Kriege der USA:Alles auf Anfang

82nd Airborne Troops Return From Deployment To Iraq

Wiedersehen in Fort Bragg: Erin Bramhall umarmt ihren Mann Joshua Bramhall, als er 2010 aus dem Irak heimkehrt.

(Foto: Chris Hondros/Getty)
  • Nach 13 Jahren soll der Einsatz in Afghanistan enden, die USA ziehen ab. In der Heimat werden die Soldaten von ihren Freunden und Familien empfangen.
  • Zurückbleiben sollen zunächst 10 800 Soldaten. Sie sollen den fragilen afghanischen Staat und seine Sicherheitskräfte gegen Islamisten stärken.
  • Im Irak sehen sich die Amerikaner hingegen gezwungen, immer stärker in den Kampf gegen die Terrormiliz IS einzugreifen. Wer behauptet, Amerika setze keinen "Stiefel" auf irakischen Boden, ist nicht ganz ehrlich.

Von David Hesse, Fort Bragg

Das Blechblasorchester rumpelt, Cheerleaderinnen wedeln mit Pompons, irgendwer hat eine Rauchmaschine angeworfen für den dramatischen Effekt. Vielleicht ist das nicht passend; einmal mehr marschieren die Soldaten des 18. Luftlandekorps nun wie durch Pulverdampf heran. Immerhin, ihre Waffen durften die etwa 100 Männer und Frauen am Halleneingang abgeben, und viele tragen statt grimmiger Entschlossenheit ein Grinsen im Gesicht. Ihr Krieg ist vorüber. Sie sind zurück aus Afghanistan.

"Willkommen daheim, Papa" steht auf handgemalten Schildern. Kinder, Partner und Verwandte stehen Spalier, schwenken USA-Fähnchen und Ballons. "Aus dem Weg, ich will meinen Mann küssen", verkündet das Poster von Christine Crafton, einer blonden jungen Frau aus Holly Springs, North Carolina. Neun Monate erst war sie mit ihrem Walter verheiratet, als er nach Afghanistan beordert wurde. Ein Jahr lang blieb er weg. "Wir haben viel nachzuholen", sagt Crafton, stellt sich auf die Zehenspitzen, um ihren Mann zu finden. Während der Nationalhymne müssen die Soldaten noch lange im Kunstnebel stramm stehen, dann endlich kommt der erlösende Befehl: "dismissed" - wegtreten. Rucksäcke knallen zu Boden, alles fliegt sich in die Arme, Kinder werden hochgehoben und bestaunt.

2354 Tote auf amerikanischer Seite

"So geht das jede Woche hier", sagt Majorin Crystal Boring. Es herrscht Heimkehrstimmung auf der riesigen Militärbasis Fort Bragg im US-Bundesstaat North Carolina. Der Krieg in Afghanistan, der längste in der Geschichte der USA, soll bis Ende des Monats enden. Wenige Wochen nach den Anschlägen des 11. September 2001 trafen die ersten Soldaten in Afghanistan ein. Damals war die Welt noch eine andere. 13 Jahre Kampf und Verschleiß, 2354 Tote auf amerikanischer und sicher zehn Mal so viele auf afghanischer Seite, dazu Tausende Verwundete und Traumatisierte.

Nun wird das Feld geräumt. Am 8. Dezember wurde in Kabul die US-Flagge zeremoniell eingeholt, zwei Tage später ein besonders umstrittenes Symbol der Besatzung demontiert: das letzte US-betriebene Gefängnis auf dem Luftwaffenstützpunkt Bagram. Dort wurden Hunderte Gefangene ohne Anklage festgehalten und teilweise brutal verhört. Armeepapiere, die der US-Presse zugespielt wurden, berichten von Misshandlungen. Menschenrechtsorganisationen hatten gewarnt, hier entstehe ein neues Guantanamo oder Abu Ghraib. Dass das Lager einen Tag nach der Veröffentlichung des US-Folterberichts geschlossen wurde, passt.

Die letzten Insassen sind den lokalen Behörden übergeben worden. Die wollen es besser machen als die Amerikaner: Der neue Präsident Afghanistans, Aschraf Ghani, hat die CIA-Praktiken diese Woche als "unmenschlich" verurteilt und geschworen, sein Land werde die Würde aller Gefangenen achten. Auch wenn an der Menschenfreundlichkeit afghanischer Gefängnisse wohl gezweifelt werden darf: Der US-Folterbericht rührt an eine Wunde. Mehrere der beschriebenen Geheimgefängnisse befanden sich in Afghanistan. Unter Obama ist das Quälprogramm zwar eingestellt worden, doch der Krieg blieb grausam. Bis heute gibt es Vorwürfe an die Amerikaner.

Dennoch dürfen sie bleiben. Das afghanische Parlament hat sich für eine US-Resttruppe ausgesprochen und das entsprechende Abkommen Ende November nach langem Hin und Her ratifiziert. 10 800 US-Soldaten werden zurückgelassen; weitere 4000 Mann stellen die Nato-Verbündeten. Erst bis Ende 2016 sollen die US-Soldaten vollständig abgezogen sein. Die Zurückbleibenden sollen den fragilen afghanischen Staat und seine Sicherheitskräfte gegen Islamisten stärken. Praktisch jede Woche werden Anschläge verübt. Die Taliban hoffen auf eine Rückkehr; die US-Regierung will verhindern, dass ihr Abzug dies ermöglicht. Im Irak, glauben viele beim Militär, sei man 2011 zu schnell davongerannt. So habe sich die Terrormiliz IS formieren können, die Amerika nun in einen neuen Krieg gezwungen habe.

Beim Kampf um Mossul könnten amerikanische Soldaten nötig sein

Zwar beteuert der US-Präsident in regelmäßigen Abständen, er werde niemals Kampftruppen gegen den IS losschicken, sondern die irakische Armee, kurdische Verbände und ausgewählte syrische Milizen die Bodenarbeit versehen lassen. Ebenso regelmäßig aber stockt Obama die Zahl der Militärberater, Botschaftsschützer und sonstiger bewaffneter Amerikaner im Irak auf. Wer behauptet, Amerika setze keinen "Stiefel" auf irakischen Boden, ist nicht ganz ehrlich. Circa 3000 US-Streitkräfte sind und werden noch im Irak stationiert.

Anders als in Afghanistan nehmen die US-Truppen im Irak nicht an Kampfhandlungen teil, sondern bilden vor allem lokale Kräfte aus. Doch das muss nicht so bleiben: In den kommenden Monaten soll die irakische Stadt Mossul zurückerobert werden, US-Generstabschef Martin Dempsey spricht von einer "entscheidenden Schlacht". Dafür dürften amerikanische Kommandos auf dem Boden nötig sein, die das Terrain sichten und die Bomber zu den Zielen lenken. Vorigen Monat dachte Dempsey zudem im Repräsentantenhaus wieder laut über Kampftruppen nach. Die Rückeroberung Mossuls und die Wiedereinrichtung einer verbindlichen Grenze zwischen Syrien und dem Irak seien "ziemlich komplexe" Aufgaben, also eventuell eine Nummer zu groß für die lokalen Verbände. "Wir erwägen ganz klar, ob sie von US-Truppen begleitet werden müssen."

"Daddy wird nicht lange bleiben"

Geplant war etwas anderes: Obama wollte beide Kriege beenden, nun führt er Mini-Einsätze fort, aus denen alles Mögliche werden könnte. Im Falle von Irak und Syrien fehlt auch nach fünf Monaten und 1100 US-Bombardements noch immer eine Kriegsermächtigung durch den Kongress, die den Einsatz zeitlich wie geografisch eingrenzen würde. Obama operiert noch immer mit der nach 9/11 erlassenen Ermächtigung von 2001 - einem Beschluss also, mit dem sein Vorgänger George W. Bush Kriege führte, die Obama stets kritisiert hat.

Dem Kongress war Obamas Alleingang bisher ganz recht. Kriegsbeschlüsse sind unpopulär. Die Bevölkerung möchte einen raschen Polizeieinsatz gegen den IS, keinen neuen, langen Krieg in der arabischen Welt. Vergangene Woche erst begannen im außenpolitischen Ausschuss des Senats Beratungen darüber, wie ein legales Fundament für den bereits laufenden Einsatz aussehen könnte. Außenminister John Kerry wehrte sich in einer Anhörung gegen zeitliche und personelle Auflagen. Die Zukunft sei unvorhersehbar. Der Ausschuss hat eine sanft eingrenzende Vorlage befürwortet, der Gesamtsenat wird wohl erst 2015 darüber befinden.

Auch auf der Militärbasis Fort Bragg ist vom Ende keine Rede. Die drei Teenage-Mädchen der Familie Howley lachen: "Daddy wird nicht lange bleiben." Die Kinder warten auf ihren Vater, Chefadjutant Jason Howley, der von seinem vierten Einsatz in Afghanistan und im Irak nach Hause kommt. "Er wird wohl wieder fahren", glaubt auch seine Frau Brenda, die die Kinder auf der Basis großzieht. "Das ist ja sein Job."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: