Schwarz-Rot im Rathaus:Sticheln mit System

Dieter Reiter und Josef Schmid

CSU und SPD waren in München jahrelang die ärgsten Kontrahenten, dann schlossen sie eine Kooperationsvereinbarung.

(Foto: dpa)
  • Seit acht Monaten regieren CSU und SPD gemeinsam in München. Eigentlich sind beide Seiten mit dem Bündnis zufrieden. Doch bei Themen wie dem Kulturstrand und dem Volkstheater haben sich Risse gezeigt.
  • Und die ganz umstrittenen Themen wie etwa die Tram-Westtangente oder Radwege in der Rosenheimer Straße haben sie noch gar nicht angefasst.

Von Dominik Hutter

Der Sitzungsleiter entschied sich für einen harschen Tonfall. Die Beschlussvorlage lasse viele Fragen offen, wetterte Oberbürgermeister Dieter Reiter. Auf der Basis könne keine Entscheidung über die Sanierung des Olympiastadions fallen. Nacharbeiten, Vertagung. Der gescholtene Referent blickte pikiert drein.

Zwar packt der OB seine "Stadtminister" auch einmal härter an. In diesem Fall aber saß der Wirtschaftsreferent auf dem lederbezogenen Stuhl neben Reiter: Bürgermeister Josef Schmid. Die Nummer eins des Bündnispartners CSU. Nett ist das nicht.

Die Botschaft aus dem Wirtschaftsausschuss wurde bei der CSU sehr wohl registriert: Wieder einmal hat die SPD ein Schmid-Projekt vertagt - aus nicht unbedingt zwingenden Gründen, die Vorlage war durchaus nachvollziehbar. Bei den Konservativen kursiert daher die Vermutung, dass das Ganze System hat. Schmid, der sich als gleichberechtigter Koalitionspartner sieht, soll ein bisschen ausgebremst, klein gemacht werden.

Der OB ist OB - und der Bürgermeister eben nur Bürgermeister

Die SPD weist das natürlich zurück. Es gebe keinen Konkurrenzkampf zwischen Reiter und Schmid, beteuert SPD-Fraktionschef Alexander Reissl. Auch wenn mancher bei den Sozialdemokraten anfangs die Sorge gehabt habe, dass die beiden gleichgewichtig nebeneinanderstehen könnten. Es habe sich aber längst gezeigt, dass der Oberbürgermeister eben doch der Oberbürgermeister ist, und der Bürgermeister nur der Bürgermeister.

Dennoch ist der Stadion-Knatsch kein Einzelfall. Auch die Beschlüsse zum Freihandelsabkommen TTIP und zur neuen Eishockeyarena im Olympiapark hätten nach Schmids Geschmack etwas früher fallen können. Über die Tagesordnung der Sitzungen aber entscheidet der OB. Und beim Neubau des Volkstheaters, den die CSU ebenfalls rasch über die Bühne bringen will, brachte die SPD plötzlich die eigentlich schon aussortierte Großmarkthalle als gleichberechtigte Variante ins Spiel - um sie später angesichts einer absehbaren Abstimmungsniederlage wieder zu kassieren.

"Jetzt schon mehr passiert als in den zehn Jahren davor"

Seit acht Monaten regiert nun im Münchner Rathaus nicht mehr Rot-Grün, sondern Schwarz-Rot. Und eigentlich sind beide Seiten mit diesem Bündnis zufrieden. Reiter lobte gar in der Haushaltsdebatte, mit der neuen Mehrheit sei "jetzt schon mehr passiert als in den zehn Jahren davor".

Was nicht nur etwas unbescheiden ist, sondern vor allem auch ein kräftiger Seitenhieb gegen Amtsvorgänger Christian Ude und den einstigen grünen Koalitionspartner. Letzteren scheint bei der SPD ohnehin niemand so richtig zu vermissen. Obwohl es natürlich charmant war, der deutlich größere Partner zu sein. Diesen Vorsprung haben die Sozialdemokraten verloren. Die CSU stellt sogar zwei Stadträte mehr.

SPD-Fraktionschef Alexander Reissl hat aber angesichts der vergleichsweise schlanken Kooperationsvereinbarung das Gefühl, nun deutlich freier zu sein als in dem doch schon recht angestaubten Bündnis mit den Grünen, in dem viele Themen verschleppt worden seien.

Die CSU will vor allem: auf Augenhöhe agieren

Diese Analyse teilt interessanterweise auch CSU-Kollege Hans Podiuk. "Viel freier" sei die SPD jetzt, sagt auch er. Reissl und Podiuk sind zwar ein ziemlich unterschiedliches Gespann. Die beiden respektieren sich aber und schätzen gegenseitig ihre Professionalität und Macherqualität. Es gibt nur wenige im Rathaus, die ähnlich effektiv Strippen ziehen können wie Reissl und Podiuk.

Für die CSU ist vor allem eines wichtig: auf Augenhöhe zu agieren. Die SPD stellt den Oberbürgermeister, dafür ist die CSU die stärkste Rathausfraktion. 1 : 1, Gleichstand. Eine Einschätzung, die bei der SPD nicht jeder teilt. Schließlich gönnt die Bayerische Gemeindeordnung dem OB eine sehr machtvolle Position. Reiter hat sich zudem in der Flüchtlingsdebatte ein Macher-Image erarbeitet.

Im Zweifel setzt die SPD auf die Grünen - vergeblich

Bei aller Harmonie und allem Vertrauen, das sich beide Seiten gegenseitig attestieren, knirscht es aber auch gelegentlich - obwohl die ganz umstrittenen Themen wie die Tram-Westtangente noch nicht einmal angefasst wurden. Im Bündnispapier wurden bewusst Sollbruchstellen eingebaut: Wo man sich nicht einigen kann, wird getrennt abgestimmt. Man muss kein Parteistratege sein, um zu ahnen, dass die SPD für diese Fälle auf eine Mehrheit mit den Grünen und einigen Kleineren wie ÖDP oder Linken gehofft hatte.

Das ging allein in dieser Woche zweimal schief: Beim Kulturstrand, in dem die CSU eine Mehrheit mit der Opposition fand und die Sozialdemokraten einfach überstimmte. Und beim Volkstheater. Zwar stimmte letztlich auch die SPD mit der CSU für eine Festlegung auf den Viehhof. Zuvor hatte sich bereits die Mehrheit der Opposition auf die Seite der CSU geschlagen.

Vieles haben die einstigen Gegner aber auch gemeinsam auf den Weg gebracht: die Wiederaufnahme des U-Bahn-Baus etwa oder die Verkehrsberuhigung in der Furt am Marienplatz, die zuvor quälend lange ohne Ergebnis diskutiert worden war. Zudem verweisen die Großkoalitionäre gerne auf das Sanierungskonzept fürs Stadtklinikum, die Schulbauoffensive, die zentrale Vergabe von Kita-Plätzen sowie den Lohn-Zuschlag für Erzieher. Da fällt es gar nicht so auf, wenn die SPD plötzlich im Alleingang mehr öffentliche Toiletten fordert - eigentlich ist das das Leib-und-Magen-Thema der CSU.

Die Koalitionäre wissen aber auch, dass noch einige Bewährungsproben bevorstehen. Die Westtangente zählt ebenso dazu wie die Radwege in der Rosenheimer Straße - die Reiter einst den Grünen versprochen hatte. Damals diskutierte eine Stadtversammlung über eine Empfehlung in der OB-Stichwahl, die Fortsetzung von Rot-Grün galt noch als Wunschlösung. Reiter fühlt sich aber weiter an das Versprechen gebunden. 2020 will er erneut antreten, das weiß er schon. Schmid hat sich dazu noch nicht geäußert.

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