SZ-Adventskalender:Selbst zum Sterben zu wenig

Sonja N. und Sebastian W. haben ihr Leben lang gearbeitet, jetzt sind sie alt, gebrechlich und mittellos. Sonja N., 84, hat nicht einmal genug Geld, um die Bestattungskosten für ihren Sohn zu bezahlen.

Von Monika Maier-Albang

Ein zarter Winterregen fällt auf die Büsche im Vorgarten, aber selbst, wenn die Sonne schiene, hätte Sebastian W. nichts davon. "Bei mir ist immer Herbst", sagt er. Der Balkon geht nach Norden, es ist einer dieser viel zu flachen Balkone, die man früher an die Betonkastenhäuser gesetzt hat und die gerade mal einen Wäscheständer aufnehmen. Gemütlich sitzen lässt es sich dort nicht.

Das aber wäre schon ein Zugewinn für Sebastian W. Seit drei Jahren kann er seine Wohnung ohne fremde Hilfe nicht verlassen. Drei Jahre sind eine unendlich lange Zeit für einen Menschen, der sich gerne mit anderen Menschen unterhält. Und der dabei ausgesprochen unterhaltsam ist.

Sebastian W. (alle Namen geändert) hatte immer Gesprächspartner um sich herum, sein ganzes Berufsleben lang. Gemeinsam mit seiner Frau, die vor einigen Jahren an Brustkrebs starb, betrieb der heute 83-Jährige eine chemische Reinigung, was gut war für ihn und gleichzeitig verheerend. Das Gute daran war die Kundschaft, "so viele nette Leute", erzählt W., "so viele Begegnungen, jeden Tag." Es gab Menschen, denen brachte er die gesäuberte und gebügelte Kleidung nach Hause, einfach so, nicht gegen Aufpreis, weil es ihm nichts ausgemacht hat.

An einen Kunden denkt er oft. Der kam mit einem schwarzen Kaschmirmantel, 6000 Euro wert. "Das teuerste Stück, das ich je hatte. Federleicht war der und unheimlich warm." Mit dem Mantel hat Sebastian W. sich besondere Mühe gegeben. Macht ja auch mehr Freude, so ein Teil zu reinigen, als all die chinesische Billigware, die später aufkam - Kleidung, die selbst bei umsichtiger Reinigung die Farbe nicht hielt.

Und dann erzählt W. von der neuen Maschine, die er sich in den Achtzigerjahren gekauft hat. 120 000 Mark habe sie gekostet, seine Lebensversicherung gab er der Bank als Sicherheit für den Kredit. Zwei Jahre später wurde die Maschine durch ein neues Emissionsschutzgesetz wertlos, das angesparte Geld war verloren.

"Zum Leben bleiben mir im Monat 80 Euro"

Heute würde Sebastian W. gerne ab und an einen der alten Freunde wiedersehen. Aber die Wege haben sich getrennt. Seine Welt ist überschaubar geworden und ohne Rollator nicht begehbar. Und wenn die Freunde von ihren Reisen erzählen, vom Besuch im Lokal, dann ist das für W. nur schmerzhaft. "Zum Leben bleiben mir im Monat 80 Euro." Er teilt sich den Betrag ein, 20 Euro pro Woche. "Davon kann man scho a bisserl leben, wenn man aufpasst", sagt W. in seinem warmen oberbayerischen Dialekt. "Aber wenn ich Rasierklingen brauche, wird's eng."

Dabei bräuchte er natürlich mehr: Nahrungsergänzungsmittel, Vitaminpräparate. Feste, warme Schuhe. Die Nieren arbeiten nicht mehr gut, die Leber ist kaputt. "Getrunken hab' ich aber nie", sagt W. vorsorglich, "ich musste doch meinen Führerschein behalten. Ich musste ja die Ware ausfahren." Die vielen chronischen Leiden, die ihn gebrechlich haben werden lassen, führt er auf die Lösungsmittel zurück, denen er so lange Jahre ausgesetzt war. 30 Seiten füllt das ärztliche Attest, das nachweisen sollte, dass seine Erkrankungen berufsbedingt sind. Die Antwort der Kasse: "Ansprüche bestehen nicht."

So können Sie spenden

Wer helfen will, wird um ein Geldgeschenk gebeten, Sachspenden können leider nicht entgegengenommen werden. Bareinzahlungen sind von Montag bis Donnerstag von 9.30 bis 18 Uhr sowie Freitag und Samstag von 9.30 bis 16 Uhr im SZ-Servicezentrum, Fürstenfelder Straße 7, möglich. Sicher online spenden können Leser im Internet unter www.sz-adventskalender.de. Überweisungen sind auf folgendes Konto möglich.

"Adventskalender für gute Werke

der Süddeutschen Zeitung e.V."

Stadtsparkasse München

IBAN: DE86 7015 0000 0000 6007 00

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Spenden sind steuerlich abzugsfähig; bis zu einem Betrag in Höhe von 200 Euro reicht der vereinfachte Nachweis. Bei Spenden in Höhe von mehr als 200 Euro senden wir Ihnen die Spendenbestätigung zu, sofern auf der Überweisung der Absender vollständig angegeben ist. Jede Spende wird ohne Abzug dem guten Zweck zugeführt. Alle Sach- und Verwaltungskosten, die entstehen, trägt der Süddeutsche Verlag. www.facebook.com/szadventskalender

Vor vier Jahren ist Sebastian W. das erste Mal gestürzt; er hat sich dabei den Oberschenkelhals gebrochen. Knapp zwei Jahre später dann die gleiche Fraktur am anderen Bein. "Das waren dumme Stürze", sagt W., einmal ist er im Gang ausgerutscht, als er das Telefon erreichen wollte. Ein andermal im Garten von Bekannten einfach umgeknickt. "Früher wär's halt ein blauer Fleck gewesen." Jetzt bedeutet es Einzelhaft.

Vor kurzem ist auch noch der alte Computer kaputt gegangen, den W. für Überweisungen braucht und mit dem er die letzten verbliebenen Kontakte aufrecht hält. Ansonsten sieht er nur noch die Caritas-Helferin, die einmal in der Woche für ihn einkaufen fährt, und die Frau vom Besuchsdienst, die ihn zum Arzt fährt. Er sei dankbar, dass es diese Menschen gibt, sagt W. Aber der lange Rest der Woche ist trotzdem einsam. "Man müsste halt jeden Tag rausgehen. Und wenn's nur a kleine Strecke ist." Das ist sein größter Wunsch, ein schwieriger: "Wenn das Laufen halt nur wieder in die Gänge kamat."

Sonja N. fehlt das Geld für die Bestattung ihres Sohnes

Auch Sonja N. hat einen Wunsch. "Dass das alles nur bald vorbei ist." Sie hat Anfang Dezember ihren Sohn Andreas verloren, seitdem wollen alle etwas von ihr: das Standesamt Urkunden, die Behinderteneinrichtung, in der Andreas gewohnt hat, dass sein Zimmer geräumt wird, der Bestattungsdienst: Geld.

2397 Euro - das ist der Kostenvoranschlag. "Dabei hab' ich eh die einfachste Ausstattung genommen", sagt N., eine Feuerbestattung, das Grab war schon da. Die Geldforderung bereitet N. momentan große Sorgen. Sie weiß ja ohnehin nicht, wovon sie leben soll. Mit ihren 84 Jahren arbeitet sie noch als Hausmeisterin, räumt Schnee, wenn er nicht zu hoch liegt, bläst das Laub fort, ist Mittelsfrau zur Hausverwaltung.

SZ-Adventskalender: Sonja N. hat gerade ihren Sohn verloren, am Dienstag wurde er beigesetzt. Nun ist sie in Sorge wegen der Bestattungskosten.

Sonja N. hat gerade ihren Sohn verloren, am Dienstag wurde er beigesetzt. Nun ist sie in Sorge wegen der Bestattungskosten.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Sie brauche den Zuverdienst, sagt N., und atmet dabei schwer. Die Lunge, das Herz, alles funktioniert nicht mehr, wie es soll. Nur putzen könne sie nicht mehr, erzählt die Rentnerin. Sie hat schwere Neurodermitis, die Salben, die ihrer Haut gut tun, muss sie sich nicht nur sprichwörtlich vom Mund absparen. Jahrelang arbeitete N. als Spülerin, bis sie die Stelle wegen der Hautprobleme aufgeben musste. "Wenn ich Handschuhe trug, sind meine Hände aufgeplatzt. Aber ohne Handschuhe vertrug ich die Putzmittel auch nicht", erzählt sie.

Sonja N. wohnt im fünften Stock in einem Meer aus Plastikblumen und Puppen. Die Einkäufe hochzutragen, ist für sie eine Qual. "93 Stufen sind es. Ich habe sie gezählt", sagt N. Sie muss Pausen einlegen, um überhaupt hinaufzukommen. Einen Aufzug gibt es in dem Altbau nicht, aber er wäre auch keine Alternative. Sonja N. hat Angst vor Aufzügen.

Als junge Frau musste N. in Sachsen im Bergwerk arbeiten. "Ich sollte mich mal melden bei den Behörden, hat es damals geheißen", erzählt N., deren Heimat 1950 unter russischer Besatzung lag. Sie landete in einem Uranbergwerk in Oberschlema, unter Tage führte ein Aufzug, den sie als wackeligen Metallkäfig in Erinnerung behalten hat. "Das war immer ein ganz merkwürdiges Gefühl, wenn wir da hinunterfuhren. Ich war mir nie sicher, ob ich nach der Schicht wieder auf die Erde zurückkomme oder ob das Seil reißt und du liegst unten."

"Warum hat der Andreas vor mir gehen müssen?"

Viele Frauen waren zu der harten Arbeit abkommandiert, "da war die Gleichberechtigung da", sagt N. höhnisch. "Das Uran lag wie Goldfäden vor uns", erinnert sich Sonja N., "und dann sollten wir das Atomzeugs waschen." Die Schutzkleidung, die man ihnen gab, musste ein Jahr halten. "Aber sie war vorher schon immer ganz zerfressen." Ein paar Jahre hat sie es ausgehalten, dann, mit 24, packte N. ihre Sachen und floh.

Mit fünf Kollegen versteckte sie sich in einem Güterzug. "Wir hatten so ein Glück, dass der Zug nicht kontrolliert wurde. Und wir wussten nicht einmal, wohin er fährt", sagt N. Er fuhr nach Berlin. Von dort ging es weiter in ein Flüchtlingslager nach Uelzen in Niedersachsen, dann nach Kehl, wo sie ihren Mann kennenlernte. Die Kinder kamen, zwei Söhne waren behindert. Andreas war ein halbes Jahr alt, als Sonja N.s Mann bei einem Autounfall ums Leben kam. Die Kinder wuchsen im Heim auf, die Mutter konnte sie nur noch am Wochenende sehen. "Es war schrecklich für uns", sagt sie.

Einer ihrer Söhne bekam bei der Geburt zu wenig Sauerstoff. Der jüngste, Andreas, stürzte aus dem Kinderwagen, als er sechs Wochen alt war. "Die Ärzte haben mir damals gleich gesagt, des wird nichts mehr." Aber Andreas sei eine Kämpfernatur gewesen, sagt die Mutter, und er hat seinen Weg gemacht. Zuletzt hatte er in einem Café gearbeitet, das von der Behinderteneinrichtung betrieben wird, die sich um den 51-Jährigen gekümmert hat.

Von ihrem Andreas hat sie jetzt Abschied nehmen müssen. In der Einrichtung haben sie mit einer kleinen Feier seiner gedacht. "Es sind viele Leute gekommen, das war schön", erzählt N. Wieder war es für sie ein Abschied kurz vor Weihnachten. Auch ihr Mann starb im Dezember. "Warum hat der Andreas vor mir gehen müssen, das versteh' ich nicht", rätselt Sonja N. "Warum hab ich nicht gehen können und er noch dableiben?"

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