Terror in Frankreich:"Paris ist heute die Hauptstadt der Welt"

Paris, Place de la République

Auf dem Place de la République im Herzen von Paris versammeln sich am Sonntag zehntausende Menschen.

(Foto: Laurent Cipriani/AP)
  • Bei einem Schweigemarsch zum Gedenken an die Opfer der Anschläge in Paris werden Hunderttausende Menschen erwartet. Angekündigt haben sich Dutzende Staats- und Regierungsschefs.
  • In einem am Sonntag aufgetauchten Video bekennt sich Amedy Coulibaly, der Geiselnehmer von Vincennes, zum "Islamischen Staat". Die Aufnahmen gelten ersten Informationen zufolge als authentisch.
  • Coulibaly ist offenbar auch für den Angriff auf einen Jogger am Mittwochabend südwestlich von Paris verantwortlich.
  • Die Hamburger Morgenpost ist in der Nacht auf Sonntag Opfer eines Brandanschlags geworden. Sie hatte Karikaturen der Satirezeitung Charlie Hebdo nachgedruckt.

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Hunderttausende zum Schweigemarsch erwartet

Es könnte die größte Demonstration werden, die Frankreich je gesehen hat: Das französische Innenministerium rechnet mit Hunderttausenden Teilnehmern bei dem Schweigemarsch zum Gedenken an die Opfer der Attentate am Sonntag um 15 Uhr in Paris. Schon gegen Mittag sind Zehntausende Menschen auf der Straße, einzelne U-Bahnstation wurden bereits gesperrt. 2200 Polizisten und Soldaten sollen die Sicherheit der Demonstrationszüge garantieren, die beide auf dem Place de la République starten und zum Place de la Nation führen sollen. Insgesamt sind 5500 Beamten in der französischen Hauptstadt im Einsatz.

"Paris est aujourd'hui la capitale du monde" - "Frankreich ist heute die Hauptstadt der Welt", hat Präsident Francois Hollande den Mitgliedern seines Kabinetts zugerufen, berichtet Le Figaro unter Berufung auf AFP. "Das ganze Land wird sich erheben zu etwas Besserem."

Einer Umfrage der Zeitungen Le Parisien Dimanche und Aujourd'hui en France zufolge sind 81 Prozent der Bürger in Frankreich bereit, gegen den Terrorismus auf die Straße zu gehen. Bereits am Samstag gab es im ganzen Land Massenkundgebungen: Insgesamt waren 700 000 Menschen auf der Straße, berichten französische Medien.

Knapp 50 Staats- und Regierungschefs sollen kommen

Zahlreiche europäische Regierungschefs werden am Sonntag in Paris erwartet. Der Einladung von Präsident François Hollande folgen neben Bundeskanzlerin Angela Merkel auch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, Großbritanniens Premierminister David Cameron, Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy, sein italienischer Kollege Matteo Renzi und Belgiens Premierminister Charles Michel. Auch EU-Ratspräsident Donald Tusk, EU-Parlamentspräsident Martin Schulz, der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, der palestinensische Präsident Mahmud Abbas, der amerikanische Justizminister Eric Holder, der russische Außenminister Sergei Lawrow und der jordanische König Abdullah II. werden erwartet. Eine ausführliche Liste gibt es bei den Kollegen von Le Monde.

Nicht mitmarschieren wird indes Marine Le Pen. Die Präsidentin des rechtsextremen Front National war nicht zum Schweigemarsch in Paris eingeladen worden. Sie wird nun in Beaucaire (Département Gard) im Süden von Frankreich demonstrieren, wie französische Medien berichten. "Ich gehe nicht da hin, wo man mich nicht will", hatte sie bereits angekündigt - und damit einen Streit mit Staatspräsident Hollande angezettelt. Mehr zum Thema lesen Sie hier.

Angehörige Coulibalys verurteilen Anschläge

Die Mutter des Attentäters Amedy Coulibaly hat die Anschläge ihres Sohnes verurteilt. "Ich und alle meine Töchter möchten den Familien der Opfer (...) unser herzliches Beileid ausdrücken", heißt es in einer am Samstagabend verbreiteten Mitteilung. "Wir verurteilen diese Taten. Wir teilen absolut keine dieser extremen Ideen und hoffen, dass die Menschen diese Taten nicht mit der muslimischen Religion gleichsetzen."

Amedy Coulibaly bekennt sich zum IS

Zu dem Anschlag in einem jüdischen Supermarkt werden unterdessen immer weitere Details bekannt. In einem am Sonntag veröffentlichen Video bekennt Coulibaly sich zur Terrorgruppe "Islamischer Staat". Ersten Informationen zufolge soll das Video sogar vom IS ins Netz gestellt worden sein.

Ein am Samstag von RTL veröffentlichter Mitschnitt belegt zudem, dass Coulibaly den Geiseln seine Motive dargelegt hat. Journalisten des Radiosenders hatten - wie die Kollegen von BFMTV - im Hyper Cacher angerufen. Der Attentäter hob zwar ab, redete aber nicht und legte den Hörer im Anschluss nicht richtig auf. Auf dem Band ist zu hören, wie Coulibaly die Präsenz westlicher Truppen im Irak, in Syrien oder in Mali kritisiert. Wörtlich sagt er: "Jedes Mal wollen sie (gemeint ist die offenbar die französische Regierung, Anm. d. Red.) euch glauben lassen, dass die Muslime Terroristen sind. Ich bin aber in Frankreich geboren. Wenn sie woanders angegriffen hätten, wäre ich nicht hier." Und weiter: "Sie haben Menschen gefoltert. Sie müssen aufhören, den Islamischen Staat anzugreifen, unsere Frauen zu enthüllen, unsere Brüder grundlos in Gefängnisse zu stecken."

Coulibaly offenbar für weitere Attacke verantwortlich

Offenbar ist Amedy Coulibaly für den Angriff auf einen weiteren Menschen verantwortlich. Die Ermittler in Paris gehen wie Le Figaro und der Guardian berichten mittlerweile davon aus, dass der Attentäter Mittwochnacht in Fontenay-aux-Roses (im Département Hauts-de-Seine) einen Jogger angegriffen hat. Der 32-jährige Mann war in der südwestlich von Paris gelegenen Stadt in einem Park unterwegs, als ihm ein Angreifer ins Bein und in den Rücken geschossen hat. Der Schwerverletzte wird im Krankenhaus behandelt. Offenbar wurden die Schüsse mit derselben Waffe abgegeben, die bei Coulibaly nach dessen Tod in dem koscheren Supermarkt gefunden wurden.

Die vier Opfer aus dem Supermarkt

Vier Menschen hat Amedy Coulibaly am Freitag erschossen, als er sich mit weiteren Geiseln in dem jüdischen Supermarkt in Paris verschanzte. Mittlerweile ist bekannt, um wen es sich bei den vier Opfern handelt. Le Monde zufolge handelt es sich um vier Männer im Alter von 22, 23, 45 und 64 Jahren. Der 22-jährige Tunesier Yoav H. soll in Paris sein BWL-Studium fortgesetzt haben. Yohan C., der andere junge Mann, arbeitete den Informationen zufolge in dem koscheren Geschäft - er besuchte eine jüdische Schule, sein Vater stammt aus Algerien, seine Mutter aus Tunesien. Bei den zwei älteren Opfern handelt es sich um Familienväter. Der 45-jährige Philip B. arbeitete für ein IT-Unternehmen - er hinterlässt drei Kinder und gehört der jüdischen Gemeinde in Montrouge an. François-Michel S. wurde in Tunesien geboren, der Manager war bereits im Ruhestand, seine beiden erwachsenen Kinder leben Medienangaben zufolge in Israel.

Europäische Innenminister planen Anti-Terror-Maßnahmen

Unter dem Eindruck der islamistischen Anschläge in Frankreich haben Innenminister aus elf EU-Staaten am Sonntag in Paris über den verstärkten Kampf gegen den internationalen Terrorismus beraten. Der Terrorismus, wie ihn Frankreich in diesen Tagen erlebt habe, betreffe alle Demokratien, sagte der französische Innenminister Bernard Cazeneuve nach dem Treffen, an dem auch US-Justizminister Eric Holder teilnahm. Sie hätten ihre Entschlossenheit bekräftigt, gemeinsam gegen den Terror zu kämpfen sowie die Zusammenarbeit und Kontrollen auszubauen, um besser gegen aus dem Ausland kommende Terroristen vorgehen zu können. Le Point zufolge thematisierte Cazeneuve drei Handlungsfelder: eine stärkere Überwachung der EU-Außengrenzen, eine Überarbeitung des Schengen-Abkommens, ein stärkerer Datenaustausch über die europäische Flugpassagiere.

Der zu Unrecht verdächtigte Mourad H. äußert sich

Er war der Mann, den die Fahnder nach dem Anschlag auf die Redaktionsräume von Charlie Hebdo fälscherlicherweise für den dritten Attentäter hielten: Mourad H., Schwager von Chérif Kouachi. Wie Le Figaro berichtet, hat der 18-jährige Schüler mit der AFP gesprochen: "Ich hatte Angst, als mein Name am Mittwoch in den sozialen Netzwerken zu lesen war." Deshalb habe er sich umgehend bei der Polizei gemeldet, die ihn "sehr korrekt" behandelt habe. "Ich stehe immer noch unter Schock. Im Internet wurden furchtbare falsche Aussagen über mich verbreitet, dabei bin ich ein ganz normaler Schüler, der bei seinen Eltern lebt. Ich hoffe, dass das meine Zukunft nicht gefährdet." H. will Medizin studieren. Das Attentat bezeichnete er als "furchtbares Verbrechen. Ich denke an die Opfer und ihre Familien."

Brandanschlag auf "Hamburger Morgenpost"

Unmut über die islamkritischen Karikaturen aus "Charlie Hebdo" schwappt möglicherweise auch nach Deutschland über. In der Nacht zu Sonntag warfen Unbekannte einen Brandsatz und Steine auf das Archiv der Hamburger Morgenpost in Hamburg. Akten und Zeitungen gingen in Flammen auf, verletzt wurde aber niemand. Die Polizei nahm in der Nähe des Tatorts zwei Verdächtige fest. Die Zeitung hatte zuletzt Karikaturen des Propheten Mohammed aus Charlie Hebdo erneut veröffentlicht.

Drohen Europa weitere Anschläge?

Wie die Bild am Sonntag unter Berufung auf amerikanische Geheimdienstkreise berichtet, sollen die Anschläge von Paris erst der Auftakt einer europaweiten Terrorwelle sein. Das sollen Anführer der Terror-Miliz ISIS angekündigt haben, erfuhren die Amerikaner aus abgehörten Gesprächen. Nach den Anschlägen soll die NSA erneut Nachrichten mit brisantem Inhalt abgefangen haben: Darin soll der Name Rom als mögliches Anschlagsziel gefallen sein. Konkrete Planungen seien allerdings nicht bekannt, berichtet das Blatt.

Gesuchte Lebensgefährtin von Geiselnehmer soll in Syrien sein

Die bislang als mutmaßliche Komplizin der Terroristen in Frankreich genannte Hayat Boumeddiene könnte sich Medienberichten zufolge in Syrien befinden. Die Online-Ausgaben der Zeitungen Le Figaro, Le Monde und Libération zitieren Polizeiangaben: Demnach sei Boumeddiene über die Türkei nach Syrien gereist. Sie soll am 2. Januar von Madrid nach Istanbul geflogen sein und am 8. Januar die Grenze nach Syrien überquert haben. Ihre für den 9. Januar gebuchte Rückreise habe sie nicht angetreten, heißt es weiter.

Die 26-Jährige ist die Partnerin des Attentäters Amedy Coulibaly, der am Donnerstag eine Polizistin und am Freitag in einem jüdischen Supermarkt in Paris Geiseln genommen und vier getötet hat.

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