpt werden soll - vorbei an Russland.

Durch die Transanatolische Pipeline (Tanap), die Ende 2018 fertiggebaut sein soll, könnte in fünf Jahren erstes Gas nach Westen strömen. Quelle ist das aserbaidschanische Gasfeld Schah Denis-2, eines der größten der Welt, das von einem internationalen Konsortium ausgebeutet wird. Für die Europäer ist die Mixtur aus autoritärem Staat und viel Öl und Gas ein Dilemma.

Europa robbt an Aserbaidschan heran

In einer Resolution haben Europaparlamentarier bereits im September die Modernisierungspartnerschaft der EU mit Aserbaidschan von der Freilassung mehrerer Menschenrechtler abhängig gemacht. Aber natürlich robbt sich Europa wegen der Energiepolitik zugleich an das Schlüsselland Aserbaidschan heran. Der neue EU-Kommissar Šefčovič war in der vergangenen Woche in der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku und betonte die "strategische Bedeutung" eines alternativen Pipeline-Netzes und der Kooperation mit Aserbaidschan. Dass die EU ihre Abhängigkeit von Russland verringern will, macht Aserbaidschan für sie unverzichtbar.

Das Gasfeld Schah Denis hat nachgewiesene Reserven von 1,2 Trillionen Kubikmetern Gas. Umgekehrt ist Europa für Aserbaidschan eine Geldquelle. Der Vizepräsident des mächtigen staatlichen Energiekonzerns Socar, Elshad Nassirov, sagte der Süddeutschen Zeitung, "als Binnenland ist es für uns wichtig, eine Verbindung zum europäischen Markt zu haben. Und die Tanap-Pipeline ist der Weg dazu." Nassirov versicherte, dass Aserbaidschan genügend Gas habe, um die Röhre mit eigenem Gas zu füllen. Aber reicht die Pipeline und ihre Kapazität von 16 Milliarden Kubikmetern für die Nachfrage in Europa? Darüber wird noch debattiert. Aserbaidschan könnte das ebenfalls mit reichlich Gas ausgestattete zentralasiatische Turkmenistan dazuholen. Aber wie auch immer, an Aserbaidschan kommt Europa nicht vorbei. Und so sprudelt in dem Land das Selbstbewusstsein wie die Energiequellen.

Neulich beschwerte sich Baku darüber, dass in Europa stets Aserbaidschan kritisiert werde, während der nachbarschaftliche Rivale Armenien sich doch entschlossen habe, "seine Verbindung zur Europäischen Union" abzubrechen. Dass Aserbaidschans Regierung seit Monaten die Opposition derart einschüchtert, könnte nach Ansicht von Beobachtern zum einen daran liegen, dass der Eurovision Song Contest in Baku, bei dem der Kontinent auf das Land blickte, schon wieder Geschichte ist. Zum anderen, so vermutete zum Beispiel die nun ebenfalls inhaftierte Menschenrechtlerin Leyla Yunus, dass Massenproteste wie auf dem Kiewer Maidan und ein Schicksal wie das des gestürzten ukrainischen Staatspräsidenten Viktor Janukowitsch sich in Aserbaidschan nicht wiederholen sollten.

Im Dauerstreit mit Armenien

Präsident Ilcham Alijew schärft derweil den Patriotismus, vor allem im Dauerstreit mit Armenien. Nach der jüngsten Studie des Forschungsinstituts BICC gehören Aserbaidschan wie Armenien zu den am stärksten militarisierten Ländern. Das militärische Gewicht des vergleichsweise reichen Aserbaidschan ist dabei ungleich höher. Während die Nato-Staaten bei ihren Militärbudgets jeden Prozentpunkt hin- und herwenden, kann Aserbaidschan wegen des Ölbooms seinen Haushalt ziemlich mühelos anheben.

Wie die russische Zeitung Nesawissimaja Gaseta schreibt, will Baku 2015 seine Rüstungsausgaben noch einmal um 27 Prozent steigern. Das aserbaidschanische Militärbudget wäre dann deutlich größer als der gesamte Staatshaushalt Armeniens. Ohnehin sei Aserbaidschan das einzige Land der Region, das in den vergangenen Jahren seine Rüstungsimporte um 150 Prozent erhöht habe - "85 Prozent davon kauft Aserbaidschan in Russland ein".

Womit Moskau eine sehr außergewöhnliche Rolle spielt. Es stattet Aserbaidschan mit reichlich Rüstzeug aus, gibt sich zugleich aber als militärische Schutzmacht Armeniens, das traditionell enge Beziehungen zu Russland hat. Und so hat Moskau es auch geschafft, Armenien in die Zollunion zu lotsen, das Konkurrenzmodell zur EU.

Der Konflikt zwischen Aserbaidschan und Armenien um Berg-Karabach war zuletzt eskaliert. Karabach wird von Armenien kontrolliert und gehört völkerrechtlich zu Aserbaidschan. Es gab Gefechte, es gab Tote. Nur eine Lösung scheint es nicht zu geben. Die EU spricht Baku immer wieder auf die Menschenrechte und auf Karabach an, den eingefrorenen Konflikt im Kaukasus. Doch auch Aserbaidschan fordert nun etwas vom Westen: Wenn die EU die Ukraine unterstütze, müsse dies auch für Aserbaidschan gelten. Für Brüssel bleibt es ein zwiespältiges Land.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: