"Tannbach - Schicksal eines Dorfes" im ZDF:Auf Tuchfühlung mit der großen Sprachlosigkeit

TANNBACH - Schicksal eines Dorfes (2)

Bleibt ohne ihre Familie in der Ostzone zurück: Gutsbesitzerstochter Anna von Striesow (Henriette Confurius).

(Foto: Stephan Rabold)

Mit der Geschichte des geteilten Dorfes Tannbach erzählt das ZDF mehr als ein Familienepos. Es leuchtet aus, wie sehr sich Ost- und Westdeutsche voneinander entfernten. Darüber sollte endlich geredet werden.

Von Renate Meinhof

Die alte Frau wäscht ihre Gräfin, fast dunkel ist das Zimmer. Den Oberkörper von Kugeln der SS-Männer durchlöchert, so liegt die Gräfin auf dem Bett, so deckt die Alte den Leichnam zu. Die Gräfin, die sich geopfert hat: ein Leben gegen viele Leben, auch das ihres Mannes, dabei waren die Amerikaner schon fast auf dem Hof.

Später wird man die alte Haushälterin mit dem dünnen weißen Zopf sehen, wie sie ihr Schatzkästlein öffnet und mit zärtlicher Hand eine Fotografie Adolf Hitlers herausholt, sie anschaut mit einem Lächeln und wieder hineinlegt.

Noch später wird man sehen, wie sie ihrem Leben ein Ende setzt. Dabei war das Schlimmste doch schon überstanden. Aber was heißt: das Schlimmste? War nicht für jeden etwas anderes das Schlimmste?

Tannbach - Schicksal eines Dorfes, das ist der Titel des dreiteiligen Filmepos, das jetzt im ZDF gezeigt wird. Es geht um die letzten Kriegstage auf deutschem Boden, um die Nachkriegszeit bis 1952.

Erzählt wird die Geschichte eines Dorfes an der bayerisch-thüringischen Grenze, und Vorbild war den Drehbuchautoren Josephin und Robert von Thayenthal der Ort Mödlareuth, durch den der Tannbach fließt. "Little Berlin", so wurde Mödlareuth genannt, denn die Zonengrenze ging, nach wechselnden Besatzungen, mitten hindurch und schnitt es in zwei Teile.

Ansiedlung in der Provinz eröffnet erzählerische Möglichkeiten

Ganz bewusst haben die Autoren des Films ihre Geschichte nicht im großen, historisch bepackten Berlin angesiedelt, sondern in der Provinz. Das hat ihnen erzählerische Möglichkeiten eröffnet, deren Wert einem nach diesen drei mal 90 Filmminuten erst langsam in seiner Dimension bewusst wird.

So ist es wohl das erste Mal, dass im Fernsehen der Teil ostdeutscher Geschichte beleuchtet wird, der bis mindestens 1989 in der Bundesrepublik kaum auf Interesse stieß: die Geschichte der sowjetischen Besatzungszone. Plünderungen und Vergewaltigungen, Verbannung, Entnazifizierung, Enteignung, Bodenreform und Zwangskollektivierung, Aufbau der Staatssicherheit - das sind nur wenige Stichworte, die diese Jahre kennzeichnen.

Starke Frauenfiguren

Tannbach - Schicksal eines Dorfes

Franz Schober (Alexander Held), Kathi (Johanna Bittenbinder) und Resi (Maria Dragus, v.l.n r.) sitzen auf der Ladefläche eines LKWs. Sie sollen abgeschoben werden. Franz steht im Westen schließlich als Nazi vor Gericht, doch am Ende wird er natürlich doch nicht bestraft werden.

(Foto: ZDF Dusan Martincek, Lukás Zentel)

Jedes aber steht für ein Trauma der Eltern- und Großelterngeneration. So hatten die Menschen in der sowjetischen Zone die - am Anfang jedenfalls - ungezügelte Rache der Rotarmisten zu spüren bekommen, die Vergeltung für die millionenfachen Verbrechen der Deutschen im Rassenkrieg gegen das sowjetische Volk. Dessen Behörden hatten sich die Deutschen nun unterzuordnen. Ein Volk, von dem ihnen beigebracht worden war, dass es dem eigenen unterlegen sei.

All diese Hintergründe versucht Tannbach mal direkt, mal nur in Andeutungen und Bildern zu beleuchten. Und dieses Beleuchten gelingt - vor allem dank der gezeichneten Charaktere.

Da ist der windige und höchst anpassungsbereite Großbauer Schober (Alexander Held), ein Nazi, der sich geschickt den Amerikanern andient, als diese Tannbach besetzen. Schober, der seinem SS-Sohn die Giftkapsel reicht. Da ist Georg von Striesow (Heiner Lauterbach), der Gutsherr, beladen mit eigener Schuld an der Ostfront, dann desertiert, erstarrt in Härte und Schweigen.

Aber da sind vor allem die starken Frauenfiguren. Striesows Tochter Anna (Henriette Confurius), die gegen den Willen ihres Vaters in der Ostzone bleibt und den bürgerlichen Friedrich Erler heiratet. Friedrich, der lange überzeugt ist, dass der sowjetische Weg für Deutschland der richtige sei, Friedrich, der Neubauer, der auf seinem Stück Land vor Glück zu tanzen beginnt. Es ist Land, das der Familie seiner Frau seit Generationen gehört hatte. Oder Hilde Vöckler (Martina Gedeck), diese unangepasste Frau, die sich in ihrer Pension in Arbeit flüchtet, die ihren eigenen Sohn verrät. Und Liesbeth Erler natürlich (Nadja Uhl). Der sowjetische Kommandant drückt ihr das Baby in die Hand, dessen Mutter seine Soldaten gerade erschossen haben.

Wie ein lähmendes Gift

Die Hauptfigur aber ist Anna von Striesow, der man in nahezu jedem Moment ihre Liebe, ihre Zerrissenheit und auch ihren Kampfgeist abnimmt. "Und ist hier denn alles besser?", fragt sie ihren Vater, nachdem sie im Prozess gegen den Schober-Bauern ausgesagt hat, der auf der Westseite schließlich als Nazi vor Gericht steht und am Ende natürlich doch nicht bestraft wird.

In Tannbach prallen, je mehr sich die Fronten zwischen den Siegermächten verhärten, die Systeme aufeinander. Auf der Ostseite gab es allerdings "keinen Gesamtplan für die politische Entwicklung der Besatzungszone", wie der Historiker Norman M. Naimark in seinem Buch "Die Russen in Deutschland" feststellt. Die sowjetischen Offiziere bolschewisierten ihre Zone, weil es für sie die "einzig bekannte Möglichkeit war, eine Gesellschaft zu organisieren".

Über all das, was in der Ostzone während der Jahre sowjetischer Besatzung geschehen war, hatte man in der DDR zu schweigen, denn die Rotarmisten, so wurde es jedem Kind in der Schule beigebracht, waren als Befreier, nicht als Besetzer gekommen. Die große Sprachlosigkeit derer, die Plünderungen und Vergewaltigungen am eigenen Leib erlebt hatten, breitete sich aus wie ein lähmendes Gift.

Es ist gut, dass sich öffentlich-rechtliches Fernsehen dieser verschütteten, traumatisierenden Zeit annimmt. Eine Zeit, die Westdeutsche von Ostdeutschen so gründlich entfernt hat, dass die Folgen der Entfremdung auch 25 Jahre nach dem Mauerfall noch zu spüren sind. Es wäre Tannbach, diesem sorgfältig gestalteten Großprojekt des Fernsehens, zu wünschen, dass es ähnlich starke Diskussionen auslöst wie vor knapp zwei Jahren Unsere Mütter, unsere Väter.

Es ist im besten Sinne Geschichtsunterricht.

Tannbach - Schicksal eines Dorfes, ZDF. Teil 1: Der Morgen nach dem Krieg. 4. Januar, Teil 2: Die Enteignung, 5. Januar, Teil 3: Mein Land, dein Land, 7. Januar, jeweils 20.15 Uhr.

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