Lettische EU-Ratspräsidentschaft:Insel der Euro-Seligkeit

Jahresrückblick 2014 - Lettland wir zum Euroland

Milda ist die lettische Landesallegorie, die auf der Zwei-Euro-Münze zu sehen ist.

(Foto: dpa)
  • Zum 1. Januar übernehmen die Letten die EU-Ratspräsidentschaft. Seit einem Jahr ist das Land Mitglied der Euro-Zone - und glücklich mit der Währung.
  • Selbst der gefühlte Preisanstieg durch den Euro hat die Freude der Letten nicht getrübt. Sie sind stolz darauf, zu Europa zu gehören.
  • Riga glänzt als europäische Kulturhauptstadt und lockt viele Touristen an. Nur die Zahl der russischen Besucher bricht ein.
  • Das wichtigste Thema der lettischen Ratspräsidentschaft dürften der Konflikt in der Ukraine und die Sanktionen gegen Russland sein. Die lettische Bevölkerung ist in dieser Frage gespalten.

Gastbeitrag von Mihails Kozlovs, Riga

Der 28 Jahre alte Lette Mihails Kozlovs arbeitet als Reporter für die Abendnachrichten des lettischen Fernsehkanals TV5 und promoviert in Geografie. Außerdem ist Mihails Mitglied im Vorstand einer Nichtregierungsorganisation, die Trainings und Jugendaustauschprogramme im Rahmens des EU-Mobilitätsprogramms ERASMUS+ durchführt. Dieser Artikel erscheint im Rahmen der Kooperation "Mein Europa" von Süddeutsche.de mit dem Projekt FutureLab Europe der Körber-Stiftung.

Europäer - und stolz darauf

Stolz darauf, ein Lette zu sein, stolz darauf, ein Europäer zu sein - das ist die Stimmung, die derzeit im Zentrum des Baltikums vorherrscht (siehe Twitter-Hashtag #Proudtobelatvian). Seit der Euro-Einführung vor einem Jahr hat sich Lettland gut entwickelt. Für mich und die meisten meiner Bekannten ist der Euro ein unentbehrlicher Bestandteil unserer europäischen Identität geworden. Noch nie haben wir uns so europäisch gefühlt wie 2014.

Bereits vor Einführung des Euro waren die Letten stolz auf ihre neue Währung. Als im Juli 2013 in Stuttgart mit der Prägung der neuen lettischen Euromünzen begonnen wurde, lobte der Leiter der Staatlichen Münzen in Baden-Württemberg, Peter Huber, die lettischen Zwei-Euro-Münzen als die schönsten, die jemals in seiner Prägeanstalt hergestellt wurden. Auf ihnen ist das Konterfei des lettischen Volksmädchens zu sehen, das Ende der 1920er Jahren die Rückseite der 5-Lats-Münze zierte und für den damals neuen unabhängigen lettischen Staat entworfen worden war.

Kurz nach Ausgabebeginn wurde das lettische Euro-Starterkit, das in den Banken zum Preis von 14,23 Euro verkauft wurde, im Internet zum Doppelten und sogar Dreifachen des Preises gehandelt. Seitdem wir Mitglied der Eurozone sind, ist unser Leben sehr viel einfacher geworden. Das Reisen mit dem Euro ist komfortabel, sicher und billiger und wir müssen innerhalb der Eurozone keine Umtauschgebühren mehr bezahlen. Erasmus-Studenten mussten bislang für ihre Stipendien Konten eröffnen - nun können sie alles mit ihren normalen Bankkonten bei jeder lettischen Bank erledigen.

Glücklich mit dem Euro trotz des gefühltem Preisanstiegs

Es ist erstaunlich, dass sich die Letten mit ihrer neuen Währung so wohl fühlen - vor allem, wenn man bedenkt, dass sich die Preise ihrem Eindruck nach um 30 Prozent erhöht haben. So kostete beispielsweise 2013 ein Liter Milch 0,7 Lats, 2014 lag der Preis bei einem Euro. Tatsächlich gab es lediglich einen leichten Preisanstieg. Die Inflationsrate war angemessen, mit etwa zwei Prozent sogar recht niedrig und die paar Cent Preisunterschied waren kaum zu spüren.

Sehr wohl gespürt haben den den Preisanstieg dagegen die Rentner. Es gibt viele ältere Menschen in Lettland, die mit nur 250 Euro im Monat auskommen müssen. Das ist eine sehr verletzliche Gruppe, die große Schwierigkeiten hat, Heizung und Strom zu bezahlen. Vorteile auf Reisen durch den Euro? Für mich und viele andere Letten ja, aber für lettische Rentner sicherlich nicht. Kaum einer von ihnen könnte es sich leisten zu verreisen.

Doch insgesamt betrachtet war der Beitritt zur Euro-Familie eine sehr symbolische Geste. Wir haben ihn als Bestätigung für unser kleines Land empfunden und hoffen auf eine fruchtbare Zukunft innerhalb eines noch stärker geeinten Europa. Und es war nicht nur der Euro, der in uns ein Gefühl des Stolzes auf unsere europäische Zugehörigkeit ausgelöst hat. 2014 war Riga zudem die Kulturhauptstadt Europas.

Zahl der Touristen steigt - mit Ausnahme der russischen

Weltweit haben wir in Konzerten, Shows und anderen Veranstaltungen die Aufmerksamkeit auf uns gezogen. Lettland und Kultur wurden zu zwei eng miteinander verbundenen Begriffen. In Riga fand im Juli der weltweit größte Chorwettbewerb statt, zu dem 27 000 Sänger zusammenkamen - sie repräsentierten 460 Chöre aus 73 Ländern und fünf Kontinenten. Und ganz nebenbei: Lettland hat sich als Sängernation alle Ehre gemacht - mit 54 Medaillen lagen wir vor China und Russland auf dem ersten Platz.

Die Zahl russischer Touristen ist allerdings um 16 Prozent gesunken. Das ist ein signifikanter Rückgang, vor allem wenn man bedenkt, dass im dritten Quartal 2014 die Zahl der Touristen insgesamt um zwölf Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum gestiegen ist. Die Russen machen traditionell die größte Touristengruppe in Lettland aus.

Ruinöse Auswirkungen auf Kulturveranstaltungen

Der Rückgang russischer Besucher lenkt die Aufmerksamkeit auf eine andere Beziehung: Während Lettland seine europäische Identität gestärkt hat, haben die Spannungen zwischen Russland und der EU Wirkung gezeigt. In den vergangenen sechs Monaten kam es in mindestens drei stark diskutierten Fällen zu Einreiseverboten für russische Schauspieler, Popsänger und Journalisten.

Die politischen Sanktionen hatten ruinöse Auswirkungen auf Kulturveranstaltungen in diesem Land. Dies betraf beispielsweise Lettlands bekanntestes Musikfestival "New Wave". Die vergangenen zehn Jahre fand es jeden Sommer in Jurmala statt. Im nächsten Jahr wird es in Russland stattfinden. Für die Russen war Jurmala ein geschichtsträchtiger Urlaubsort. Zu Sowjetzeiten gehörte es zu den beliebtesten Touristenbädern - damals fuhren die Menschen lieber an die Ostsee als ans Schwarze Meer, weil es näher an Europa lag. Doch das hat sich aufgrund der politischen Situation und der Sanktionen nun verändert.

Gespalten in der Frage der Sanktionen

Hinsichtlich der Sanktionen ist die lettische Bevölkerung gespalten. Die eine Hälfte ist stolz auf die russischen Sanktionen gegen den Westen, die andere auf die Sanktionen der EU und der USA gegen Russland. Man könnte annehmen, dass die Trennlinie entlang der Sprachlinie verläuft. Der Anteil der ethnisch russischen Bevölkerung in Lettland beträgt 36 Prozent. Doch so einfach ist es nicht. Es gibt Russen in Lettland, die die EU-Sanktionen befürworten und es gibt viele Letten, die die russischen Sanktionen verteidigen.

Eine sehr komplexe Mischung aus Erfahrung, Alter, Bildungsgrad, politischer Einstellung und Mediennutzung prägt die Haltung der Menschen. Viele beziehen ihre Informationen überwiegend aus einer einzigen Quelle und haben eine entsprechend einseitige Sichtweise.

Das wichtigste Thema der lettischen Ratspräsidentschaft

Anfang 2015 übernimmt Lettland die sechsmonatige EU-Ratspräsidentschaft. Die Krise in der Ukraine und der Sanktionskrieg werden dann zu den Prioritäten gehören. Der Direktor des lettischen Instituts für internationale Angelegenheiten, Andris Spruds, warnt jedoch vor einer Überbetonung. Er fordert einen ausgewogenen Dialog, um die Aussichten für Moldawien und die Länder des Kaukasus auf Mitgliedschaft in der EU nicht zu gefährden. Lettlands Aufgabe wird es sein, die Entscheidungsfindung in der Frage der Sanktionen gegen Russland zu moderieren. Dies wird keine leichte Aufgabe, gehen Experten doch davon aus, dass der Druck und die Provokationen vom östlichen Nachbarn zunehmen werden. Die Letten sind der Ansicht, dass man sich nicht auf potenzielle Probleme vorbereiten, sondern lieber die gegenwärtige Situation nutzen soll. Oder die gegenwärtige EUphorie, in der die Letten verharren.

Übersetzung: Dr. Dorothea Jestädt

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