"Maus"-Erfinder Armin Maiwald:Der vielleicht größte Forscher Deutschlands

Armin Maiwald

Die Maus und ihr Macher: Armin Maiwald und eine überlebensgroße Maus-Figur bei der Verleihung der Golden Kamera 2013

(Foto: dpa)

Dieser Artikel erschien am 10. Januar 2015 in der Süddeutschen Zeitung. Wir veröffentlichen ihn heute anlässlich des 75. Geburtstages von Armin Maiwald.

Von Hans Hoff

Die Insel der Glückseligen ist ein unscheinbares Haus im Kölner Eigelsteinviertel. Kaum jemand dürfte ahnen, dass hier Kinder- und Jugenderinnerungen hergestellt wurden und werden. Im ersten Stock sitzt Armin Maiwald hinter Dreifachverglasung an einem samten belegten Tisch, auf dem der Aschenbecher überquillt. Er blickt an einem Mikrofon vorbei auf eine Glasscheibe, hinter der die Regie hockt. Hier spricht er seine Beiträge ein, hier schlägt er jenen Ton an, der für Generationen untrennbar mit einfacher Aufklärung komplizierter Zusammenhänge verbunden ist.

Man kann Maiwalds Stimme getrost als Marke bezeichnen. Wer weiß, wie die Streifen in die Zahnpasta kommen und warum der Reißverschluss funktioniert, weiß das meist, weil Maiwald es in der Sendung mit der Maus erklärt hat. Sagt man ihm, dass seine Stimme eine Marke sei, zuckt er leicht zusammen, stimmt dann aber doch zu. "Das ist wohl so", sagt er und erklärt sich dann die Wirkung gleich selber in seiner sehr leicht zu verstehenden Art: "Die Kinder denken: Wenn der Blödmann mir was erzählt, wird es schon stimmen."

Der Mann für die Sachgeschichten

Zwei Schulen heißen wie Armin Maiwald, auf der Straße sprechen ihn Leute an und sagen: "Mit dir bin ich groß geworden." Manchmal auch: "Mit dir habe ich Deutsch gelernt." Möglicherweise hat dieser Mann mehr für die Volksbildung getan als Hunderte Schulen zusammen.

Maiwald reagiert zurückhaltend auf die Bemerkung, dass sich sein Wirken für die Sendung mit der Maus ins kollektive Gedächtnis der Fernsehnation eingebrannt hat: "Ich würde das nie behaupten." Behaupten würde er ohnehin nur sehr wenig. Und wenn er was behauptet, dann nur, was er auch belegen kann. Er spürt eine Verantwortung, und er weiß, wie man ihr gerecht wird. "Indem man sich Mühe gibt und genau recherchiert", sagt er.

Seit mehr als 45 Jahren fertigt er nun schon Filme für Kinder und Erwachsene. Schon 1968 war er beteiligt an den Lach- und Sachgeschichten vom WDR, aus denen sich von 1971 an Die Sendung mit der Maus entwickelte. Immer war Maiwald der Mann für die Sachgeschichten.

Am 23. Januar wird er 75 Jahre alt, und schon am 8. Januar ist seine Lebensgeschichte als Buch erschienen. Aufbau vor laufender Kamera skizziert auf 336 Seiten, wie aus dem Kriegskind Armin der Mann wurde, der Generationen von Kindern erklärte, wie die Dinge so funktionieren.

Einer, der nicht mit Wissen protzt

Kürzlich erst hat er verfolgt, wie auf dem Krankenhaus von Eschweiler ein Hubschrauberlandeplatz angelegt wurde. Das hat gedauert. Zwei Monate lang. "Das muss man nicht nur aushalten, das muss man wollen", sagt er. Klare Sache, dass er das will. Er interessiert sich für Dinge und saugt auf, was die Kinder ihn fragen. Dann schnappt er sich etwa einen Pflasterstein und erzählt die Geschichte dieses Steins so, dass sie Einblicke in historische Zusammenhänge ermöglicht.

Maiwald kann das, weil er sich einen einfachen Zugang zu den Dingen bewahrt hat. Seine Qualität ist das Zögerliche. Er protzt nicht mit seinem erarbeiteten Wissen, er zeigt vielmehr, wie viel Spaß es machen kann, etwas herauszufinden. Vielleicht ist er der größte Forscher in deutschen Landen, vielleicht hat er mehr über die bundesrepublikanische Wirklichkeit herausgefunden als alle anderen.

Maiwald ist ein akribischer Arbeiter, einer, der Wert auf Fakten legt, der sich genau erinnert. Im Buch ist nachzulesen, welche Gerätschaften er wann angeschafft hat, wann welches Studio entstand und welche Schwierigkeiten dabei zu bewältigen waren. Der Ton ist nüchtern, sachlich. Dick aufzutragen ist Maiwald fremd.

Aus seinen Berichten spricht einer, der als 1940 geborenes Kind viele Wirren erleiden musste. "Ich bin damit aufgewachsen, dass nichts sicher ist", sagt er. Das ist bis heute so geblieben. Maiwald blieb all die Jahre Freiberufler, obwohl es sicherlich möglich gewesen wäre, im sicheren Schoß der Anstalt WDR Unterschlupf zu finden.

"Nur bekloppte Ideen im Kopf"

Maiwald war früh eine wichtige Größe im WDR-Kinderprogramm. Er hat gedreht für den Spatz vom Wallrafplatz, für Robbi, Tobbi und das Fliewatüüt, für Schlager für Schlappohren. Die erste eigene Firma gründete er ohne Sicherheiten. "Wir hatten nichts", schreibt er. "Nicht einmal ein Büro oder einen Schreibtisch. Nur bekloppte Ideen im Kopf."

Eine der bekloppten Ideen drehte sich um das Tempo der Geschichten. Maiwald meinte, man müsse sie schneller schneiden und nicht so betulich, wie das die damaligen Fernsehfürsorger meinten, die schon Zeter und Mordio schrien, als er in den späten Sechzigern die Musik von Roger Whittaker, James Last und Antonio Vivaldi in ein und demselben Beitrag verwendete. Damals gab es für Kinderprogramme noch wissenschaftliche Beiräte, die in ihrem grauen Muff so gar nicht verstehen mochten, was Maiwald bei seinen eigenen Kindern beobachtete. Die hatten nämlich ihren Spaß an Werbespots und deren rasantem Tempo. Also wagte er sich an die Beschleunigung der WDR-Produktionen.

Im Buch beschreibt Maiwald auch, dass es um ein Haar nichts mit der Sendung mit der Maus geworden wäre. Eine Zeit lang stand der Zeichentrick-Nager im künstlerischen Wettbewerb mit einem niedlichen Nilpferd. Damals entschieden sich die Macher knapp für die Maus, sonst blickten heute möglicherweise Generationen auf die "Sendung mit dem Nilpferd" zurück.

Katharinas Leben und Sterben

Vor einer der heikelsten Aufgaben standen die Macher, als ausgerechnet in der Zeit um den 25. Maus-Geburtstag ein Brief kam von einer Großmutter, die berichtete, dass just an jenem Tag ihre Enkelin, ein eingefleischter Fan der Sendung, gestorben sei. Maiwald und sein Team interessierten sich sofort für die Geschichte von Katharina. In langen Gesprächen mit Eltern, Verwandten und Freunden ergründete Maiwald das Leben des behinderten Kindes und erzählte 1997 eine komplette Ausgabe lang von Katharinas durchaus fröhlichem Leben, aber auch von ihrem Tod.

Es wurde eine Sternstunde in der Geschichte der Sendung, ja des Kinderfernsehens. Maiwald wurde mit Preisen überhäuft. Viele der Trophäen stehen im Erdgeschoss des Studios und künden von seinem Tun.

Vieles hat sich geändert seit jenen rückblickend durchaus goldenen Tagen. Maiwald ist froh, dass er sein Handwerk lernte, als noch vieles ging im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. "Es gab die Zeit, sich zu entwickeln", sagt er. "Heute ist kaum noch Platz, sich auszuprobieren."

Es ist der einzige, leicht an Klage erinnernde Ton, der Maiwald während des Gesprächs im Studio entfleucht. Klagen ist nicht seine Sache. Selbst zur Verlegung des Sendeplatzes der Sendung mit der Maus, die im Ersten früher am Sonntagvormittag um halb zwölf lief und inzwischen immer weiter zurück in den Morgen geschoben wird, mag er sich nicht äußern: "Ich möchte das unkommentiert lassen."

Er sagt das, aber man spürt schon, dass es ihm nicht recht ist. Kinder haben nun mal keine Lobby im Hauptprogramm. Die Restbestände an Kinderprogramm werden lieblos hin- und hergeschoben. Und die Chancen, dass Eltern und Kinder gemeinsam die Maus schauen, werden nicht gerade größer durch einen vagabundierenden Sendeplatz. Einen wie Maiwald kann das nicht kaltlassen. Sein Groll ist greifbar, aber er belässt es dabei: Warum soll er auch bewerten, was ohnehin jeder sehen kann?

Gern würde Maiwald mit seinen Mitteln erklären, wie Krieg entsteht

"Wenn ich heute noch mal anfangen müsste, würde ich versuchen, mit einfachen Mitteln, lustige Sachen ins Internet zu stellen", sagt er stattdessen. Er weiß sehr wohl, wie das Geschäft läuft. Er weiß, dass man mit dem Lustigen locken muss und dann das Ernsthafte mitliefert. "Man darf die Leichtigkeit nicht verlieren", sagt er, wenn er die Qualität eines guten Films beschreiben soll. Das Gedankenschmalz, das aufgewendet wurde, dürfe man dem fertigen Produkt nicht anmerken.

Ein Film blieb allerdings bislang ungedreht. Gern würde Maiwald mit seinen Mitteln erklären, wie Krieg entsteht. Aber bisher ist das Vorhaben immer noch daran gescheitert, dass es für solch einen komplexen Vorgang keine einfache Erklärung gibt. Maiwald arbeitet weiter an dem Thema, und möglicherweise kommt er eines Tages doch noch mit der richtigen Idee von seiner Insel der Glückseligkeit.

Vielleicht liefert er dann Einsichten, die auch die Politik beeindrucken könnten, obwohl Maiwald auf die gar nicht zielt. Er hat die Kinder im Visier, weil sie für die Zukunft stehen und weil sie natürlich die besten Indikatoren für die Qualität eines Films sind. "Wenn die Kleineren das verstehen, verstehen es auch die Großen", sagt er.

So einfach ist die Welt, wenn man sie eben zu sehen weiß.

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