Spirituosenmarkt:Was wollt ihr trinken?

Alkoholkonsum

Vielfältiges Angebot: Spirituosenhersteller investieren Milliarden in neue Marken.

(Foto: Klaus-Dietmar Gabbert/dpa)
  • Die Konzerne auf dem Spirituosenmarkt positionieren sich für die kommenden Jahre.
  • Doch nicht einmal Experten wissen genau, welche Getränke in zehn Jahren im Trend liegen. Die einen sagen: Gin, andere sagen Whisky, wieder andere Tequila.
  • Deshalb investieren die Unternehmen in sehr unterschiedliche Produkte.

Report von Thomas Fromm

"Oh no", sagt Georgie Bell, natürlich trinke sie nicht nur Whisky. "Ich bin ein Whisky-Nerd, aber ich mag auch Gin, Martini, Tequila, Sherry, Wein und Champagner. Und auch Bier." Wenn man die Sache mal genauer betrachtet, dann heißt das wohl, dass die 26-jährige Lady so ziemlich alles mag. Nur bitte nicht übertreiben. "Ich trinke aber moderat, denn ich passe auf meine Gesundheit auf", sagt sie.

Die Warnung gehört zum Geschäft, denn Georgie Bell arbeitet als Markenbotschafterin für die 1823 im schottischen Dufftown gegründete Whisky-Marke Mortlach, die heute zum größten Spirituosenkonzern der Welt gehört: Diageo. Markenbotschafter, das sind sonst Promis. Schauspieler, Pop-Stars und manchmal sogar Fußballtrainer. Bei schottischen Whiskys funktioniert das anders.

Es ist eine lange Geschichte, und - ach - alles fing so solide an. Georgie Bell studierte Geografie, aber dann interessierte sie sich für die Nischen ihrer Disziplin. Die Geografie des Weins, die soziokulturellen Aspekte des Alkohols, solche Dinge. Und dann, das Geografie-Studium war absolviert, wurde schnell noch ein Destillations-Diplom am Londoner Institute of Brewing & Distilling hinterhergeschoben. Sie war Bartenderin in einer Cocktailbar in Edinburgh, als sie von der Whisky-Industrie entdeckt wurde.

Einer Branche, die ständig nach neuen Trends, Moden und jüngeren Käuferschichten sucht. Früher warb man mit älteren Herren, die es sich mit Whisky-Tumblern auf rustikalen Ledersesseln vor Kaminen gemütlich gemacht hatten. Jetzt schickt man junge Markenbotschafterinnen zum Whisky-Tasting nach München.

Die Zielgruppe kann nicht groß genug sein

Es geht um einen Milliardenmarkt, und da kann die Zielgruppe nicht groß genug sein. Vor allem, weil man ja nie so genau weiß, was gerade im Trend liegt. Die einen sagen: Gin. Andere: Whisky. Und wieder andere sagen: Tequila, ist doch klar.

"Das Problem mit den meisten Trends ist, dass sie sich nicht halten", sagt Charles Schumann, Münchner Barlegende und Mann der Praxis. In seiner Bar am Odeonsplatz, sagt Schumann, "halten sich Gin und Whisky so ziemlich die Waage". Allerdings sei "Whisky um einiges interessanter". Gin: "Da ist gerade in den letzten Jahren sehr viel Marketing mit im Spiel." Und Tequila? "Überschätzt und hochgeredet."

Wüssten die globalen Getränkemultis doch nur genau, was die Menschen trinken. Heute, morgen, und in zehn Jahren. Aber wie soll man das wissen? Hinter den Kulissen verschieben sie ihre Marken daher im Monatstakt, für alle Fälle.

Wenn die Eventabteilung die wichtigste Abteilung wird

Die Mailänder Campari-Gruppe griff im Frühjahr nach dem italienischen Kräuterlikör-Hersteller Averna. Preis: 100 Millionen Euro. Die Briten von Diageo kauften erst für 200 Millionen Pfund die irische Whiskey-Marke Bushmills. Anfang November wurde dann bekannt, dass Diageo den Whisky bei der mexikanischen "Casa Cuervo" gegen die Tequila-Marke Don Julio eintauscht. Für einen Konzern mit Marken wie Johnnie Walker, Smirnoff, Hennessy und J&B wohl ein ganz normaler Deal.

Auch der nächstgrößte Konzern, der französische Konkurrent Pernod Ricard, der Whisky-Marken wie Ballantine's oder Chivas Regal im Sortiment hat, investiert kräftig. Bei den Franzosen, heißt es, laufe das Geschäft mit schottischem Alkohol derzeit mindestens so gut wie mit traditionellem Pastis. Aber was nur, wenn die Franzosen in ein paar Jahren umschwenken und nur noch Pastis wollen? Oder ganz was anderes? Oder - Albtraum für die Industrie - gar nicht mehr trinken? "Früher hieß es: Wenn ein Gast zur Tür reinkommt, weiß man schon, was der trinkt", sagt Schumann. "Das stimmt nicht mehr - wenn es überhaupt jemals gestimmt hat."

Gespräch mit einem, der schon viel Alkohol verkauft hat in seinem Leben: Hasso Kaempfe, von 1998 bis 2007 Chef bei Jägermeister in Wolfenbüttel. Der Mann, der aus dem Altherren-Kräuterschnaps ein Kultgetränk, einen global Player, gemacht hat. Kaempfe sagt: "Als Spirituosen-Großkonzern sollte man heute ein Vollsortimenter sein, weil das die beste Versicherung gegen die ständigen Schwankungen bei Trends ist."

Nun war Jägermeister aber nie ein Vollsortimenter, sondern immer nur Jägermeister und sonst nichts. "Jägermeister war damals vor allem bei der älteren Landbevölkerung sehr gut verbreitet", sagt Kaempfe heute. "Aber wir wussten: Wenn die gehen, gehen wir mit."

Was also tun? Ganz einfach: Dann wird die Eventabteilung zur wichtigsten Abteilung im Hause. Raus aus den verqualmten Eckkneipen und Pilsstuben, rein in die hippen Bars. Dann auf die großen Rockfestivals. Und weil das Hirschgeweih schließlich schon immer das Symbol auf der Flasche war, lobte man Wettbewerbe für das - nun ja - attraktivste Tattoo oberhalb des Hinterteils aus. "Miss-Arschgeweih-Contest" nannte man das in der Szene. Es funktionierte. "Da bekamen unsere betagten Eigentümer natürlich schon einen Schluckauf", erinnert sich Kaempfe.

"Whisky ist ein sehr missverstandener Alkohol"

Eine eigene Welt, diese Spirituosenwelt. Einige investieren Millionen und hoffen, damit das nächste große Ding in der Barkühlung zu haben. Andere lassen die Hosen runter und prämieren, was darunter ist. Und andere veranstalten akademische Seminare. Auf der Münchner Praterinsel wirbt die Markenbotschafterin Bell an diesem Abend für ihren Rare Old Whisky im Tastingglas und hält dabei ein Schaubild in die Luft. Zwischen dem Seminarteil "Destillationsprozess" und dem Ende des Abends gibt es ein paar Gläser, das muss man aushalten können. "Spüren Sie die Orange am oberen Glasrand?" Mmh, nun ja. "Spüren Sie die Gewürze?" Ein bisschen schon. Nach dem 18 Jahre alten Mortlach dem 25 Jahre alten "A secret weapon" sei dieses Getränk eine "Geheimwaffe".

Menschen starren in Gläser, rollen sie schräg an der Tischkante entlang, schütteln und riechen immer wieder. "Achtung, nicht zu tief mit der Nase ins Glas", sagt Bell. Schon klar. Frage in die Runde: "Spüren Sie das? Würzig, vollmundig, cremig." Cremig? "Whisky ist ein sehr missverstandener Alkohol", findet sie. "Der ist nicht eindimensional, nicht nur ein reiner Gentlemen-Drink für den späten Abend." Das wiederum ist jetzt klar: Eindimensional wäre ja auch nicht so wirtschaftlich, denn erstens gibt es ja nicht viele Gentlemen auf der Welt und zweitens ist der späte Abend älterer Herren auch nicht so exzessiv, als dass man als Konzern gut davon leben könnte.

Alte, Junge, Männer, Frauen - alle sind Zielgruppe. Die Konkurrenz kommt inzwischen ja längst nicht mehr nur aus Schottland. Im November wurde zum ersten Mal ein japanischer Whisky zum weltbesten Whisky gekürt. "Dicht, trocken und abgerundet wie eine Billardkugel", fand ein Kenner. Rund wie eine Billardkugel - vor allem beim Marketing geht es darum, seine ganz eigene Note zu haben.

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