Ende des Quotensystems:Milchbauern warnen vor der "Katastrophe"

Milchkühe

Milchkühe in Bottrop-Kirchhellen (Nordrhein-Westfalen).

(Foto: Caroline Seidel/dpa)
  • In den vergangenen Monaten ist der Milchpreis deutlich gesunken, bald soll auch die Milchquote wegfallen - viele Landwirte fürchten deshalb um ihre Existenz.
  • Am 31. März 2015 läuft die Regelung zur Milchquote aus. Damit war bislang festgelegt, welcher Landwirt wie viel produzieren darf.
  • Allerdings ist die Furcht überzogen: Experten rechnen damit, dass die Nachfrage nach Milchprodukten weltweit zunimmt. Außerdem werden Bauern weiterhin Unterstützung vom Staat erhalten.

Kommentar von Daniela Kuhr

Wovor die Milchbauern warnen

Wenn es darum geht, Aufmerksamkeit zu erzeugen, sind Milchbauern nicht zimperlich. Selbst vor drastischen Aktionen schrecken sie nicht zurück. Zurzeit ist es mal wieder so weit. Weil der Preis, den die Landwirte für ihre Milch erhalten, in den vergangenen Monaten deutlich gefallen ist und weil sie überzeugt sind, dass das erst der Anfang ist, zogen sie vor ein paar Tagen nach Brüssel. Vor dem Gebäude der EU-Kommission legte der europäische Milchbauernverband einen Milchsee an. Damit wollten die Landwirte symbolisieren, dass Milcherzeuger "untergehen" würden. Ohne neue Kriseninstrumente drohe eine "Katastrophe am EU-Milchmarkt"!

Das klingt beängstigend. Schließlich kann niemand wollen, dass Milchbauern in großem Umfang ihre Existenz verlieren und auf den Weiden in Niedersachsen oder den Almen in Bayern in Zukunft keine Kühe mehr grasen. Doch so weit wird es nicht kommen. Weder steht eine Katastrophe unmittelbar bevor, noch droht sie am Horizont.

Was hinter den Protesten steckt

Hintergrund der jüngsten Proteste ist ein Datum, das einigen Milchbauern bereits seit geraumer Zeit Angst macht: der 31. März 2015. An diesem Tag läuft endgültig die Regelung zur Milchquote aus. Mit dieser Quote hatte die EU in den vergangenen 30 Jahren strikt festgelegt, welcher Landwirt wie viel produzieren darf. Wollte ein Bauer mehr Milch liefern, musste er sich erst von einem anderen Landwirt für viel Geld weitere Quotenanteile besorgen. Andernfalls drohten ihm Strafzahlungen.

Als die EU dieses System 1984 einführte, reagierte sie auf eine gewaltige Überschussproduktion, die Milchseen und Butterberge hatte entstehen lassen. Die Quote sollte das verhindern, und anfangs hat das sogar funktioniert.

Doch schon vor einigen Jahren hatte die EU erkannt, dass staatliche Produktionsbegrenzungen auf der einen Seite und freier Welthandel auf der anderen schlecht vereinbar sind. Die Quote kostet Europas Landwirte viel Geld; Geld, das Konkurrenten aus anderen Ländern nicht bezahlen müssen, sodass diese auf dem Weltmarkt im Vorteil sind. Deshalb beschloss die EU, die Quote schrittweise zu erhöhen und Ende März 2015 komplett auslaufen zu lassen.

Wie Milchbauern die Produktion kontrollieren wollen

Das aber lässt nun bei einigen Landwirten die Sorge aufkommen, dass in der Zeit danach die Produktion in die Höhe schießen wird, mit der Folge, dass der Milchpreis noch stärker unter Druck gerät.

Sie fordern daher, eine Monitoringstelle einzurichten, welche die Nachfrage und die Produktionsmenge europaweit im Auge behält. Zeichnet sich eine Krise ab, sollen die Bauern ihre Produktion nicht mehr ausweiten dürfen. Das aber ähnelt nicht nur der bisherigen Quote, es würde auch einen Außenschutz der EU voraussetzen. Denn bei diesem Modell würde der Preis im Krisenfall künstlich hoch gehalten, sodass Drittländer den europäischen Markt mit billigen Milchprodukten überschwemmen könnten. Würde die EU aber einen Außenschutz errichten, ließen andere Länder sich ebenfalls etwas einfallen, um europäische Produkte von ihrem Markt fernzuhalten. Die Folgen wären verheerend für Europas Wirtschaft.

Die Milchbauern sollten sich daher lieber an den Gedanken gewöhnen, dass es von April an keine Begrenzungen mehr gibt. Nachtrauern müssen sie der Quote ohnehin nicht. Auch in den vergangenen 30 Jahren hat sie nicht verhindert, dass drei von vier Milchbauern aufgegeben haben. Heute existieren in Deutschland noch 78 000 Betriebe. Genauso wenig hat sie die Milchkrise 2008 verhindert. Damals war der Preis so stark gefallen, dass die Bauern ihre Milch aus Protest einfach wegschütteten. Genützt hat ihnen das nichts. Nachhaltig gestiegen ist der Preis erst, als die weltweite Nachfrage nach der Finanzkrise wieder anzog.

Worauf sich Landwirte einstellen müssen

Auch in Zukunft wird der Preis wieder steigen. OECD und Weltagrarorganisation FAO sind überzeugt, dass die Nachfrage nach Milchprodukten in den kommenden Jahrzehnten weltweit zunimmt. Europas Landwirte müssen die Chance haben, darauf zu reagieren. Einfach zu beschließen, dass man nicht wachsen will, wie viele Milchbauern das offenbar gern hätten, kann sich niemand leisten. Denn eines ist klar: Die Produktionskosten werden in jedem Fall steigen. Wem es nicht gelingt, seinen Umsatz zu erhöhen, erzielt Jahr für Jahr weniger Einkommen.

Ganz allein lässt der Staat die Bauern ohnehin nicht. Natürlich wird es auch weiterhin Extrageld beispielsweise für Weidehaltung und Almbewirtschaftung geben. Auch muss sich die EU in extremen Krisen das Recht zur Intervention vorbehalten. Dank solch flankierender Maßnahmen aber besteht für die Milchbauern kein Grund, den 31. März zu fürchten.

Recherche

"Erst das Fressen, dann die Moral - wie sollen wir uns künftig ernähren?" Diese Frage hat unsere Leser in der vierten Abstimmungsrunde unseres Projekts Die Recherche am meisten interessiert. Dieser Text ist einer von zahlreichen Beiträgen, die sie beantworten sollen. Alles zur Recherche zu Fressen und Moral finden Sie hier, alles zum Projekt hier.

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