Festtagsbraten:Wilde Weihnachten

Weihnachten

Nie ist Rehkeule beliebter als zu den Festtagen.

(Foto: HLPhoto - Fotolia)

Warum wird überhaupt gejagt? Ist Wild automatisch Biofleisch? Und worauf muss man beim Kochen achten? Nie sind Reh und Gans beliebter als zu den Festtagen. Doch die Zubereitung verunsichert viele Hobbyköche. Ein Jäger und Koch weiß Rat.

Von Hans Gerlach

Warum wird überhaupt gejagt?

Der Koch Corbinian Kohn lief schon als Junge lieber in den Wald als in die Schule, der Patenonkel war Jäger und nahm ihn manchmal mit. Mit 13 bildete Kohn dann seinen ersten Jagd-Dackel aus, den Jagdschein finanzierte er später mit den Erlösen seines ersten Kochbuchs ("Das Marcipane Kochbuch"). Zu der Zeit betrieb er zusammen mit Autor Jan Weiler ein feines Restaurant am Starnberger See. Als Jungjäger war Kohn im Wald jedoch glücklicher als im trubeligen Lokal, und so schloss er dieses und gründete einen Wildhandel, die Wuid Gmbh. Für kulinarisch interessierte Wild-Rechercheure ist Kohn also ein Glücksfall: Jäger, Hobby-Metzger, Ex-Restaurantbetreiber, Koch und Kochbuchautor in Personalunion.

Sein Pirschbezirk - das ist so eine Art Untermietverhältnis für Jäger - liegt in den Ammergauer Alpen, nicht weit von Schloss Neuschwanstein. Und einen gesunden Mischwald, wie vor allem wir Deutschen ihn mögen, gebe es eben nur mit konsequenter Jagd, erklärt Kohn. Denn Rehe äsen mit Vorliebe besonders junge, zarte Triebspitzen. So kann ein einzelnes Reh viele junge Bäume zerstören. Ähnliches gilt für Gämsen, Dam- und Rotwild, also Hirsche. Sogenannte Wildschäden waren nie ein Problem, solange Bär, Luchs und Wolf mit Vorliebe junge, zarte Rehe fraßen und so die Menge des Wildes im Wald begrenzten. Heute müssen Jäger diese Aufgabe übernehmen und so viele Rehe schießen, dass der Wald sich von selbst verjüngen und damit überleben kann. Sonst blieben die Wälder artenarm - trotz regelmäßiger, teurer Aufforstung.

Ökologie oder Tradition?

Die Erkenntnis, dass Naturschutz die wichtigste Aufgabe der Jagd ist, liegt also auf der Hand, ist aber relativ neu. Noch in der Generation von Kohns Patenonkel waren nicht wenige Jäger stolz auf die vielen Geweihe in der guten Stube und den großen Wildbestand in ihrem Revier. Und für Spaziergänger sah so ein Wald voller Wild nach intakter Natur aus. Dabei ist es ein Alarmzeichen: Wenn man in einem Waldstück regelmäßig Wild beobachten kann, dann ist das schon zu viel. Der Ökologische Jagdverband engagiert sich deshalb im Sinne des Waldes für höhere Abschusszahlen als die verfeindeten Traditionalisten. Denn es gibt auch heute noch Jäger, die Wildbestände in ihren Revieren bewusst möglichst hoch halten.

Vor allem männliche Tiere mit regelmäßig geformten Geweihen werden dort kaum bejagt, bis die Geweihe groß genug sind, um als Trophäe an die Wand gehängt zu werden. Erst dann werden "kapitale" Hirsche "geerntet" wie Radieschen. Das Wort Ernte trifft es tatsächlich gut: Der Hirsch kommt nämlich gar nicht auf die Idee zu flüchten. Weil er vorher zehn Jahre lang die Erfahrung gemacht hat, dass der Jäger zwar im Wald präsent ist, aber nicht auf den Hirsch schießt. Bei dieser Form der Jagd geht es sehr um Repräsentation, wenig ums Essen und kaum um den Wald.

Wieso gibt es immer mehr Wildschweine?

Eigentlich ist das Revier von Corbinian Kohn ein Hirsch- und Gamsrevier, doch seit ein paar Jahren schießt er dort auch Wildschweine. Die werden von Jahr zu Jahr mehr, erzählt der Jäger: Mit ihren dünnen Fellchen überleben eigentlich nur wenige Frischlinge einen strengen Winter. Um die Verluste auszugleichen, vermehren sich die Tiere jedoch sehr schnell, sobald die Bedingungen gut sind. Auch sorgt der intensive Anbau von Mais und anderen Energiepflanzen zunehmend für beste Freiland-Mastbedingungen für Schwarzwild, das ist der Fachbegriff für Wildschweine. Außerdem gab es zuletzt kaum noch strenge Winter, die Wildschweine haben sich also extrem vermehrt. Jetzt um Weihnachten sind einjährige Tiere, sogenannte Überläufer, besonders saftig, zart und mildaromatisch.

Warum ist Wild nicht so populär?

Wenn der Genuss von Reh, Hirsch und Wildschwein die Umwelt schützt und angeblich sogar unsere Gesundheit fördert, müsste Wild auf dem Speisezettel doch viel beliebter sein. Aber das ist nicht der Fall. Schuld sind womöglich Mythen über die Wildküche aus einer Zeit, bevor es Kühlschränke gab. Damals nahm ein Reh im Schuppen des Jägers bald üble Gerüche an. "Haut goût", wie der beschönigende Begriff aus der französischen Küche lautet, ist ein sehr gutes Beispiel für eine grundlegende menschliche Eigenschaft: Wenn uns etwas Unabänderliches nicht passt, dann reden wir es uns schön. Als Wildfleisch müffelte, weil Jäger weder Geländewagen noch Kühlhäuser besaßen, erklärten Köche den Fehler zum Ziel.

Natürlich muss auch Wildfleisch reifen, wie jedes andere Fleisch auch, aber eben nicht so lange: Corbinian Kohn lässt ein Reh fünf Tage abhängen - natürlich im Kühlhaus. Jäger brechen heute das erlegte Wild sofort auf, nehmen es aus und sorgen dafür, dass das Fleisch gekühlt wird. Deshalb muss der feine Rehbraten heute nicht mehr penibel durchgebraten werden. Und weil er nicht mehr ewig gebraten wird, muss man den Braten auch nicht mehr spicken, um zu lange gegartes Fleisch doch noch irgendwie saftig erscheinen zu lassen. Die Vorurteile und die Angst vor dem "strengen" Geschmack bestehen trotzdem weiter.

Ist Wild automatisch Biofleisch?

In seinem Betrieb in Kochel am See bereitet Corbinian Kohn Wild aus eigener Jagd und von Berufsjägern der Staatsforsten küchenfertig vor. Die Teile sind perfekt zerlegt, ohne Häutchen und Sehnen. Einige Biomärkte gehören zu Kohns Kunden, denn Wild gilt als korrektes Fleisch für umweltbewusste, solvente Teilzeitvegetarier: sehr fein und gesund mit viel Eisen und Vitamin B12, wenig Fett und ohne jegliche Zusatzstoffe. Im Wald leben die Tiere freier als jedes Biorind und den Schuss des Jägers hört das Tier schon nicht mehr. Bioläden dürfen Wild zwar verkaufen, doch zertifizieren lässt es sich bis jetzt nur, wenn es aus Gatter-Haltung stammt - man weiß ja nie ganz genau, wie der Speisezettel freier Wildtiere aussieht.

Corbinian Kohn empfiehlt Wild auch von spezialisierten Betrieben der Staatsforsten. In Bayern zum Beispiel haben sich die Forstbetriebe in Ebrach, Wasserburg, Pegnitz und Weißenhorn auf die Direktvermarktung spezialisiert. Es gibt natürlich auch zuverlässige Wildhändler, wie auf dem Münchner Viktualienmarkt - gut ist es jedenfalls immer, wenn man die Herkunft des zukünftigen Bratens erfragen kann.

Wann ist die beste Saison?

Eigentlich gilt der Herbst als wichtigste Wildsaison. Zu Unrecht: Schwarzwild wird ganzjährig bejagt, Corbinian Kohn meint, Rotwild schmecke im Sommer am allerbesten. Und die Rehsaison in Bayern geht vom ersten Maibock bis zum 15. Januar. Die Wahrheit lautet: Grillzeit ist Wildzeit - Wintergrillen inklusive. Das stimmt natürlich nicht für brunftige Hirsche im Herbst und rauschige Keiler im Winter, wenn das Fleisch der Tiere im Liebesrausch von Hormonen so verseucht ist, dass es zum Verzehr nicht taugt. Aber zu diesen Zeiten gibt es immer noch genügend junge oder weibliche Tiere die bestens schmecken.

Der Auslöser für dieses Missverständnis waren wieder die fehlenden Kühlschränke unserer Vorväter: Im Herbst blieb das Fleisch einfach länger genießbar. Doch jeder, der einmal an einem lauen Sommerabend ein Wildschweinnackensteak auf den Grill gelegt hat, oder vielleicht an Weihnachten von einer langsam zartrosa gegrillten Rehkeule gekostet hat - der ist für immer bekehrt.

Worauf muss man bei der Zubereitung achten?

In der Küche ist es ganz simpel: Man sollte Reh- und Hirschkeulen, aber auch die jeweiligen Rückenstücke, so braten wie Rind. Also je nach Geschmack ganz oder in Medaillons, mit oder ohne Knochen und mehr oder weniger rosa - dabei möglichst nie ganz durch. Rosa gegart hat das Fleisch einen zarten Biss und schon genug Hitze abbekommen, sodass sich feine Fleischaromen entfalten. Rehrezepte eignen sich immer auch für Hirsch und umgekehrt, nur die Garzeiten ändern sich mit der Dicke der Fleischstücke. Corbinian Kohn paniert manchmal Schnitzel aus den Keulen, am liebsten mit Nussbröseln. Unabhängig vom Rezept empfiehlt er, kurzgebratenes Wild unbedingt kurz ruhen zu lassen. Dabei entspannt sich das Fleisch und es tritt etwas Saft aus, der jede Sauce veredelt.

Schultern von jungen Rehen kann man genauso gut kurz und rosa braten wie die Keulen. Schultern von älteren Tieren oder von Hirschen sowie auch Haxen oder Brustfleisch eignen sich besser für den Schmortopf. Hier dürfen es sogar traditionelle Marinaden sein: Rotwein, Wurzelgemüse, Knoblauch, Wacholder, Thymian und ähnliche Gewürze sind gut, um zähe Stücke im Laufe von einigen Tagen im Kühlschrank deutlich zarter zu machen. Vor allem aber geben sie später Fleisch und Sauce ihren wunderbar würzigen Geschmack.

Die Wildschweinküche ist noch einfacher: Rezepte für Schweinefleisch eignen sich auch für Wildschwein. Weil dem Wildschwein mit dem Fell auch die Schwarte abgezogen wird, lässt sich jedoch ein bayerisches Lieblingsrezept leider nicht übertragen: für den Krustenbraten bräuchte man die Schwarte, die im Ofen knusprig wird.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: