Saal der Nürnberger Prozesse:"Wie viel Disney brauchen wir?"

Schwurgerichtssaal nach dem Umbau

Der Saal 600, in dem nach dem Zweiten Weltkrieg die Justiz mit den Nürnberger Prozessen Geschichte schrieb, wurde in den Sechzigern umgebaut.

(Foto: Stadtarchiv Nürnberg)
  • Der Saal 600 wurde bekannt durch die Nürnberger Prozesse und soll zum Museum werden.
  • Bayerns Finanzminister Söder will die historische Gestalt teils wiederherstellen. Wissenschaftler kritisieren das als Geschichtsklitterung und "Disney".
  • Historiker, Architekten und Designer arbeiten jetzt an einer Machbarkeitsstudie. Darunter ist aber auch ein Mann, der sich zu Hause Jagdszenen von Göring an die Wand hängt.

Von Olaf Przybilla, Nürnberg

Der unangenehmste Moment für Astrid Betz war der, als sie die Völkerrechtsstudenten aus Weißrussland wieder wegschicken musste, ohne dass diese den Saal 600 anschauen durften. "Ein Horror, mein Tiefpunkt in diesem Jahr", sagt Betz, wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Memorium Nürnberger Prozesse. Und ja, dass sie sich auf den Moment freue, wenn sie so was nicht mehr machen muss, das verstehe sich insofern von selbst. 2017 könnte es so weit sein.

Wenn der Neubau der Nürnberger Justiz bis dahin fertig ist, werden die großen Schwurgerichtsprozesse künftig dort stattfinden. Dann soll der Saal 600 ein reines Museum werden. Fragt sich nur, wie dieses dann aussehen soll. Markus Söder hat da eine Idee. Die Wissenschaftlerin Betz auch. Aber eine ganz andere.

Die Stadt glaubte, das halbwegs in den Griff zu bekommen

Aber ehe es so weit ist, lohnt zunächst ein Blick vor den Saal 600, wie es dort momentan aussieht. Von Dienstag bis Donnerstag wird üblicherweise im Saal verhandelt, im größten Gerichtssaal Nordbayerns. Vor den Eingängen kann man dann ratlose Touristen antreffen. Solche, die mit den Achseln zucken. Aber auch solche, die böse Briefe ankündigen, was das eigentlich für eine Stadt ist, die Werbung mache mit einem Saal, in dem Weltgeschichte geschrieben wurde; in dem sich die Nazis vor der Welt verantworten mussten; und die Geburtsstunde des Völkerstrafrechts schlug. Die dann aber nicht in der Lage ist, diesen Ort auch so zu präsentieren, dass Touristen ihn sehen und fotografieren können. Oder eben auch Völkerrechtsstudenten, die ein paar tausend Kilometer angereist sind. Die empörtesten Briefe, die im Rathaus eingehen, beziehen sich auf eben diese Situation im Saal 600, sagt Ulrich Maly, Nürnbergs SPD-Oberbürgermeister.

Natürlich wusste die Stadt um die Malaise, als das Memorium 2010 eröffnet wurde. Aber man glaubte, das halbwegs in den Griff zu bekommen. Das Memorium ist das Museum oberhalb des Saales, dort wurden vier Fenster eingebaut, aus denen man in den Saal blicken kann. Gedacht waren diese ursprünglich als Hilfsangebot für genervte Touristen. Wenigstens von dort aus sollten sie einen Blick auf eine Verhandlung im Saal 600 werfen dürfen - theoretisch.

Praktisch dürften sie das während einer Verhandlung nur, wenn Museumsmitarbeiter permanent darauf achten würden, dass die Besucher nicht in den Saal fotografieren. Bilder aus einer Verhandlung sind in Deutschland nicht erlaubt, die Fenster würden Gaffer und die Boulevardpresse geradezu einladen. Eine Daueraufsicht aber kann sich das Museum nicht leisten. Also bleiben die Fenster dicht, wenn verhandelt wird. Und das wird oft: Für Kapitalverbrechen muss man sich im Saal 600 verantworten, das aber ist eher noch der kleinere Teil. Auch für die großen, sich über Monate hinziehenden Wirtschaftsprozesse wird der Platz im Saal gebraucht.

Söder will sich vorab nicht festlegen

Bleibt das Warten auf ein reines Museum, über dessen Notwendigkeit Konsens besteht. Nicht aber darüber, wie das aussehen soll. Finanzminister Markus Söder (CSU), dessen Ministerium 2017 die Federführung übernehmen wird, hat da eine eigene Vorstellung: Die Stadt Nürnberg, sagt er, sei mit dem Saal 600 schon einmal gescheitert mit der Bewerbung ums Weltkulturerbe. "Keine glückliche Hand" habe die Stadt da bewiesen, das müsse "professioneller" werden.

Historischer Saal 600 am Landgericht Nürnberg Fürth, 2010

Der Saal soll Teil eines Museum werden, die Frage ist nur: wie?

(Foto: Peter Roggenthin)

Söder schwebt ein Rückbau mindestens eines Teils des Saals in den Zustand vor, wie er während der Nürnberger Prozesse aussah: Die Richterbänke standen damals an der Fensterfront, der Saal wurde anders beleuchtet, es gab Zusatztribünen. Er wolle sich da vorab nicht festlegen, sagt Söder, aber er will sich die Vorschläge sehr genau anschauen, die Historiker, Architekten und Designer gerade für eine Machbarkeitsstudie ausarbeiten. Er mache keinen Hehl daraus, dass er sich "eine Anpassung an die historische Gestalt des Saales" sehr gut vorstellen könnte.

"Wer mit wem kann, ist jetzt nicht wichtig"

Astrid Betz kann sich das eher gar nicht vorstellen. Gerade mal zwei Holzbänke haben die Sechzigerjahre überlebt, als das Oberlandesgericht den Saal von den Alliierten zurückbekam - und erst mal gründlich aufräumte und Mobiliar vernichtete. Dies irgendwie wiederherstellen zu wollen, halte sie für "Geschichtsklitterung". Im Kern gehe es da um die Frage: "Wie viel Disney brauchen wir?", sagt Betz. Und die Frage, ob man mehrere Jahrzehnte Rechtsgeschichte einfach so wegwischen könne. Dass die deutsche Justiz die Erinnerungen an den Saal, der vor 50 Jahren noch im Verdacht stand, ein Ort der "Siegerjustiz" geworden zu sein, weithin auslöschen wollte - "das eben gehört zur Geschichte der Nürnberger Prozesse", ist Betz überzeugt. Das sollte man zeigen in Nürnberg. Und dem sollte man sich stellen, findet Betz.

Söder macht so was ärgerlich. "Mitarbeiten", solle die Stadt, schimpft er, "nicht vorher sagen, was nicht geht." Keiner wolle ein "Disneyland", sich aber historisch an dem zu orientieren, was war, halte er für sinnvoll. Noch genervter scheint Söder darüber zu sein, dass nach der missglückten Dürer-Airport-Präsentation - Söder machte ein Selfie vor falschem Dürer - schon wieder eine von ihm forcierte Nürnberger Kulturgeschichte hinreichend Platz für Lästereien bietet. Denn an der Machbarkeitsstudie arbeitet ein Mann mit, der in der Vergangenheit dadurch aufgefallen ist, dass er als leitender städtischer Mitarbeiter einem Freund der historischen Jägerei einen dubiosen Besuch abstattete. Einem Mann, der sich zu Hause Jagdszenen von Göring an die Wand hängt. Als das ruchbar wurde, trennte sich die Stadt von dem Mitarbeiter. Bis ihn jetzt das Finanzministerium für eine Machbarkeitsstudie über den Saal 600 entdeckt hat. Söder ist genervt. "Wer mit wem kann, ist jetzt nicht wichtig", sagt der Minister. Dass in Nürnberg jetzt schon wieder so unschöne Geschichten die Runde machten, hält er für albern. "Wir machen einfach gar nichts, ist auch eine Haltung", lästert Söder. Seine sei es nicht.

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