Auschwitz-Gedenkfeier:Heikle Gästeliste

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2005 gab es noch keine Debatte über seine Teilnahme: Russlands Präsident Putin am 60. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers in Auschwitz. (Foto: Sean Gallup/Getty Images)
  • Am 27. Januar 2015 jährt sich die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz zum 70. Mal.
  • Zur Gedenkfeier soll auch der russische Präsident Putin kommen. Das zieht diplomatische Verstimmungen nach sich.
  • Nach SZ-Informationen kündigten nur die Präsidenten Bulgariens und der Ukraine ihr Kommen an, aus zwei Dutzend weiteren Ländern wollen nur die Präsidenten der Parlamente oder ihre Stellvertreter kommen.
  • Deutschland wird in Prag allenfalls durch ein paar Bundestagsabgeordnete vertreten sein.

Von Klaus Brill, Prag

Wären dies normale Zeiten, man könnte für den 27. Januar 2015 einen feierlichen Akt des Gedenkens mit Beteiligung der wichtigsten Staatsführer Europas erwarten. An diesem Tag vor 70 Jahren wurde das deutsche Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau, das die Nazis im besetzen Polen errichtet hatten, durch die sowjetische Armee befreit. Es versteht sich von selbst, dass daran würdig zu erinnern ist. Die Frage ist nur, wo? Und wie? Und ob bei einer denkbaren Zentralveranstaltung auch Russlands Präsident Wladimir Putin zugegen sein und das Wort ergreifen solle.

Vor zehn Jahren war das kein Problem. Gemeinsam mit der polnischen Regierung veranstaltete der Europäische Jüdische Kongress in Krakau ein internationales Forum mit dem Motto "Let my people live!" (Lass mein Volk leben), bei dem Polens damaliger Präsident Aleksander Kwaśniewski mehr als 30 Delegationen und mehr als ein Dutzend Staatsoberhäupter begrüßen konnte. Darunter waren Wladimir Putin, US-Vizepräsident Dick Cheney, Israels Präsident Mosche Katsav und Bundespräsident Horst Köhler.

Instrumentalisierung befürchtet

Das Aufgebot schien dem Anlass angemessen zu sein. Schließlich war Auschwitz-Birkenau das größte der Vernichtungslager, die die Nazis während des Zweiten Weltkriegs nach dem deutschen Überfall auf Polen in diesem Land betrieben hatten. Etwa 1,1 Millionen Menschen wurden hier fabrikmäßig vergast, unter ihnen eine Million Juden aus ganz Europa, die Übrigen waren Roma sowie polnische oder sowjetische Gefangene. Der Name Auschwitz wurde zum Symbol des Holocaust, der fast sechs Millionen Juden das Leben kostete.

Vor diesem Hintergrund erklärte Putin vor zehn Jahren in Krakau, sowjetische Soldaten hätten bei der Befreiung am 27. Januar 1945 als erste die Stätten der Nazi-Verbrechen erblickt. "Sie löschten für immer die Verbrennungsöfen von Auschwitz und Birkenau, Majdanek und Treblinka, und sie retteten Krakau vor der Vernichtung. 600 000 Sowjetsoldaten haben ihr Leben gegeben, und das war der Preis, den sie zahlten, um das jüdische Volk und viele andere Völker vor der totalen Vernichtung zu retten." Nachzulesen auf der Website des Kreml.

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Im Januar 2005, als diese Worte gesprochen wurden, herrschte in Europa Frieden. Im Januar 2015 aber ist die Lage verdüstert durch Russlands Militäraktionen gegen die Ukraine, die Verletzungen der Grenze und die Annexion der Halbinsel Krim. Vor diesem Hintergrund schien der Führung Polens eine Wiederholung der Zeremonie von 2005 nicht angebracht zu sein. Sie wollte mitten in der Krise kein business as usual und fürchtet offenbar, Putin könnte das Ereignis instrumentalisieren.

Folglich richtet am 27. Januar nicht die Warschauer Regierung, sondern das Staatliche Museum Auschwitz-Birkenau eine Gedenkfeier aus, zu der Gäste aus aller Welt erwartet werden, unter ihnen 250 bis 300 einstige Insassen des Lagers. "Dies ist der letzte runde Jahrestag, den wir mit einer größeren Gruppe von Überlebenden begehen können", wird der Museumsdirektor Piotr M. A. Cywiñski auf der eigens eingerichteten Website 70.auschwitz.org zitiert. Andere Länder wurden von der Planung über ihre Botschaften informiert. Wer genau kommt, ist nicht bekannt.

Der European Jewish Congress, dessen Präsident der auf gutem Fuß mit dem Kreml stehende russische Milliardär Wjatscheslaw Mosche Kantor ist, verfolgte andere Pläne. Schon vor Monaten verständigte er sich mit dem Europaparlament und der tschechischen Regierung darauf, wieder unter dem Motto "Let my people live!" ein internationales Forum zu veranstalten, diesmal in Prag, mit abschließendem Gedenken im früheren Konzentrationslager Theresienstadt.

In dieser barocken Festungsstadt, tschechisch Terezín genannt, hatten die Nazis 1941 ein Ghetto eingerichtet. Es wurde für mehr als 140 000 Menschen aus Europa, die meisten von ihnen Juden, zur Durchgangsstation auf dem Weg in die Vernichtungslager, mehr als 33 000 kamen in Theresienstadt um.

Das nun geplante Forum soll nicht nur dem Erinnern dienen, sondern auch dem Kampf gegen die wachsende Bedrohung durch Antisemitismus, Rassismus und islamistischen Radikalismus. Die Veranstalter gewannen prominente Diskutanten, so den US-Historiker Timothy Snyder und den französischen Philosophen Bernard-Henri Lévy.

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Und ausweislich ihrer Website worldholocaustforum.org erhofften sie sich auch einen Auftritt des russischen ebenso wie des französischen Präsidenten und der deutschen Kanzlerin im Spanischen Saal der Prager Burg.

Der tschechische Präsident Miloš Zeman und die Prager Regierung luden sie alle ein, im Ganzen die Vertreter jener 46 Länder, die 2009 die sogenannte Erklärung von Theresienstadt unterzeichnet hatten. Darin wurde gefordert, den Opfern des Holocaust und ihren Nachkommen solle endlich das von den Nazis geraubte Vermögen zurückerstattet werden - dies ist nämlich nur zum kleinsten Teil bisher geschehen.

Barack Obama sagte für eine Veranstaltung in Prag ab

Die Resonanz auf diese Einladung war anders als erwartet. Polens Ministerpräsidentin Ewa Kopacz war verstimmt und telefonierte mehrmals mit ihrem Prager Kollegen Bohuslav Sobotka. Auch andere Regierungen waren keineswegs angetan von dem Plan. US-Präsident Barack Obama sagte ab, Israels Präsident Reuven Rivlin ist am 27. Januar bei den Vereinten Nationen in New York.

Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung kündigten nur die Präsidenten Bulgariens und der Ukraine ihr Kommen an, aus zwei Dutzend weiteren Ländern wollen nur die Präsidenten der Parlamente oder ihre Stellvertreter kommen - wie auch Martin Schulz, der Präsident des Europaparlaments, und Jean-Claude Juncker als EU-Kommissionschef.

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Deutschland wird in Prag allenfalls durch ein paar Bundestagsabgeordnete vertreten sein. Bundestagspräsident Norbert Lammert und Kanzlerin Angela Merkel nehmen am 27. Januar in Berlin an der alljährlichen Holocaust-Gedenkfeier im Bundestag teil, und Bundespräsident Joachim Gauck reist zu der Veranstaltung in Auschwitz, wo er seinen polnischen Kollegen Bronisław Komorowski trifft.

Und Putin? "Wir haben die Einladung erhalten, sie wird mit höchster Aufmerksamkeit geprüft", ließ er seinen Sprecher erklären. Die Prüfung könnte ergeben, dass wieder einmal die Europäer sich über den Umgang mit Russland nicht einig sind, sogar bei diesem heiklen Anlass. Und dass der russische Präsident zu einem Forum, das nur mit Parlamentspräsidenten besetzt ist, wohl besser ebenfalls einen protokollarisch rangniedrigeren Vertreter schickt.

So erhofft man es sich jedenfalls in Prag und in Warschau, in aller Diskretion. Die Föderation der jüdischen Gemeinden in Tschechien hingegen erklärte dagegen unverblümt, warum sie Putin in Prag nicht sehen möchte. Er verkörpere ein aggressives Regime, das internationale Vereinbarungen missachte und mit Gewalt das Territorium eines Nachbarlandes besetze.

Putins Anwesenheit, so sagte der Verbandsvorsitzende Petr Papousek, könnte das Gedenken überschatten, Proteste hervorrufen - und andere Staatsmänner von der Teilnahme abhalten.

© SZ vom 02.01.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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