Prozess um Attacke auf Polizisten:Wie im Horrorfilm

Warnschüsse, Pfefferspray und Rufe brachten nichts: Laut brüllend und mit einem Küchenmesser attackierte Thomas R. zwei Polizisten. An die mutmaßliche Tat kann er sich angeblich nicht mehr erinnern. Seit heute steht er in München vor Gericht.

Von Andreas Salch, Uffing am Staffelsee

Es war in den frühen Morgenstunden des 6. Oktober 2013, als in einer Wohngegend in Uffing (Landkreis Garmisch-Partenkirchen) das scheinbar Unmögliche geschah. Eine Polizistin und ihr Kollege feuerten mit ihren Dienstpistolen aus nur wenigen Metern Entfernung auf die Beine eines geistig verwirrten und stark alkoholisierten jungen Mannes. Der 25-jährige Thomas R. hatte die Beamten mit einem Küchenmesser attackiert, das eine zwanzig Zentimeter lange Klinge hatte.

Nach einem Warnschuss feuerte eine Polizeiobermeisterin noch sieben weitere Patronen auf die Beine des Angreifers. Doch weder sie noch ihr Kollege, der ebenfalls mehrmals auf die Beine von Thomas R. schoss, trafen. Bevor die Polizeibeamtin das Feuer eröffnete, hatte sie R. den kompletten Inhalt ihres Pfeffersprays ins Gesicht gesprüht. Doch es zeigte keine Wirkung.

Strafrechtlich kann er nicht zur Rechenschaft gezogen werden

Thomas R. kann sich an die mutmaßliche Tat angeblich nicht mehr erinnern. Seit diesem Freitag muss er sich vor der Schwurgerichtskammer am Landgericht München II verantworten. Strafrechtlich kann er nicht zur Rechenschaft gezogen werden, da er an Schizophrenie leidet. Bei einer Verurteilung muss R. deshalb damit rechnen, dass er auf unbefristete Zeit in einer psychiatrischen Klinik untergebracht wird.

Thomas R. hat mit 17 Jahren angefangen, regelmäßig Alkohol zu trinken. Meist Bier. Mit der Zeit sei es immer mehr geworden. Zuletzt "richtig viel" gibt der 25-Jährige bei seiner Vernehmung durch den Vorsitzenden Richter Martin Rieder an. Acht, manchmal zehn Halbe am Tag sollen es gewesen sein. Wegen seiner psychischen Erkrankung ist R., der sich sein Geld mit Krankentransportfahrten verdiente, nicht mehr in der Lage, das Unrecht seiner Taten einzusehen, so die Ärzte.

Eine Abfuhr habe ihn "traurig gestimmt"

Auch am Abend des 6. Oktober 2013 hatte er viel getrunken. Innerhalb von nur drei Stunden sollen es zehn Flaschen Bier und "ein bis zwei Schluck" Reisschnaps gewesen sein. Dass er unter Einfluss von Alkohol zu "Ausrastern" neige, wie der 25-Jährige sagt, sei ihm bewusst. Im Jahr 2011 und im Sommer 2013 musste R. nach Alkoholexzessen in die Psychiatrie eingewiesen werden. Zum Zeitpunkt der Messerattacke auf die beiden Polizisten wog Thomas R. bei einer Größe von 1,72 Meter gerade mal 62 Kilogramm. Bier trinke er vor allem deshalb, weil es ihm schmecke, erklärte der 25-Jährige den Richtern der Strafkammer. Doch am Abend der mutmaßlichen Tat sei noch etwas anderes hinzugekommen. Liebeskummer. Eine Bekannte habe ihm eine "Abfuhr erteilt". Das habe ihn "traurig gestimmt", sagte Thomas R. In solchen Fällen habe er Bier auch mal zur "Problembewältigung" getrunken.

Laut Staatsanwaltschaft befand sich der 25-Jährige am Abend des 6. Oktober 2013 in einem psychotischen Zustand. Hinzu kam der Alkohol. Thomas R. soll den Plan gefasst haben, einen Polizeieinsatz zu provozieren und sich dabei erschießen zu lassen. Kurz vor Mitternacht setzte er tatsächlich einen Notruf ab. Am Telefon soll er wirres Zeug geredet und eine Polizeistreife angefordert haben. Während des Telefonats soll er zudem mehrmals das Wort "Mord" verwendet haben.

R. habe gebrüllt wie ein Zombie

Kurze Zeit später traf eine Streife der Polizeiinspektion Murnau am Haus von Thomas R. in Uffing ein. Obwohl die Beamten über Funk die Mitteilung bekommen hatten, sie sollten warten, da eine weitere Steife unterwegs sei, entschlossen sie sich, das Anwesen zu betreten. Wenige Sekunden später lief Thomas R. aus einem Gebüsch auf sie zu. In seiner erhobenen rechten Faust hielt er das Küchenmesser. Die Streifenbeamten wichen erschrocken zurück. R. verfolgte sie laut brüllend. Eine 29-jährige Polizeiobermeisterin schrie R. an: "Lass das Messer fallen, sonst pfeffer ich dich ein." Doch R. reagierte nicht, selbst nachdem die Beamtin das Pfefferspray zum Einsatz gebracht hatte.

Dann zog sie ihr Dienstwaffe und schoss zur Warnung einmal in die Luft. Auch jetzt zeigte Thomas R. keinerlei Reaktion. Dann zielte die Polizeiobermeisterin auf die Beine des Angreifers. Keiner der Schüsse traf. Sie kannte R. von einem Einsatz wenige Tage zuvor, als er in betrunkenem Zustand einen Passanten zu Boden gestoßen hatte. Sie schrie R. bei dessen Vornamen an. Es passierte nichts. Dann schoss der Kollege der Polizeibeamtin. Thomas R. stürmte trotzdem auf den Polizistin zu. Dabei habe er wie ein Zombie gebrüllt so der Beamte vor Gericht - und gegrinst. Es sei ein "irres Grinsen gewesen", so wie man es aus Horrorfilmen kenne.

Der Polizeibeamte versteckte sich auf der Straße hinter einem geparkten Auto. Dann lief er zurück zu seiner Kollegin. Der Fahrer eines anderen Streifenwagens fuhr R. schließlich an, als er ihn auf der Straße erblickte. Erst jetzt gelang es den Polizisten den 25-Jährigen zu fesseln. Der Prozess dauert an.

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