Wahlkampf in Israel:Stimmen aus dem Totenreich spalten Ultraorthodoxe

Wahlkampf in Israel: Die Schatten der Vergangenheit lasten schwer auf der Schas-Partei. Diese gehören jungen orthodoxen Juden, die auf das Begräbnis des einstigen spirituellen Führer Ovadia Josef warten. Das war im Herbst 2013.

Die Schatten der Vergangenheit lasten schwer auf der Schas-Partei. Diese gehören jungen orthodoxen Juden, die auf das Begräbnis des einstigen spirituellen Führer Ovadia Josef warten. Das war im Herbst 2013.

(Foto: AFP)
  • Israels mächtigste religiöse Partei Schas zerlegt sich im Wahlkampf selbst - Auslöser ist ein Video ihres einstigen Anführers.
  • Premierminister Netanjahu wollte mit der Schas-Partei ein rechts-religiöses Regierungsbündnis gründen. Doch plötzlich steht alles in Frage.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Dies wäre ein saftiger Stoff für eine sephardische Seifenoper, aber natürlich würden sich die frommen Männer der ultra-orthodoxen Schas-Partei einen solchen Schund niemals im Fernsehen anschauen. Müssen sie auch nicht, sie erleben sie ja gerade live - die Machtkämpfe und Intrigen, die heimlichen Schmutzkampagnen und offenen Schlammschlachten, mit denen sich Israels mächtigste religiöse Partei im Wahlkampf selbst zerlegt. Mittendrin steht ausgerechnet der heiligengleich verehrte Rabbi Ovadia Josef, der vor gut einem Jahr verstorbene "spirituelle Anführer". Auch sein Andenken wird in den Dreck gezogen, und das letzte Amen ist in diesem Drama längst nicht gesprochen.

Ovadia Josefs Stimme aus dem Totenreich hat das Schmierenstück in Gang gesetzt. Genau genommen war es eine Videoaufnahme aus dem Jahr 2008, die einem Fernsehsender zugespielt worden war. Der Rabbi beschimpfte darin den Schas-Chef Arye Deri als "gefährlich" und als "Dieb", er sehe in ihm eine Gefahr für die Partei und er wirft ihm obendrein unbotmäßige "Unabhängigkeit" vor. Nur wegen heftigen Drucks von außen habe er den Hallodri an die Parteispitze befördert, erklärte da Ovadia Josef - und lobte als leuchtendes Gegenbeispiel zu Deri den früheren Innenminister Eli Jischai.

Das Video gewährt einen seltenen Blick ins Innenleben der Schas-Partei, die von Ovadia Josef sektenähnlich geführt worden war. Seit ihrer Gründung vor drei Jahrzehnten hat sie in fast jeder israelischen Regierung gesessen und dort reine Klientelpolitik für die frommen Sepharden, also die orientalischen Juden betrieben. Hand in Hand tat sie dies zumeist mit den Parteien der aschkenasischen, sprich europäischen Ultra-Orthodoxen. Zu ihrer besten Zeit 1999 gewann Schas 19 der 120 Knesset-Sitze, derzeit ist sie mit elf Abgeordneten im Parlament vertreten.

Rechtes Regierungsbündnis geplant

Premierminister Benjamin Netanjahu baut darauf, mit dem frommen Block nach der vorgezogenen Wahl am 17. März ein rechts-religiöses Regierungsbündnis zu schmieden. Doch plötzlich steht alles infrage. Seit dem Tod ihres spirituellen Anführers tobt ein zerstörerischer Machtkampf in der Schas-Partei. Die beiden Protagonisten könnten dabei unterschiedlicher nicht sein.

Arye Deri ist charismatisch und gerissen, schon mit 29 Jahren avancierte er 1988 zum Innenminister und galt als politisches Wunderkind - bis er tief stürzte über eine Korruptionsaffäre. Wegen Betrugs und Amtsmissbrauchs wurde er zu vier Jahren Haft verurteilt, knapp zwei saß er ab, anschließend durfte er für sieben Jahre kein öffentliches Amt mehr ausüben. Doch unmittelbar danach war Deri wieder ganz oben auf und zog bei der Wahl 2013 an der Schas-Spitze wieder in die Knesset ein.

Rivale Eli Jischai hatte sich in den Jahren ohne Deri still nach oben gedient, grau seine Ämter verrichtet und dabei immer den "Maran" im Blick gehabt, den Meister und Lehrer, wie Ovadia Josef von seinen Anhängern bis heute genannt wird. Jischai muss es als enorme persönliche Kränkung empfunden haben, von Deri wieder verdrängt zu werden.

Eskaliert ist der Konflikt vor zwei Wochen: Jischai warf bei Schas die Brocken hin und gründete eine eigene, weiter rechts angesiedelte religiöse Partei unter dem Namen "Das Volk ist mit uns".

Das Volk allerdings muss erst einmal gewonnen werden. Dabei kann ein Video gewiss nicht schaden, in dem Jischai statt Deri als ehrlicher Erbe des verehrten Rabbis erstrahlt. Für alle Gutgläubigen unter den Frommen hat Jischai sogleich erklärt, dass er natürlich nichts damit zu tun habe, dass die Aufnahmen in die Öffentlichkeit gelangten. Zugleich ließ er durchblicken, dass es noch mehr von dem Stoff gebe und er damit ein "Erdbeben" auslösen könne, das seiner neuen Partei bei der Wahl zehn bis zwölf Sitze einbringen würde.

Die Hoffnung der Orthodoxen

Mit dem Rücken zur Wand trat Deri die Flucht nach vorne an. Er warf Jischai vor, für seine "kleinkarierten persönlichen Interessen" auf der Ehre Ovadia Josefs herumzutrampeln. In tiefem Schmerz über diese "Blasphemie" erklärte er in einem sogleich für die Medien vervielfältigten handschriftlichen Brief erst seinen Rücktritt vom Parteivorsitz, dann legte er auch noch sein Knesset-Mandat nieder.

Die Wirkung war bei allem Pathos vermutlich kühl kalkuliert. Der parteieigene "Rat der Thora-Weisen" lehnte Deris Rücktritt vehement ab, seine Anhänger schlugen vor seinem Haus in Jerusalem ein Zeltlager auf, um ihn umzustimmen, und auch die Familie von Ovadia Josef formierte sich zu seiner Verteidigung. Die Söhne eilten zum Grab und warfen von dort aus Jischai vor, ihren Vater heimlich gefilmt zu haben. Um seine Ehre wiederherzustellen riefen die Nachkommen im Namen der Partei eine Kampagne ins Leben mit dem Titel: "Vater, was haben sie dir angetan."

Um die Solidarität in der Schas-Partei muss also niemand Sorge haben, um die Wählerstimmen allerdings schon. Eine Umfrage des Knesset-Fernsehsenders zur nächsten Wahl zeigt als Folge der Schlammschlacht einen Schas-Absturz von elf auf nur noch fünf Sitze. Und Jischais Neugründung hätte demnach keine Chance, ins Parlament einzuziehen.

Die Hoffnung der Orthodoxen ist, dass die Zeit die allseits geschlagenen Wunden heilt. Gut zehn Wochen sind es noch bis zur Wahl, und aus der Versenkung hat sich Deri bereits per Telefon-Aufruf an seine Anhänger gewandt. Er könne Ovadia Josefs Auftrag nicht vergessen, sich um die Sepharden zu kümmern, sagte er. "Wir werden zusammen weitermachen, egal in welcher Art."

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