Rituale zur Weihnachtszeit:Advent der Atheisten

Kaufrausch und Glühwein-Suff: Ist das noch der richtige Advent mit seinen Ritualen? Das ist die falsche Frage.

Von Christian Weber

Nun grummeln sie wieder, die strengen Christen und Konsumkritiker: Weihnachtsmänner an Hausfassaden, Kaufrausch in Shoppingcentern, Glühwein-Suff auf dem Christkindlmarkt. Dazu rotnasige Rentiere, importiert aus den USA. Stimmt man sich so auf das Fest zur Geburt Jesu ein? Mit einem Advent in deutscher Tradition, samt seiner Rituale, hat das doch nichts mehr zu tun. Womit wir beim Thema wären.

Vermutlich haben einige Millionen Menschen im Lauf der Geschichte ihr Leben verloren, weil sie ihre Rituale ein wenig zu ernst genommen haben. Zwar schlagen sich Protestanten und Katholiken nicht mehr die Schädel darüber ein, wie denn die Transsubstantiation während des Abendmahls richtig zu verstehen sei (es geht um die Frage, ob und wie sich Brot und Wein in die Realpräsenz Jesu verwandeln). Aber immer noch sind fromme Menschen davon überzeugt, dass ein Ritual am besten ist, wenn es sich nie ändert. Das ist auch der Grund, warum Teile der Kirchen neue Rituale kritisch betrachten, etwa die leuchtenden Kürbisse zu Halloween.

Rituale müssen sich ändern dürfen

Stimmt schon, man muss der katholischen Kirche zugestehen, dass sie ein Ritual wie die Eheschließung nach 2000 Jahren Übung meist besser hinbekommt als die modernen freiberuflichen Berater, die sich gerne "etwas ganz Individuelles" fürs Paar mit Kerzen und Musik ausdenken - und damit das Wesen des Rituals ebenfalls komplett missverstanden haben. Die Kraft der Rituale beruht durchaus darauf, dass Skripte befolgt werden, die für die Gruppe verbindlich sind. So dass man in schwierigen Lebenssituationen nicht lange überlegen muss, was gerade zu tun ist. Rituale reduzieren Komplexität, stiften Gemeinschaft und künden vom Fortbestand der Welt.

Dennoch: Die Kerneinsicht der modernen sozialwissenschaftlichen Ritualforschung ist, dass Rituale sich über die Jahre auch ändern müssen, wenn sie nicht erstarren und ihre Funktion verlieren sollen: Mit dem Spanischen Hofzeremoniell bewältigt man keine Finanzkrise. Die Tridentinische Messe erzeugt zwar schöne Gefühle bei Feuilleton-Katholiken, verschreckte aber viele Kirchgänger. Und so feiert man eben auch Weihnachten anders als vor 50 Jahren. Dennoch bleibt es ein wichtiges Fest, selbst für Atheisten, die am 24. Dezember nicht in die Kirche gehen, aber sich dennoch unter dem Tannenbaum versammeln.

Es sollte um Symbolik gehen, nicht um Magie

Manchmal kann es sogar ganz hilfreich sein, ein Ritual aus anderen Kontexten oder Kulturen zu transferieren. So kann man etwa in Halloween auch eine Chance für Kinder sehen, das Unheimliche des Lebens zu bewältigen. Das Fest bannt die Monster, die womöglich unter der Bettkante lauern. Und es ist eine Ergänzung der peripheren christlichen Feste, die ohnehin am Verblassen sind.

Die Einsicht in die Formbarkeit und Dynamik der Rituale könnte aber auch bei größeren Problemen hilfreich sein. So deuten etwa Studien aus indigenen Kulturen Amerikas, aber auch aus Drogen-Subkulturen in Deutschland darauf hin, dass der stark ritualisierte Konsum von Halluzinogenen zu einem besseren Umgang mit ihnen führt. Auch bei den aufgeregten Diskussion um die Beschneidung bei der jüdischen Brit Mila wurde vor allem über das Ja oder Nein gestritten und überRisiken, kaum über die Frage ob man die Prozedur nicht so abändern könne, dass keine Vorhaut verloren geht. Solche Transformationen verlangen allerdings die Einsicht, dass es bei den Ritualen um Symbolik geht, statt um Magie. Damit tun sich nicht nur Religionen schwer.

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