Ausstellung "Unter Druck!" in Leipzig:Menschen, Tiere, Redaktionen

Medienausstellung 'Unter Druck'

"Bild"-Titelseiten zum ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff sind ein Teil der Ausstellung.

(Foto: dpa)

Wallraffs Sakko, Merkels verwanztes Handy und die Mailbox von Kai Diekmann: Die Leipziger Ausstellung "Unter Druck! Medien und Politik" präsentiert die Ränkespiele der Macht wie Zirkusnummern - und rückt manches Bild zurecht.

Von Cornelius Pollmer

Es ist nur eine Nebensächlichkeit, von der auf dieser kleinen Tafel erzählt wird, aber was für eine: Vor einiger Zeit wäre ein beachtliches Stück deutscher Geschichte fast ersoffen, in einem Swimmingpool in der Türkei. Dort verbrachte die Familie Diekmann einen Urlaub, auf einmal flutschte das Blackberry von Papa Kai ins Wasser und mit ihm jene Speicherkarte und damit jene Nachricht, an die man noch heute denken muss, wenn einem irgendwo die Begriffe "Emir" oder "Rubikon" begegnen.

Das Handy jedenfalls wurde geborgen, ein Computertechniker hebelte es auf, um die Karte zu retten, und nun liegt es da, zerbeult, in einer Vitrine im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig. Die zugehörige Ausstellung heißt "Unter Druck! Medien und Politik", und wenn alle drei Substantive in jüngster Zeit in beeindruckender Weise zusammengefunden haben, dann wohl in diesem Anruf des Bundespräsidenten Christian Wulff, der gerade nicht nur auf dem Weg zum Emir war, sondern auch auf dem zum Zusatz "a. D.".

Vitrinen wirken wie Trophäenschränke

Wulffs Grußwort auf der Mailbox des Chefredakteurs der Bild-Zeitung ist der Star dieser Ausstellung. Es ist eine halbverbotene Freude, sich in diesen Moment der Geschichte einzuklinken. Man hört das Rauschen im Hintergrund, die überraschend ruhige Tonlage Wulffs, das filmszenenreife, lakonische Ende: "Danke schön. Wiederhören, Herr Diekmann." Geht einen natürlich nicht so richtig viel an. Ist dennoch: herrlich. Und wer sich noch an den alten Spruch von der Bild-Zeitung als Paternoster-Zeitung erinnert, bei der man mit Betreten des Aufzugs nach oben stets auch das Ticket für die Rückfahrt löst, der muss ein letztes Mal schmunzeln, wenn er am Ende den Kopfhörer wieder absetzt. Er ist von der Marke "Lift".

Wer sich von Neugier, auch niederer, leiten lässt, der kann eine Menge Freude haben in dieser Ausstellung in Leipzig. Es wurde dort viel Hausrat zusammengefahren, die Vitrinen wirken teilweise wie Trophäenschränke. In einem dieser lagert ein zweites Handy, jenes der Bundeskanzlerin, ein Siemens S55, in Gebrauch bis 2005. Daneben steht nur das Nötigste, nämlich ein Zitat von Angela Merkel: "Ausspähen unter Freunden - das geht gar nicht."

Ferne Zeit ohne GEZ-Wut

Komplettiert wird der NSA-Komplex mit dem MacBook Pro des Spiegel-Redakteurs Marcel Rosenbach. Mit dem habe er zu den Praktiken des Geheimdienstes recherchiert, heißt es im Beitext einen Hauch zu salbungsvoll. Auch bei Rosenbachs Laptop aber obsiegt am Ende die Nebensächlichkeit - in Gestalt des Fetzens eines Post-it-Zettels, mit dem Rosenbach die Kamera abgeklebt hatte. Ausspähen von Journalisten, das geht gar nicht.

So geht es fort. Sehen Sie noch einmal: das Jackett des Journalisten und Schauspielers Günter Wallraff aus seinem großen Erfolg "Der Mann, der bei Bild Hans Esser war". Ein Sonntagabend-Kostüm der Designerin "Bettina Schoenbach Hamburg", aus der Zeit, in der Günther Jauch noch Sabine Christiansen hieß. Sowie ein Plakat aus einer noch ferneren Zeit, in der es noch keine GEZ-Wut auf den "Staatsfunk" gab. Ein Junge hält darauf lächelnd zwei Deutsche Mark und bittet: "Zahl die kleine Funkgebühr / Hör die große Welt dafür".

Vom coolen Baron zur verlorenen Ehre

Medienausstellung 'Unter Druck'

Pflastersteine, die während der "Osterunruhen" 1968 als Wurfgeschosse eingesetzt wurden.

(Foto: dpa)

Spannender gerät die Ausstellung dort, wo sie keine dieser gewiss anschaulichen Zirkusnummern aufführt, wo sie stattdessen versucht, Zusammenhänge und Verläufe sichtbar zu machen. "Florida-Rolf" lächelt noch einmal von der Titelseite, seinerzeit zum Vorzeige-Schmarotzer stilisiert: "ER lacht uns alle aus!" Die Zeile verpufft, schaut man auf die Zahlen darunter, sie stammen aus dem Jahr 2002.

25 Milliarden Euro Sozialhilfe zahlte der Staat damals aus, 4,3 Millionen Euro davon ins Ausland. Macht 0,017 Prozent. An solche Zusammenhänge darf sich erinnern, wer gerade von goldenen Armaturen in Flüchtlingsunterkünften träumt oder sich von anderswie unruhigem Schlaf geplagt fühlt.

Einfache Idee, große Wirkung, das gilt auch für die besonders verblüffende mediale und politische Karriere des KTG. In einem Rondell aus Titelseiten lässt sich der Weg Karl-Theodor zu Guttenbergs nachvollziehen, der als "Der coole Baron" begann und dem irgendwann nicht viel mehr blieb als "Die verlorene Ehre". Wirklich alles ist eitel. Und fast schon gehässig stapelt sich nebenan eine Auswahl von 21 Büchern, aus denen der Baron auf seinem Weg zum zwischenzeitlichen Doktor abgeschrieben hatte.

Hundefutter als Nebengeschäft

Die Ausstellung belehrt nicht, sie lässt jedem seine Sicht. Wer unter Journalismus die kritische wie notwendige Begleitung und Kontrolle von Politik versteht, dem wird dies genauso wenig ausgeredet wie anderen eine gegenläufige Wahrnehmung. "Unter Druck!", das bedeutet aber nicht nur den Rücktritt von Politikern oder von Journalisten aufgedeckte Skandale. Es bedeutet auch, in nicht unerheblicher Weise: Hundefutter. Drei Dosen "Rocco classic" stehen im Zeitgeschichtlichen Forum, daneben eine Packung tazpresso und eine Flasche Rotwein.

Es geht um die Nebengeschäfte großer Verlagshäuser und deren Versuch, sich auch darüber zu finanzieren. In den hinteren Räumen der Ausstellung wird es gefühlt denn auch ein paar Grad kälter, zu sehen ist etwa ein bislang unbeantwortetes Transparent, mit dem Redakteure der Financial Times Deutschland deren Sterben begleitet hatten. Weiß auf schwarz ist da zu lesen: "Unabhängiger Journalismus kostet Geld! Aber wer zahlt?" Eine Frage wie ein Palliativum.

Die Ausstellung (noch bis zum 9. August) gibt darauf natürlich keine Antwort, wie könnte sie? Verlässt man sie, wünscht man sich dennoch, dass es nach dem letzten noch einen allerletzten Raum gäbe. Einen, der die Reise vom Volksempfänger bis zu den Youtube-Kommentaren der Nutzer "Leck mich" und "XX 76536" fortschreibt, in eine wie auch immer gestaltete Zukunft. Die Ausstellung aber endet im Heute, jede Sekunde wieder, mit drei Bildschirmen, auf denen n-tv läuft.

Für das Sicherheitspersonal ist das ein geht-so-interessanter Pausenfüller, für die nach Bezahlmodellen fahndende Branche nicht einmal eine Anregung. Wer zahlt? Die Frage werden in jeglicher Hinsicht andere beantworten müssen. Der Eintritt in Leipzig, er ist frei.

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