Abbott über Sydney-Geiselnahme:"Wir geben dem Papst auch nicht die Schuld für die IRA"

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"Das System ist mit diesem Mann nicht richtig umgegangen", räumte Regierungschef Tony Abbott ein. (Foto: dpa)
  • Nach dem Geiseldrama in einem Café in Sydney hat der australische Premierminister Tony Abbott eine transparente Untersuchung versprochen - und Fehler im System zugegeben.
  • In einem Interview weigerte sich Abbott, den Islam für die Geiselnahme verantwortlich zu machen.
  • In Sydney herrschen nun erhöhte Sicherheitsvorkehrungen. Mehrere Hundert zusätzliche Polizisten sind an öffentlichen Plätzen und im Nahverkehr im Einsatz.

Der schlimmste Terroranschlag der jüngeren Geschichte hat die Australier erschüttert - und mit jeder neuen Information über den Täter wächst die Angst und Empörung über den laxen Umgang der Behörden mit dem als Extremisten bekannten Geiselnehmer. "Das System ist mit diesem Mann nicht richtig umgegangen", räumte Regierungschef Tony Abbott ein und ordnete eine umfassende Untersuchung an. "Die Tragödie dieser Gräueltat ist, dass zwei Menschen tot sind, dass Leute verletzt sind, dass andere traumatisiert sind, weil dieser Verrückte frei auf unseren Straßen rumlaufen konnte", sagte er.

Der Politiker versprach eine transparente Untersuchung. Es werde einen Bericht zu den Umständen der Geiselnahme geben, der "für jeden" zugänglich sein müsse, sagte er dem Sender ABC. Er erwarte Ergebnisse bis Ende Januar. Man Haron Monis hatte ein Café in Sydney überfallen und 17 Geiseln in seine Gewalt genommen. Die Polizei stürmte das Café nach mehr als 16 Stunden. Zwei Geiseln und der Attentäter starben bei dem Geiseldrama.

"Wir möchten wissen, weshalb er nicht beobachtet wurde"

Der 50-jährige Bewaffnete war mehrfach vorbestraft und als Verdächtiger nach der Ermordung seiner Exfrau - sie war 2013 auf offener Straße mit einem Messer attackiert und angezündet worden - nur auf Kaution frei. Zudem hatte der Iraner Hassbriefe an Familien gefallener australischer Soldaten geschrieben. Und an Regierungschefs und Politiker. Darin schimpfte er über den Anti-Terror-Krieg im Nahen und Mittleren Osten.

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Wer war der Mann, der Sydney in Angst und Schrecken versetzt hat? Ein radikaler Extremist im Geiste der Terrorgruppe IS oder ein isolierter, psychisch labiler Wirrkopf, ein "einsamer Wolf", wie sein Ex-Anwalt sagt? Selbst dann muss die Tat kein Einzelfall bleiben.

Von Oliver Klasen

Seine Waffenlizenz entzogen ihm die Ordnungsbehörden trotz der Verurteilung wegen der Hassbriefe nicht. Auch der Geheimdienst hatte Monis schon 2008 im Visier, ließ dann aber von ihm ab. "Der Geheimdienst hatte ihn auf dem Radar, und ich habe wirklich keine Ahnung, wie er da rausfallen konnte", sagte der Regierungschef. "Wir möchten wissen, weshalb er nicht beobachtet wurde."

Die zentralen Punkte der Untersuchung sollen nun sein: Wieso besaß der als Gewalttäter angeklagte Täter eine Waffe? Wieso ließ der Geheimdienst ihn aus den Augen? Wieso war er trotz schwerwiegender Anklage auf freiem Fuß? Wieso bekam er Asyl, obwohl er in seiner Heimat Iran als Finanzbetrüger gesucht wurde? Wie konnte er jahrelang und offenbar ohne Not von Sozialhilfe leben?

Terrorismus-Experten warnen vor Nachahmern

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Die Geiselnahme in einem Café in Sydney hat ein blutiges Ende genommen: Drei Menschen sterben, mehrere werden verletzt. Australiens Premierminister Abbott lobt die Arbeit der Polizei. Indes werden die Australier durch einen neuen Vorfall aufgeschreckt.

Abbott weigert sich, den Islam für die Geiselnahme verantwortlich zu machen. Obwohl Monis sich als Extremist des "Islamischer Staates" (IS) ausgegeben habe, sei nicht klar, wie viel Kontakt er wirklich mit dem Terrornetzwerk habe, zitierte die BBC Abbott. In einem Interview mit dem Sender ABC sagte der Politiker: "Wir geben dem Papst auch nicht die Schuld für die IRA." Der Regierungschef war immer wieder gefragt worden, ob es nicht nötig sei, ehrlichere Diskussionen mit der islamischen Community über deren extremistische Minderheit zu führen.

Schon wenige Minuten nach Beginn der Geiselnahme in einem Café in Sydney war über einen islamistischen Hintergrund spekuliert worden. Viele Muslime in Australien äußerten daraufhin Furcht vor Anfeindungen. Nun diskutiert die Öffentlichkeit darüber, inwieweit der Geiselnehmer aus politischen oder religiösen Motiven gehandelt hat. Der Täter war zwar vermutlich kein Kämpfer in direktem Auftrag des IS. Dennoch warnen Terrorismus-Experten vor Nachahmern.

Die schiitische Gemeinde hatte nach eigenen Angaben die Polizei lange vor der Geiselnahme alarmiert, weil ihr der Mann, der sich als Prediger ausgab, verdächtig vorkam - es sei aber nie etwas passiert, teilte sie mit. Der iranische Vize-Außenminister Ebrahim Rahimpur warf Abbotts Regierung schwere Versäumnisse vor. Angesichts der kriminellen Vergangenheit des Geiselnehmers habe Teheran die australischen Behörden mehrfach vor ihm gewarnt. "Wir haben ihnen Informationen geliefert und darum gebeten, ihn unter Beobachtung zu stellen, aber leider haben sie dies nicht beachtet", erklärte Rahimpur.

Polizei erhöht Sicherheitsvorkehrungen

In Sydney herrschen nun erhöhte Sicherheitsvorkehrungen. Mehrere Hundert zusätzliche Polizisten sind an öffentlichen Plätzen und im Nahverkehr im Einsatz. Einsatzleiter Michael Fuller sagte, es gehe darum, dass die Bevölkerung sich in diesen "schwierigen Zeiten" sicher fühle und die Polizei in der Nähe wisse.

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Ein Mann hält in Sydney etliche Geiseln in einem Café fest. Ein Großaufgebot der Polizei ist im Einsatz, die Straßen im Geschäftsviertel CBD sind gespenstisch leer. Bis auf die Menschenmenge am Martin Place.

Es gehe den Beamten vor allem um eine "sichtbare", starke Polizeipräsenz, sagte der Beamte. Derzeit sind wegen der anstehenden Weihnachtsfeiertage und der Silvester-Feierlichkeiten zahlreiche Touristen in der Stadt. Fuller sagte, es gebe keinen Grund anzunehmen, dass sich solch eine Tragödie wie die Geiselnahme wiederhole. "Aber wir alle haben die Gesichter der Menschen am Martin Place gesehen und sie haben Angst."

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