Schäuble über Pegida-Märsche:"Deutschland braucht Zuwanderung"

Pegida Demonstration in Dresden

Teilnehmer einer Pegida-Kundgebung Anfang Dezember in Dresden.

(Foto: dpa)
  • Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) fordert die Politik auf, Sinn und Nutzen von Zuwanderung besser zu erklären.
  • Deutschland profitiere heute genauso von den Zuwanderern wie von den Kriegsflüchtlingen nach dem Zweiten Weltkrieg und den Gastarbeitern, so Schäuble.
  • Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) ruft zur Aufklärung von Pegida-Anhängern auf, schließt deren Drahtzieher vom Dialog aber aus.
  • Handwerkspräsident Wollseifer fordert, dem Azubi-Mangel mit einem Bleiberecht für Flüchtlinge entgegenzuwirken.
  • Der Ökonom Hans-Werner Sinn warnt vor einem Zusammenbruch der Rentenkassen.

Schäuble übt Eigenkritik an Politik

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hat unter dem Eindruck der islamfeindlichen Pegida-Demonstrationen die Politik aufgefordert, Sinn und Nutzen von Zuwanderung besser zu erklären. Der Bild-Zeitung sagt er: "Wo wir alle besser werden müssen, das ist beim Erklären der vielen Veränderungen im Alltag und in der Welt." Schäuble geht in seiner Argumentation einige Jahrzehnte zurück: "So wie uns nach dem Zweiten Weltkrieg Millionen Flüchtlinge und Vertriebene beim Aufbau unseres Landes genützt haben und später die Gastarbeiter, so brauchen wir auch heute Zuwanderung. Aber natürlich müssen wir mit Zuwanderern auch zusammenleben. Das wird unseren Alltag verändern, aber nicht verschlechtern, sondern meistens verbessern."

Schäuble sieht in den Demonstrationen auch eine Folge von Fehlern der etablierten Parteien. "Die Politik muss zuhören und argumentieren. (...) Diejenigen aber, die als Partei wie die Alternative für Deutschland oder als Organisatoren von Pegida bewusst fremdenfeindliche Ressentiments schüren, die muss man wirklich bekämpfen", sagte Schäuble zuvor der Rheinischen Post.

Kretschmann ruft zu Aufklärung auf

Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann ruft die Politik zwar zum Dialog mit den Anhängern der islamfeindlichen Pegida-Bewegung auf, deren "Drahtzieher" davon aber ausgeschlossen. Aufklärung sei "das einzige Mittel", denn Ängste und Vorurteile von Menschen könne man nicht verurteilen, so der Grüne. "Wir müssen mit ihnen reden und sie von etwas Besserem überzeugen", sagte Kretschmann dem Berliner Tagesspiegel. Die Forderung zum Dialog gilt Kretschmann zufolge aber nicht für die Organisatoren von Pegida. Sie missbrauchten die Vorurteile der Menschen für niedere politische Zwecke.

Bouffier fordert Dialog

Der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier warnt unterdessen vor einer Verteufelung der Pegida-Bewegung. Zwar seien dort "einige Dumpfbacken" unterwegs. "Aber es nehmen auch Bürger teil, die sich einfach Sorgen um ihre Zukunft machen", sagt der CDU-Bundesvize der Welt. Er wendet sich dagegen, die Demonstranten pauschal als Nazis zu beschimpfen, und ruft dazu auf, das Gespräch zu suchen.

Handwerk fordert Bleiberecht für Flüchtlinge

Handwerkspräsident Hans Peter Wollseifer fordert unterdessen Erleichterungen und ein begrenztes Bleiberecht für ausbildungswillige junge Flüchtlinge in Deutschland. "Unter den Flüchtlingen sind sehr viele mit guter Schulbildung, zum Beispiel aus dem Irak und Syrien, und viele, die großes praktisches Geschick haben", sagt Wollseifer der Rheinischen Post. Viele Handwerksbetriebe könnten schon jetzt Lehrlingsplätze nicht besetzen und würden gerne junge Flüchtlinge ausbilden.

"Wenn wir einen jungen Flüchtling ausbilden, muss aber auch klar sein, dass er über die gesamte Lehrzeit in Deutschland bleiben darf", wünscht sich der Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH). Hier sei die Politik gefordert, denn die Betriebe bräuchten Planungssicherheit.

Ökonom Sinn: Migranten für Rentenkassen notwendig

Der Ökonom Hans-Werner Sinn warnt hingegen vor einem Zusammenbruch der Rentenkassen, der nur durch gut Einwanderung aufzufangen sei. Der Renteneintritt der sogenannten Babyboomer im Laufe der nächsten 20 Jahre stelle Deutschland vor massive Herausforderungen, sagt der Präsident des Münchner Ifo-Instituts Focus Online. "Dann werden wir siebeneinhalb Millionen mehr Rentner haben und achteinhalb Millionen weniger Personen im erwerbsfähigen Alter", warnt Sinn. Um das durch Migration aufzufangen, seien 32 Millionen Menschen nötig. Deutschland werde gut ausgebildete Migranten brauchen, die helfen, diese Last zu tragen. "Aber eine Lösung in dem Sinne, dass es uns dann so gut geht wie heute, ist nicht vorstellbar", so der Wirtschaftsexperte.

Bundesweiter Widerstand gegen Pegida

Das Bündnis "Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes" ("Pegida") organisiert seit Wochen Demonstrationen. In Dresden, wo die islamfeindliche Bewegung entstanden ist, waren es zuletzt etwa 17 500 Teilnehmer. Angekündigt war ein gemeinsames Weihnachtssingen, tatsächlich aber wurden Beschimpfungen von Politikern ebenso bejubelt wie ausländerfeindliche Parolen.

Aber es formiert sich bundesweit auch immer mehr Widerstand. Anfang der Woche waren bundesweit mehr als 20 000 Menschen auf die Straße gegangen, um für Toleranz und Weltoffenheit zu demonstrierten. Im Internet werden unter der Überschrift "Für ein buntes Deutschland" inzwischen Unterschriften gegen Pegida gesammelt. Bis Samstagvormittag fanden sich mehr als 71 000 Unterstützer.

Bischöfe üben Kritik an Pegida

In ihren Weihnachtspredigten verwahrten sich die deutschen Bischöfe gegen eine Vereinnahmung des Christentums durch die islamfeindliche Bewegung. Sie riefen in ihren Ansprachen zu Solidarität mit Flüchtlingen auf und verurteilten jede Form von Ausgrenzung.

Der Bischof von Hildesheim, Norbert Trelle, nannte es bizarr, wenn Menschen, die überwiegend keiner christlichen Gemeinschaft mehr angehörten, sich aufschwängen, das christliche Abendland zu retten. "Was ich bei den erwähnten Demonstrationen wahrnehme, hat mit Christentum wenig, einiges aber mit Gottlosigkeit zu tun."

Der Rottenburger Bischof Gebhard Fürst kritisierte, wer unter dem Vorwand, das christliche Abendland vor Überfremdung bewahren zu wollen, Flüchtlingen Hilfe verwehre, verrate christliche Werte, auf denen das Abendland gründe.

Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche, Heinrich Bedford-Strohm, nannte ausländerfeindliche Bedrohungsszenarien "unvereinbar mit dem christlichen Glauben". Im Kölner Stadt-Anzeiger verwies er auf die Weihnachtsgeschichte: "Das Kind in der Krippe hat nur überlebt, weil seine Eltern in Ägypten Asyl gefunden haben."

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