Terror-Prävention:Erste Hilfe für Dschihadisten

Terror-Prävention: Er vermittelt zwischen den jungen muslimischen Rückkehrern und den Behörden: Oussama El Saadi, Sprecher einer Moschee in Aarhus.

Er vermittelt zwischen den jungen muslimischen Rückkehrern und den Behörden: Oussama El Saadi, Sprecher einer Moschee in Aarhus.

(Foto: AFP)
  • Islamisten, die in Syrien oder im Irak gekämpft haben, können nach der Rückkehr in ihre Heimatländer eine Gefahr sein, wenn sie ausgegrenzt werden.
  • Das dänische Aarhus versucht, diese Männer und Frauen mit einem Sonderprogramm wieder in die Gesellschaft einzugliedern.
  • Der Hintergrund der Aktion: Ein Drittel aller 90 mutmaßlichen dänischen Dschihadisten, die in Syrien oder dem Irak kämpfen, kommen aus der Stadt.

Reportage von Silke Bigalke, Aarhus

Sie haben viel geredet an diesem Tag, mit der New York Times und einer französischen Zeitung, deren Namen sie vergessen haben. Auch mit der BBC haben sie schon gesprochen, mit CNN, dem Guardian, der Washington Post. Polizeidirektor Jørgen Ilum und Kommissar Allan Aarslev zählen die Namen nicht ohne Stolz auf. Im dänischen Aarhus sitzen sie mit roten Wangen im Präsidium. Es scheint, als schaute die ganze Welt auf ihre Stadt - und ihren Versuch, Dschihadisten zu resozialisieren.

Dabei handele es sich eigentlich um ein normales Präventionsprogramm gegen Verbrechen, sagt Ilum. "Nur konzentrieren wir uns jetzt auf Leute, die zu Extremisten oder Terroristen werden könnten." Auf Dänen, die nach Syrien gereist und zurückgekommen sind. Aarhus möchte sie mit offenen Armen empfangen, ob sie in Syrien nun an der Seite von Terroristen gekämpft haben oder nicht. Könnte man ihnen nachweisen, dass sie an terroristischen Aktionen beteiligt waren, würden sie vor Gericht gestellt. Doch meistens kann man das nicht.

Wer nach Aarhus heimkehrt, wird zunächst von Mitarbeitern der Polizei angesprochen. Sie fragen den mutmaßlichen Extremisten, warum er in Syrien war, wie es ihm gehe, ob er eine Bedrohung für Dänemark sei. "Wir sind nicht so naiv zu glauben, dass sie uns die ganze Geschichte erzählen", sagt Kommissar Aarslev. Es gehe darum, Kontakt aufzunehmen. Die Stadt bietet den Rückkehrern dann psychologische und medizinische Hilfe an, stellt ihnen bei Bedarf einen Mentor zur Seite, unterstützt sie bei der Job- und Wohnungssuche oder bei der Rückkehr in die Schule. So sollen sie vom Risikofaktor wieder zu normalen Bürgern werden.

Viele dänische Politiker halten den Ansatz des Bürgermeisters für gefährlich nachsichtig

Viele Jahre hat sich die Polizei dafür engagiert, dass sich Jugendliche in Aarhus nicht radikalisieren. Doch dann veränderte eine Zahl das gesamte Programm: 30 junge Menschen waren bis Ende 2013 aus Aarhus nach Syrien aufgebrochen, erschreckend viele für eine Stadt knapp so groß wie Wiesbaden. Es sind ein Drittel aller 90 mutmaßlichen Dschihadisten aus Dänemark, die der Nachrichtendienst PET bis zu diesem Zeitpunkt gezählt hatte.

Fünf der vermeintlichen Kämpfer aus Aarhus sind heute tot, neun noch in Syrien, 16 nach Hause gekommen. Zehn von ihnen haben die Hilfe der Behörden angenommen. Für diese Hilfe hat Bürgermeister Jacob Bundsgaard, 38 Jahre alt, Sozialdemokrat, viel Kritik einstecken müssen. Es gibt genug dänische Politiker, die seinen Ansatz für gefährlich nachsichtig halten. Die Rückkehrer seien ein potenzielles Sicherheitsrisiko, sagt Bundsgaard selbst. Aber strafrechtlich verfolgen könne man sie nun mal nicht. "Wenn sie nicht ein Risiko bleiben sollen für den Rest ihres Lebens, müssen wir sie in die Gesellschaft integrieren. Andernfalls laufen sie als tickende Zeitbomben durch die Stadt."

Die Stadt hat eine Geschichte, was tickende Bomben und radikale Muslime angeht. Aarhus ist der Sitz der Jyllands-Posten, jener dänischen Tageszeitung, die 2005 mit den Mohammed-Karikaturen international Proteste auslöste. In Aarhus lebt auch Karikaturist Kurt Westergaard, der Mohammed mit einer Bombe im Turban zeichnete und danach nur knapp einem Mordanschlag entging.

Eine Stadt, die niemanden ausschließt

Und dann ist Aarhus auch noch Heimat der Grimhøjvej-Moschee, einer von zwölf Moscheen in der Stadt. In dieser treten Hassprediger wie Abu Bilal Ismail auf, der im Sommer bei einem Besuch in Berlin laut für die Vernichtung der Juden betete. Mindestens 22 der 30 Syrien-Reisenden aus Aarhus standen in Verbindung zu dieser Moschee, sagt die Polizei. Mit dieser Zahl konnte sie Druck ausüben und die Moschee-Leitung zur Kooperation bewegen. "Wir haben ihnen gesagt: Wenn ihr nicht Teil der Lösung seid, dann seid ihr Teil des Problems", sagt Bürgermeister Bundsgaard. Auf dem Fensterbrett seines Büros stehen große Scrabble-Steine. Sie bilden das Wort "imagine".

Der Bürgermeister träumt von einer Stadt, die niemanden ausschließt. Eine Stadt, so großzügig und transparent wie ihr Rathaus. Das ist berühmt für seine Architektur, die großen Fenster, die hohen Lichthöfe. Der Bürgermeister sitze die Treppe rauf links, hatte der Sicherheitsmann am Eingang nur gesagt, ohne nach Namen oder Termin zu fragen. Man klopft einfach an. Bundsgaard glaubt an Integration, nicht an Bestrafung oder strengere Gesetze. "Damit können wir nicht verändern, wie die Menschen denken", sagt er.

Vom Rathaus zur Grimhøjvej-Moschee sind es 20 Minuten mit dem Bus, vorbei am Stadtteil Gellerup mit seinen grauen Wohnblöcken und dem hohen Ausländeranteil. Die Moschee selbst ist ein altes Fabrikgebäude, gelb geklinkert. Sprecher Oussama El Saadi sitzt in seinem Büro und strahlt Gelassenheit aus. Die Zahlen der Polizei - 22 mutmaßliche Dschihadisten aus Kreisen der Moschee - kennt er angeblich nur aus der Presse. "Wir sagen nicht, dass die Polizei unrecht hat", sagt er. Aber bei 800 bis 1000 Besuchern jede Woche könne man unmöglich den Überblick behalten.

Die Moschee versuche nun, zwischen den jungen Rückkehrern und den Behörden zu vermitteln. "Wir erklären ihnen, dass wir einen Deal mit den Behörden haben und sie respektvoll und nicht wie Verrückte behandeln werden", erklärt El Saadi. Nach Syrien zu reisen, ist auch in Dänemark nicht verboten. Er könne niemanden davon abhalten. Überhaupt: Wer aufbreche, erzähle meist weder der Moschee noch den eigenen Eltern davon.

"Wir kennen die wahre Situation im Irak und in Syrien nicht"

Immer wieder haben Journalisten El Saadi nach seiner Haltung zur Terrormiliz "Islamischer Staat" gefragt. Er hört die Frage und lächelt breit. Sich vom IS zu distanzieren, fällt ihm schwer. Er unterstütze ihn nicht, er sei schließlich Däne, aber er fühle mit seinen muslimischen Brüdern. Als Terrororganisation will er den IS jedenfalls nicht bezeichnen. "Wir kennen die wahre Situation im Irak und in Syrien nicht", sagt er. Dann spricht El Saadi - plötzlich gar nicht mehr ruhig - vom Krieg des Westens gegen die Muslime. Wer jetzt noch in Syrien sei, wolle nicht mehr zurückkehren, sondern den Feind dort bekämpfen.

Ob man darüber mal mit einem der Syrien-Rückkehrer sprechen könnte? El Saadi hat schon früher Interviews vermittelt, doch die Rückkehrer wollen offenbar nicht mehr. Er wählt trotzdem eine Nummer und reicht den Hörer weiter. Der junge Mann am anderen Ende sagt, er sei in Syrien gewesen, nehme aber nicht am Aarhus-Programm teil. Die Interviewanfrage will er überschlafen. Am nächsten Tag schickt El Saadi eine SMS mit einer Handynummer. Doch unter der ist in den folgenden Tagen niemand zu erreichen.

Wenn die moralische Bremse fehlt

Die 16, die nach Aarhus zurückgekehrt sind, alle männlich und zwischen 18 und 25 Jahre alt, seien in sehr unterschiedlicher Verfassung, sagt Polizeidirektor Ilum. "Manche von ihnen sind noch Extremisten. Andere sind desillusioniert durch ihre Erfahrungen in Syrien. Manche betteln fast um Hilfe." Letztere landen wahrscheinlich auf dem Sofa von Preben Bertelsen, Psychologieprofessor an der Universität Aarhus. Er hat ein Modell entwickelt mit grundlegenden "Life-Skills", die ein gesunder Mensch brauche: zum Beispiel soziale Teilnahme, Empathie, Anpassung an Regeln. Menschen, die ein Leben lang von der Gesellschaft ausgeschlossen waren, liefen eher Gefahr, radikal zu werden, sagt er. Umso schwieriger sei es, dass die Syrien-Rückkehrer in Dänemark auf eine "massive Wand aus negativer Rhetorik und Angst stoßen".

Hinzu kommen weitere mögliche Leiden: posttraumatische Belastungsstörungen und etwas, das Bertelsen "moralische Verwundung" nennt. Manche Rückkehrer hätten Dinge gesehen oder selbst getan, von denen sie nie gedacht hätten, dass Menschen dazu fähig seien. Sie hätten so den Glauben an Menschlichkeit verloren und womöglich keine "moralische Bremse" mehr, sagt Bertelsen. In diesem Zustand, befürchtet er, werden IS-Anhänger auch dann noch umherirren, wenn die Terrormiliz längst zerschlagen ist. Sie könnten zu kriminellen, radikalisierten Nomaden auf der Suche nach der nächsten Terrorgruppe werden. Es sei denn, sie haben einen Ort, an den sie zurückkehren können, in ein normales Leben.

Die Regierung plant ein Anti-Dschihad-Gesetz

Aarhus soll so ein Ort sein. Bertelsen hofft, dass die Rückkehrer aus dem Programm anderen in Syrien über das Internet davon erzählen. Damit sie nach Hause kommen. Nach Hause in ein Dänemark, in dem die Islamfeindlichkeit jedoch deutlich zugenommen hat, geschürt vor allem durch die Dänische Volkspartei. Die Rechtspopulisten möchten Muslime am liebsten gar nicht mehr ins Land lassen. In Umfragen erreichen sie knapp 20 Prozent.

Andere Parteien haben reagiert: Im Sommer forderte die größte Oppositionspartei, die rechtsliberale Venstre, spezielle Einwanderungsregeln für Immigranten aus nicht-westlichen Ländern. Ohnehin meint laut einer Umfrage von Ende 2013 jeder dritte Däne, sein Land sei zu tolerant gegenüber der muslimischen Bevölkerung. Die Diskussion über die Dschihadisten dürfte diese Ansicht noch verstärkt haben.

"Wenn sie sich entschieden haben, nach Syrien zu gehen, um zu kämpfen, sollte es unsere erste Priorität sein, sie zu bestrafen, einzusperren, ihnen ihren Pass wegzunehmen", fordert Martin Henriksen, Integrations-Sprecher der Dänischen Volkspartei. Die sozialdemokratische Regierung plant derzeit eine Art Anti-Dschihad-Gesetz, das etwas Ähnliches vorsieht. Die Behörden sollen künftig Pässe einziehen dürfen, wenn sie jemanden verdächtigen, sich dem Dschihad anschließen zu wollen. Erwogen wird zudem, diesen Personen die Aufenthaltsgenehmigung zu entziehen.

Der dänische Nachrichtendienst spricht inzwischen von 110 mutmaßlichen Gotteskriegern, die aus Dänemark nach Syrien oder in den Irak gereist sind. In Aarhus dagegen feiert die Polizei erste Erfolge: Seit Beginn ihres Programms Anfang des Jahren hat nur eine einzige Person die Stadt Richtung Syrien verlassen.

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