Anschlag auf "Charlie Hebdo":Was wir über die Täter wissen - und was nicht

A call for witnesses released by the Paris Prefecture de Police  shows the photos of two brothers who are actively being sought for questioning in the shooting at the Paris offices

Nach diesen Brüdern sucht die Polizei: Chérif und Saïd Kouachi.

(Foto: REUTERS)

Die Polizei sucht nach den Attentätern von Paris. Saïd Kouachi - der ältere der beiden tatverdächtigen Brüder - soll von al-Qaida ausgebildet worden sein. Einem Medienbericht zufolge war einer der Verdächtigen im vergangenen Jahr in Syrien.

Von Martin Anetzberger, Anna Fischhaber und Oliver Klasen

Zwei Tage nach dem Anschlag auf die Satirezeitschrift Charlie Hebdo in Paris, bei dem zwölf Menschen getötet und elf verletzt wurden, haben Polizeieinheiten offenbar die mutmaßlichen Attentäter lokalisiert. Doch wer sind die Männer? Eine Übersicht über die wichtigsten Fakten.

Wer sind die mutmaßlichen Täter?

Die Attentäter, die in den Redaktionsräumen um sich geschossen haben, sind mutmaßlich zwei Brüder, 34 und 32 Jahre alt. Die Verdächtigen heißen Saïd und Chérif Kouachi. Beide sind französische Staatsbürger, in Paris geboren. Ihre algerischstämmigen Eltern starben früh; nach einem Heimaufenthalt kamen sie in eine Pflegefamilie.

Am meisten ist über den jüngeren Bruder, Chérif Kouachi, bekannt. Wie französische Medien übereinstimmend schreiben, wurde der 32-Jährige im Mai 2008 zu einer dreijährigen Gefängnisstrafe verurteilt, die Hälfte davon wurde zur Bewährung ausgesetzt. Demnach gehörte er einem islamistischen Ring in Paris an - "Buttes-Chaumont". Die Gruppe benannte sich nach dem gleichnamigen Stadtpark im 19. Pariser Bezirk, wo sie sich traf, und schickte Dschihadisten zum Kampf gegen die US-Truppen in den Irak.

Während möglicher Verbindungen zu "Buttes-Chaumont" hatte Chérif zwischen Januar 2005 und Oktober 2006 in Untersuchungshaft gesessen. In dieser Zeit soll er Krafttraining gemacht und sich stark zurückgezogen haben. Die Zeit im Gefängnis wurde ihm bei seiner Verurteilung angerechnet. Sein damaliger Anwalt beschrieb ihn als "ahnungsloses Kind, das nicht wusste, was es mit seinem Leben anfangen sollte, und das, von einem Tag auf den anderen, Leute traf, die ihm das Gefühl gaben, wichtig zu sein". Davor habe er Haschisch geraucht und als Pizzalieferant gearbeitet, um sich die Drogen leisten zu können.

Erst im Jahr 2010 tauchte sein Name erneut im Zusammenhang mit islamistischen Bestrebungen auf. Die französische Anti-Terror-Polizei verdächtigte ihn, zusammen mit früheren Komplizen aus dem Umfeld von "Buttes-Chaumont" einen Gesinnungsgenossen aus dem Gefängnis befreien zu wollen. Dabei handelte es sich um Ait Ali Belkacem, ein ehemaliges Mitglied der algerischen Gruppierung GIA, der wegen des Anschlags auf einen Pariser Regionalzug im Oktober 1995 zu lebenslanger Haft verurteilt worden war. Wieder wurde gegen Chérif Kouachi ermittelt, von Mai bis Oktober 2010 saß er erneut im Gefängnis. Doch die Beweise reichten nicht für eine Anklage, die Ermittlungen wurden 2013 endgültig eingestellt.

Sein älterer Bruder Saïd Kouachi, 34, spielte in diesen Ermittlungen nur eine kleine Rolle. Er tauchte am 12. März 2010 in einer polizeilichen Überwachungsaktion auf. Aber wegen fehlender Hinweise kamen die Ermittler nicht weiter. Nach US-Medienberichten hat er ein Ausbildungslager der Terrorgruppe al-Qaida durchlaufen. Er sei einige Monate bei einem Al-Qaida-Ableger im Jemen im bewaffneten Kampf ausgebildet worden, berichtet die New York Times. Die Videos der Attacke ließen erkennen, dass der 34-Jährige eine Terrorausbildung absolviert habe, schreibt die Zeitung unter Berufung auf einen hochrangigen US-Regierungsvertreter. Sowohl die französischen als auch die amerikanischen Behörden wussten laut New York Times, dass Saïd Kouachi im Jemen trainiert hatte.

Zunächst wurde ein dritter Mann verdächtigt, an den Anschlägen gegen die Satirezeitschrift Charlie Hebdo beteiligt gewesen zu sein: Mourad Hamyd, 18 Jahre alt. Dieser hatte sich noch am Abend der Polizei gestellt, nachdem sein Name in sozialen Netzwerken im Internet kursiert war - er beteuerte aber seine Unschuld. Der französischen Zeitung Le Monde zufolge ist er ein Schwager von Chérif und Saïd. Demnach hat er den gleichen Nachnamen wie Chérifs Frau und stellte sich in Charleville-Mézières, ihrer Heimatstadt im Département Ardennes nordöstlich von Paris.

Schulfreunde und Nachbarn des 18-Jährigen hatten allerdings Zweifel an dessen Komplizenschaft angemeldet. "Mourad ist gestern den ganzen Vormittag über in der Schule gewesen", sagte ein Mitschüler. "Es gibt jede Menge Zeugen. Ich verstehe nicht, weshalb er in Polizeigewahrsam ist." Auch eine islamistische Ausrichtung des 18-Jährigen bestritten seine Bekannten. Er sei ein "sehr netter Junge, der mit den Fundamentalisten nichts zu tun hat", hob sein Schulkamerad hervor. "Er ist Muslim, aber gemäßigt." Nachbarn seiner Familie äußerten sich ähnlich. Mittlerweile gehen auch die Ermittler nicht mehr von einer Beteiligung an dem Anschlag aus, wie Le Monde berichtet.

War der Anschlag islamistisch motiviert?

Von wem die mutmaßlichen Täter, Chérif Kouachi und sein Bruder Saïd, beeinflusst wurden, ist offenbar auch den Sicherheitsbehörden noch nicht klar. Fest steht, dass sie während des Anschlags islamistische Parolen skandiert haben. "Wir haben den Propheten gerächt" und "Allah ist groß", riefen sie nach Angaben von Zeugen. Eine Zeichnerin, die den Anschlag überlebte, sprach davon, dass die mutmaßlichen Täter sich ihr gegenüber zur Terrororganisation al-Qaida bekannt hätten. Das berichtet die Zeitung Libération. Ob es wirklich eine Verbindung gab, muss noch überprüft werden. Klar ist aber, dass die Verdächtigen viele Verbindungen zu Syrien und dem Irak haben, wo derzeit die Terrormiliz "Islamischer Staat" stark ist. Im Fluchtwagen der beiden wurde eine Flagge gefunden, die auch der IS verwendet.

Der Sender CNN berichtet, einer der beiden mutmaßlichen Attentäter sei im vergangenen Jahr in Syrien gewesen. Welcher der beiden Männer sei allerdings unklar, heißt es unter Berufung auf französische Sicherheitskreise. Beide Brüder stehen laut CNN auf der allgemeinen Terror-Beobachtungsliste TIDE (Terrorist Identities Datamart Environment). In dieser Liste werden bekannte oder mutmaßliche internationale Terroristen geführt. Die beiden Franzosen stehen auch auf einer No-Fly-Liste, was ihnen Flüge in die USA verwehrt.

Auch von den französischen Sicherheitsbehörden wurden die Brüder überwacht. Dabei habe es allerdings keinerlei Hinweise auf einen bevorstehenden Terrorakt gegeben, sagte Innenminister Bernard Cazeneuve dem Sender Europe-1. Bei Chérif Kouachi, dem jüngeren der beiden Brüder, können die Verbindungen zu terroristischen Gruppen offenbar genauer rekonstruiert werden. Eine wichtige Rolle scheint der radikale islamische Prediger Farid Benyettou gespielt haben. Er soll Kouachi, der zunächst vor allem an Rap-Musik interessiert war und nicht sehr gläubig gewesen sein soll, vor etwa zehn Jahren radikalisiert haben.

"Dank Farids Einfluss sind meine Zweifel verschwunden", wird Chérif Kouachi in einer Dokumentation des französischen Senders France 3 zitiert. Der Film zeigt, wie Kouachi vom Jahr 2004 an immer stärker in den Einfluss des sogenannten "Buttes-Chaumont-Netzwerks" geriet. Von diesen Leuten soll er auch gelernt haben, professionell mit einer Kalaschnikow umzugehen. Außerdem soll er Verbindungen zum radikalen französischen Islamisten Djamel Beghal unterhalten haben, der wegen der Vorbereitung von Anschlägen eine zehnjährige Haftstrafe absaß.

Wie wurde der Anschlag vorbereitet und geplant?

Es spricht einiges dafür, dass die Ermordung der Charly-Hebdo-Mitarbeiter eine gezielte, im Voraus genau geplante Tat war. Einem Bericht der Zeitung Libération zufolge wussten die Täter genau, zu welcher Uhrzeit die Redaktionskonferenz stattfindet und sich besonders viele Personen in den Räumen aufhalten.

Polizeiexperten, die die Videoaufnahmen von dem Attentat gesehen haben, sind sich außerdem sicher, dass die beiden Brüder im Umgang mit Waffen geübt waren. "Man sieht es eindeutig an der Art, wie sie ihre Waffen halten, wie sie ruhig und kaltblütig vorgehen", sagte ein Experte der Nachrichtenagentur AFP. Die mutmaßlichen Täter hätten eindeutig eine Art militärisches Training erhalten. Sie hätten ihre Kalaschnikows beim Laufen wie Profis nahe am Körper gehalten und die Schüsse einzeln und nicht in Salven abgegeben. Nachdem sie auf offener Straße einen Polizisten erschossen hatten, seien sie ruhig zu ihrem Fluchtwagen zurückgekehrt.

Allerdings unterliefen den mutmaßlichen Attentätern auch Fehler. Gegen 11.20 Uhr standen sie in der Rue Nicolas Appert im 11. Pariser Arrondissement zunächst vor dem falschen Haus, an der Nummer 6. Dort ist allerdings nur das Archiv von Charlie Hebdo untergebracht. Als sie ihren Irrtum bemerken, ziehen sie weiter zu Nummer 10, wo die Redaktion der Satirezeitung sitzt. Wie die französische Zeitschrift Le Point schreibt, hätten die Terroristen auch einen Personalausweis in ihrem Fluchtwagen vergessen, als sie das Auto wechselten.

Gibt es Hintermänner?

Über Hintermänner ist bislang kaum etwas bekannt. Nicht einmal, ob es überhaupt welche gab. SZ-Außenpolitikchef Stefan Kornelius sagt, der Terrorakt in Paris sei in mancher Hinsicht anders als frühere Anschläge, weil er vermutlich von Einzeltätern ausgeübt wurde. Es gebe keine organisierten Zellen mehr, es seien radikalisierte Individuen, die bereit sind, maximale Gewalt auszuüben. Dennoch ist es aber möglich, dass die Brüder Helfer hatten.

Frankreichs Premierminister Manuel Valls hatte am Morgen in einem Interview von "mehreren vorläufigen Festnahmen" nach dem Terroranschlag berichtet. Die betreffenden Personen befänden sich in Polizeigewahrsam, sagte der Regierungschef im Radiosender RTL. Es soll sich um neun Verdächtige handeln - sowohl Männer als auch Frauen. Zwei Personen seien im nordostfranzösischen Charleville-Mézières, vier in Reims etwa 120 Kilometer östlich von Paris und eine Person in Gennevilliers nahe Paris festgenommen worden. Ob diese etwas mit dem Anschlag zu tun haben und noch in Haft sind, ist nicht bekannt.

Für neue Terrorangst sorgte zunächst eine Schießerei in Montrouge südlich von Paris am Donnerstagmorgen, bei der ein Unbekannter eine Polizistin tötete und einen städtischen Angestellten schwer verletzte. Die Polizei hat am Freitagmorgen offenbar den Täter identifiziert. Die Staatsanwaltschaft hatte zuvor bereits erklärt, es gebe keinen erwiesenen Zusammenhang mit der Charlie-Hebdo-Attacke, die Ermittlungen würden aber der Anti-Terrorismus-Abteilung übergeben.

Im Zusammenhang mit dem islamistischen Ring "Buttes-Chaumont" taucht noch ein weiterer Name auf: Boubaker el-Hakim, ein Bekannter von Chérif Kouachi, kämpfte 2004 im Irak und wurde 2008 ebenfalls verurteilt. 2011 ist er aus dem Gefängnis entlassen worden, schreibt Le Figaro - und stellt die Frage, ob er möglicherweise die Verbindungen aufrechterhalten hat. Mehr als Spekulationen sind das allerdings nicht. Klarheit wird es wohl erst geben, wenn die Täter gefasst sind.

(Mit Material der Agenturen)

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