Jobsuche:Tinder statt Bewerbungsmappe

Jobsuche: Wer heute einen Job sucht, begibt sich am besten ins Netz.

Wer heute einen Job sucht, begibt sich am besten ins Netz.

(Foto: complize / photocase.de)

Bislang waren Bewerber Bittsteller. Doch die Zeiten ändern sich. Firmen müssen immer öfter um Talente werben - und greifen deshalb zu neuen Technologien: Können Algorithmen schaffen, wozu altmodische Bewerbungsmappen nicht taugen?

Von Varinia Bernau

Robin Sudermann hatte selbst keine Ahnung, was er eigentlich mit seiner Ausbildung anfangen sollte. Etwa 30 Bewerbungen hat er damals, vor sechs Jahren, verschickt, als er mit seinem Studium der Wirtschaftspsychologie fertig war. Die meisten davon blind. Er wusste nicht, wonach er suchte. Und die Unternehmen, die Mitarbeiter wie ihn suchten, wussten nicht, dass es ihn gibt. Am Ende ist er in einer Werbeagentur gelandet - eher aus Zufall.

Der Algorithmus erledigt die Arbeit

Denn eine Internetplattform wie Talents Connect, die Arbeitgeber und Arbeitnehmer zusammenbringt, die gab es damals noch nicht. Sudermann, 32, schmal, Dreitagebart und ein Lächeln wie aus der Zahnpastawerbung, hat sie erst vor zwei Jahren gemeinsam mit vier Freunden gegründet. Talents Connect macht Bewerber auf Jobs aufmerksam, von denen sie gar nicht wissen, dass es sie gibt. Und Unternehmen auf mögliche Mitarbeiter, die sie über die klassischen Wege immer seltener erreichen. Ein Algorithmus erledigt, was anbiedernde Briefe und mit Standardfloskeln gespickte Beurteilungen längst nicht mehr leisten können. Selbst Karriereportale wie Monster, Stepstone oder Xing lässt er alt aussehen.

Talents Connect ähnelt einer Datingplattform: Wer einen Job sucht, legt ein Profil an. Etwa zehn Minuten lang hangelt man sich dazu durch Fragen: Man gibt an, wo man seine Arbeitszeit verbringen will - im Büro, unterwegs, zu Hause, im Labor oder der Werkstatt? Ob man eher jemand ist, der forscht, oder einer, der anpackt? Man erstellt eine Rangfolge von Dingen, die einem wichtig sind - der Zusammenhalt im Team beispielsweise oder die Möglichkeit, Fehler offen anzusprechen. Man beschreibt, wie man mit bestimmten Situationen umgeht - ob man eine Kundenanfrage lieber selbst beantwortet oder erst Rücksprache hält. Auf der Grundlage all dieser Informationen bekommt man Stellenangebote, sortiert nach einer Trefferquote in Prozent.

Der Bewerber behält die Daten in der Hand

Was mit einer Bewerbungsmappe passiert, weiß niemand, sobald er sie zur Post gebracht hat. Bei Talents Connect hingegen behält man seine Daten selbst in der Hand. Unternehmen, die sich auf der Plattform umsehen, sehen zunächst nur, wo der Interessent lebt und wie alt er ist - ebenfalls mit einer Trefferquote. Firmen können dann Kontakt aufnehmen. Und sie können auf der Plattform auch bestimmte Filter setzen - sich beispielsweise nur die Leute anzeigen lassen, die eine zwei in Mathe haben. Oder nur diejenigen, die nicht weiter weg wohnen als 25 Kilometer. Dann schnurrt die Anzahl der Treffer schon mal auf ein Zehntel zusammen.

"Bisher hat sich ein Bewerber nicht so präsentiert, wie er ist, sondern so, wie er nach der Stellenbeschreibung glaubte, sich präsentieren zu müssen", beschreibt Sudermann die alte Welt. Es war die Zeit, in der Unternehmen Anzeigen schalteten, in denen stand, der Kandidat solle belastbar und teamfähig sein. Die Zeit, in der sie Bewerbungen von Menschen bekamen, die sich selbst als belastbar und teamfähig beschrieben. Die Zeit, in der Arbeitgeber und Arbeitnehmer zwar die gleichen Worte wählten, sich aber trotzdem nicht verstanden. "Jetzt aber beschreibt der Bewerber seine Sicht auf die Arbeitswelt - ohne vorher zu wissen, was im jeweiligen Fall von ihm verlangt wird", sagt Sudermann.

Die Vermittlung in dieser neuen Welt übernimmt ein Algorithmus, den das Kölner Start-up mit erfahrenen Personaldiagnostikern entwickelt hat. Dieser Algorithmus lernt den Bewerber immer besser kennen und kann ihm deshalb auch immer bessere Angebote machen: Wer eine Fortbildung einträgt, das ist schon Alltag, erhält dazu passende Stellen. Wer bei Talents Connect eingibt, dass er ein Kind bekommen hat, das ist die Vision, erhält Angebote mit flexibleren Arbeitszeiten. "Unsere Plattform orientiert sich immer an den Bedürfnissen des Bewerbers", betont Sudermann. Bislang bieten 215 Unternehmen Jobs auf der Plattform an. Mittelständler sind dabei, aber auch große Unternehmen wie etwa Nike. Sie zahlen für solch ein Profil 50 bis 300 Euro. Die Bewerber zahlen nichts.

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Die Revolution der Bewerbung

Talents Connect ist nicht der einzige Anbieter, der sich gerade daran macht, die Bewerbung zu revolutionieren. In dem Ideenlabor des Medienkonzerns Axel Springer haben drei Jungunternehmer gerade die App Truffls entwickelt. Sie soll eine Art Tinder (Dating App) für Jobsuchende sein. Wie bei der Flirt-App kann man auf dem Smartphone über Stellenanzeigen wischen. Schiebt man ein Angebot links aus dem Bild, sortiert man es aus - und erhält ein besseres. Schiebt man es nach rechts, signalisiert man Interesse. Die Firma erhält dann ein anonymes Kurzprofil des Bewerbers und kann Interesse signalisieren.

Der Anbieter Mobile Jobs wiederum hilft seit einem Jahr kleineren Firmen, aber auch Handelsketten wie Edeka bei der Suche nach Auszubildenden. Von Besitzern kleiner Gaststätten oder Bäckereien höre er immer wieder, dass all die aufwendig gestalteten Lebensläufe ihnen die Sache eher schwerer machen, weil wichtige Informationen fehlten, erzählt Gründer Steffen Manes. "Die wollen etwa wissen, welche Führerscheinklasse der Bewerber hat oder ob er bereit zur Schichtarbeit ist." Solche und maximal sechs weitere Fragen beantworten die Bewerber bei Mobile Job - entweder per SMS oder über eine Internetseite, die sich auch aus sozialen Netzwerken wie Facebook heraus und über alle Geräte hinweg bequem ansteuern lässt. Die Jugendlichen springen zwischen diesen Welten hin und her. Deshalb müssen die Unternehmen sie auch dort abholen. Dabei unterstützt sie das Berliner Start-up: Facebook, Mail oder SMS - über den Weg, über den die Bewerber die ersten Fragen beantwortet haben, werden sie auch an das Bewerbungsgespräch erinnert. "So schaffen wir es, für unsere Kunden im Schnitt fünfmal mehr qualifizierte Bewerber zu akquirieren", sagt Manes.

Noch ist der Bewerber der Bittsteller

Bislang ist der Bewerber zumeist noch der Bittsteller: In einer Umfrage, die Talents Connect in Auftrag gegeben hat, um die Bedürfnisse von Jobsuchenden besser zu ergründen, gaben 40 Prozent der Befragten an, drei bis sechs Wochen auf eine Antwort gewartet zu haben. Mehr als 20 Prozent hatten auf mehr als zehn Bewerbungen überhaupt keine Rückmeldung bekommen.

Doch die Zeiten, in denen die Unternehmen sich aus einem nahezu unerschöpflichen Pool an Bewerbern bedienen konnten, neigen sich dem Ende entgegen. Je härter der Kampf um die besten Kräfte wird, desto mehr müssen sich die Arbeitgeber ins Zeug legen. Bislang haben die Unternehmen vor allem ihre Produkte angepriesen. Deshalb wissen die Menschen, dass BMW schnelle Autos fertigt und Eon dafür sorgt, dass Strom ins Haus kommt. Dass BMW und Eon der Welt da draußen aber auch erklären müssen, was sie als Arbeitgeber attraktiv macht, diese Überzeugung setzt sich erst langsam durch.

Der Trick: unentdeckte Reserven erschließen

Mareike Onnebrink weiß um die neuen Herausforderungen. Sie ist beim Energiekonzern Eon für Strategien zur Steuerung der Ausbildung zuständig. 350 Lehrlinge stellt der Konzern deutschlandweit in jedem Jahr ein. Und in manchen Regionen ist das inzwischen ziemlich schwierig. In Schkopau zum Beispiel, aber auch in Pfaffenhofen. Die Kleinstadt in Sachsen-Anhalt, einst ein wichtiger Standort der Chemieindustrie, leidet heute unter der Abwanderung. Dort kommen fünf Bewerber auf eine Stelle, rechnet Onnebrink vor, in Nordrhein-Westfalen sind es im Schnitt zehnmal so viele. Im prosperierenden Bayern hingegen gibt es zwar deutlich mehr Schüler. "Aber da treten wir auch gegen die bekannten Autobauer an. Und ein 15-Jähriger kann sich nun einmal besser vorstellen, als Elektroniker an einem Auto mitzubauen anstatt eine Strom- oder Gasleitung zu warten", sagt Onnebrink. Hinzu komme, dass immer mehr eher ein Studium beginnen als eine Lehre. "Es ist bei den jungen Leuten leider angesehener, nur mit dem Kopf zu arbeiten anstatt auch mit den Händen.

Das spüren wir schon." Seit dem vergangenen Sommer nutzt Eon Talents Connect, um Lehrstellen zu besetzen. Die ersten Verträge sind unterschrieben, im Sommer beginnt die Ausbildung. Erfahrungswerte gibt es also noch nicht. Aber einen Versuch war es wert. Die Plattform helfe dort, wo viele Bewerbungen reinkommen, bei der ersten Auswahl. Und dort, wo es wenige Bewerber gibt, unentdeckte Reserven zu erschließen. Und es gebe, sagt Onnebrink, noch einen ganz guten Nebeneffekt: Zum Angebot von Talents Connect ebenso wie Mobile Job gehört auch eine Art Recycling der abgelehnten Bewerber. Statt einer Absage erhalten diejenigen, die Eon nicht anstellen kann, einen Hinweis auf einen anderen Job, der vielleicht zu ihnen passen könnte. "Wenn wir solche Kandidaten noch im weiteren Bewerbungsverfahren unterstützen können, dann prägt das vielleicht auch das Bild, das sie sich von Eon machen und im Familien- und Freundeskreis weitertragen", sagt Onnebrink.

Je höher die Ansprüche, desto schwieriger für den Algorithmus

Dass sich Talents Connect ebenso wie Mobile Jobs zunächst auf Auszubildende konzentriert, hat seinen Grund: Für die jungen Leute ist das Smartphone ein Helfer in allen Lebenslagen. Deshalb greifen sie auch, wenn sie einen Job suchen, eher zur App als zum Karriereteil einer Zeitung. Je älter aber die Jobsuchenden werden, desto skeptischer sind sie gegenüber dem Netz. Und je kniffliger ihre Ansprüche, desto schwieriger tut sich ein Algorithmus. Hinzu kommt: Das obere Ende des Stellenmarkts haben Headhunter und professionelle Personalagenturen in der Hand - und verteidigen es hartnäckig gegen die aufstrebenden Neulinge.

Doch die neuen Anbieter bringen Bewegung in den starren Markt. Vielleicht werden die Menschen irgendwann genauso selbstverständlich bei der Suche nach einem neuen Job all die Möglichkeiten der Technik nutzen, wie sie es heute schon tun, wenn sie sich eine Serie ansehen wollen, eine Reise buchen oder ein Taxi rufen. Dass irgendwann einmal ein Algorithmus die Stellen in Unternehmen vergibt, das glaubt selbst Robin Sudermann nicht: "Die Maschine soll nicht das Denken ersetzen. Sie soll es nur leichter machen, die Bewerbungen zu sortieren, damit mehr Zeit für die eigentliche Personalarbeit bleibt."

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