Ausstellung von Amnesty International:Macht atemlos

Ausstellung 'Stop Folter'

Peitsche, Autobatterie, Augenmaske in der Ausstellung "Stop Folter Shop" von Amnesty International: Moderne Folterwerkzeuge sind oft gezielt darauf ausgerichtet, weniger Spuren zu hinterlassen als etwa die früheren Daumenschrauben.

(Foto: dpa)

"Bügelt Hosen, Hemden und Haut": Mit Haushaltsgegenständen wie Bügeleisen wird weltweit gefoltert. Im "Stop Folter Shop" warb Amnesty International unter anderem mit Murat Kurnaz für mehr Aufmerksamkeit für Folteropfer - bis an die Schmerzgrenze.

Von Ruth Schneeberger, Berlin

Der Mann ist kaum wiederzuerkennen, und vielleicht soll das auch so sein: Als Murat Kurnaz am Wochenende die Galerie am Rosenthaler Platz in Berlin betrat, mussten viele aus dem Publikum zweimal hinschauen, um das Folteropfer zu erkennen, das sie soeben im Film gesehen hatten.

Das lag nicht nur daran, dass Kurnaz früher lange rote Haare und langen roten Bart trug und jetzt alles abrasiert hat. Nicht nur daran, dass der 32-Jährige inzwischen stark trainiert ist, fast, als wolle er sich vor weiteren körperlichen Angriffen durch eigene Leibeskraft schützen. Sondern vor allem daran, dass er sehr, sehr ruhig wirkte. Besonnen, befriedet und sogar humorvoll.

Er war zu Gast im "Stop Folter Shop" von Amnesty International, einer Ausstellung mit begleitender Veranstaltungsreihe zum Thema Folter, die am Mittwoch in Berlin zu Ende ging. Auf einige Fragen reagierte Kurnaz mit mehr Witz als das Publikum gerade in der Lage war zu ertragen. Wenn er von Guantanamo auf Kuba erzählte, war das sein "Urlaub in der Karibik" (ein ausführliches Interview von Krautreporter gibt es hier).

Nicht alle Gäste konnten darüber lachen. Denn was Kurnaz von 2002 bis 2006 im US-Gefangenenlager Guantanamo erleiden musste, hatten sie kurz zuvor in "5 Jahre Leben" gesehen, Stefan Schallers eindringlich bebilderter Verfilmung von Kurnaz' Autobiografie aus dem Jahr 2013; viele konnten es immer noch nicht fassen.

Ob sich wirklich noch niemand aus der US-Regierung bei ihm entschuldigt habe, nachdem er doch offiziell als unschuldig anerkannt wurde, auch nicht Obama? Nicht mal Steinmeier? Ob es wirklich keinerlei Entschädigung gibt für die Jahre voller Gewalt, Waterboarding, Stromschläge, auch psychischer Erniedrigung? Nicht mal jetzt, wo die Folter durch den CIA-Bericht in aller Munde ist? Kurnaz verwies auf seine Anwälte, offenbar sei da derzeit nichts zu machen.

Kurnaz will nicht nach Hollywood

Allerdings hätte Hollywood ihm die Verfilmung seines Stoffes angeboten - das habe er dann doch lieber abgelehnt. Kurnaz hat neu geheiratet und eine kleine Tochter, der Deutsche mit türkischem Pass scheint seinen persönlichen Frieden gefunden zu haben. Nicht aber den mit seinen Folterern. Wer wollte es ihm verdenken?

Der Zeitpunkt der Amnesty-Veranstaltung war nicht zufällig gewählt: Kurz vor Weihnachten öffnen die Deutschen traditionell ihr Herz eher für soziale Themen als im Rest des Jahres - und auch ihr Portemonnaie. Der "Stop Folter Shop" gleicht, dazu passend, einem Pop-up-Store, wie sie in Berlin derzeit Trend sind - nur, dass es dort nichts zu kaufen gab.

Auf den ersten Blick sah es allerdings fast so aus: "Perfekt für Nägel und Fingernägel" wurde eine Kneifzange im Schaufenster beworben, "Bügelt Hosen, Hemden und Haut" war über einem Bügeleisen plakatiert, "Für Rock, Pop und Psychoterror" lautete der Werbespruch für Kopfhörer, "Atemberaubend, wortwörtlich" hieß es über eine Plastiktüte. Die ironisch gebrochenen Werbeplakate ließen manchen Passanten noch an eine Kunstaktion denken, das Schild "Bitte eintreten für die Menschenrechte" am Eingang machte dann deutlich: Hier geht es um mehr.

Der Horror ist alltäglich

Die Ausstellung im Inneren zeigte, mit welch alltäglichen Gegenständen Menschen auf der ganzen Welt Tag für Tag gefoltert werden. Ihre vermeintliche Harmlosigkeit macht sie umso furchteinflößender: An Nadeln kann so gut wie jeder kommen. Sie einem Opfer allerdings unter die Fingernägel zu schieben, verursacht extreme Schmerzen. Von Folter mit Nadeln wird unter anderem aus ehemaligen Ländern der Sowjetunion berichtet.

Plastiktüten sind ein Allerweltsprodukt. Wenn ein Folterer sie seinem Opfer aber über den Kopf zieht, kann das Todesangst durch Erstickungsgefahr und bleibende Hirnschäden durch Sauerstoffentzug verursachen. In Usbekistan und der Dominikanischen Republik soll unter anderem auf diese Weise gefoltert werden. In 141 Ländern hat Amnesty International in den vergangenen fünf Jahren Folter und Misshandlung dokumentiert.

Wenn der Staat gewalttätig wird

Die Ausstellung wurde begleitet von abendlichen Diskussionen und Infoveranstaltungen. Am Dienstagabend ging es darum, dass es seit 1984 eine weltweite Antifolterkonvention gibt, unter dem Titel: "30 Jahre leere Versprechen?" Die Frage drängt sich in der Tat auf, wenn man an die aktuellen CIA-Berichte denkt. Von einem "Rückschlag" sprach etwa Amnesty-Aktivist und Schriftsteller Urs Fiechtner - in Bezug auf die nun bekannt gewordene systematische Folter wider besseres Wissen durch die USA.

Denn Folter erreicht oft nicht einmal ihr Ziel. Abgesehen davon, dass sie grausam und menschenverachtend ist, erbringt sie in vielen Fällen nicht die erwünschten Informationen. Dass das oft auch nicht mal das echte Motiv ist, wird in dem Kurnaz-Film deutlich, wenn der Protagonist am Ende seinem Peiniger ins Gesicht sagt, dass er sein perfides Spiel durchschaut hat: Unterzeichnet er das geforderte Eingeständnis, ein Terrorist zu sein, liefert er damit seinem Folterer überhaupt erst die Begründung, ihn zu foltern. Unterzeichnet er es nicht, wird er weiter gefoltert, bis er es tut. Tut er es immer noch nicht, läuft er Gefahr, an der Folter zu sterben.

Schlafentzug, Vergewaltigung, vorgetäuschte Hinrichtung

"Die Täter sind entweder Staatsbedienstete, oder ihre Handlungen werden von staatlichen Behörden gebilligt", schreibt Amnesty International über Folter, und dass das Folterverbot auch nicht in Kriegs- und Krisensituationen gelockert werden dürfe.

Trotzdem würden weltweit in dreiviertel aller Länder Schläge, Tritte, Elektroschocks, Vergewaltigung, Isolation, Verbrennungen, Schlafentzug, das Entfernen von Gliedmaßen oder das Vortäuschen von Hinrichtungen dazu benutzt, staatliche Macht auszuüben. Betroffen seien vor allem Menschen mit regierungskritischen Positionen und religiöse oder sonstige Minderheiten. "Die meisten Folteropfer sind mittellose Menschen, die einer Straftat verdächtigt werden, ohne sie begangen zu haben", heißt es weiter, und: "Folter kann jeden treffen."

Genaue Zahlen gibt es allerdings nicht, denn: "Das Wesen der Folter ist, dass sie im Verborgenen stattfindet", erklärt Amnesty-Sprecher Ferdinand Muggenthaler. "Immerhin eine kleine Errungenschaft ist, dass die Staaten inzwischen sehr wohl wissen, dass Folter verboten ist. Deshalb wird vertuscht, dass sie stattfindet, und deshalb ist es auch so wichtig, dass es unabhängige Untersuchungen gibt. Nur, wenn man Öffentlichkeit und Transparenz herstellt, kann man Folter zurückdrängen."

Daran arbeitet Amnesty seit nunmehr einem halben Jahrhundert. Immerhin ein weiterer Erfolg: Inzwischen weiß die Öffentlichkeit zumindest mehr darüber, auch durch Aktionen wie den Stop-Folter-Shop.

Nicht weit genug gedacht?

Und in Deutschland? Gibt es zwar weniger konkrete Folterängste, wohl aber Fälle von Polizeigewalt, Misshandlung in Flüchtlingsheimen durch Wachpersonal und Misshandlungen in Altenheimen, für die teils auch der Staat verantwortlich ist. Auch diese Fälle müssen ernst genommen werden, sagt Muggenthaler, und verweist darauf, dass etwa in Großbritannien eine unabhängige Kommission eingesetzt werde, sobald der Vorwurf von Polizeigewalt im Raum stehe. Damit nicht Kollegen gegen Kollegen ermitteln.

Nicht zuletzt die Wirtschaft hierzulande könne einiges tun, um ihrer Verantwortung gerecht zu werden, Folter auch in anderen Ländern nicht zu unterstützen.

Bei einer Podiumsdiskussion zum Thema "Schutz vor Folter durch Exportkontrolle und Unternehmensverantwortung" erzählte etwa die Journalistin Carina Körner von einem "sehr netten" Interviewpartner, der sein Unternehmen darauf aufbaue, ausrangierte deutsche gepanzerte Polizeiwagen in andere Länder zu exportieren. Ohne zu reflektieren, dass einige Länder diese Wagen zur gewaltsamen Unterdrückung von Demonstranten einsetzen könnten, die für Demokratie auf die Straße gingen. Der Mann habe stolz davon berichtet, auf diese Weise in Deutschland Arbeitsplätze zu schaffen. Doch weiter habe er offenbar "nicht gedacht".

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