"Schlachtfeld Internet" in der ARD:Spionage? Sabotage!

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Mit dem Laptop auf dem Schoß durchs Land: Nach Recherchen des NDR lassen sich mehr als 50 000 deutsche Unternehmen aus der Ferne steuern. (Foto: NDR/Dennis Wienecke)

Eine Dokumentation mit Edward Snowden zeigt, warum die Enthüllungen des Whistleblowers auch die Industrie betreffen. Ahnungslosigkeit und Staunen bei den Unternehmen ziehen sich durch den ganzen Film. Weshalb am Ende ein deprimierendes Fazit gezogen wird.

Von Johannes Boie

Ein Mann fährt durch Deutschland, auf dem Schoß ein Notebook. Er parkt am Rand einer Stadt und legt los, er durchsucht mit dem Rechner das Netz nach ganz bestimmten Schwachstellen. Am Ende hat er 56 000 Steuersysteme deutscher Unternehmen gefunden, die er jetzt leichter Hand steuern könnte, ohne Befugnis: Darunter sind Brennöfen, Pumpanlagen und viele verschiedene Produktionsanlagen.

Die Industrie in Europa ist vernetzt, das muss heute wohl so sein. Leider hat man dabei offenbar jede Form von digitaler Sicherheit vergessen. Die Industrie zu attackieren fällt Profis ungefähr so schwer wie einem Fußballer, ohne Gegenspieler ein Tor zu schießen. Die Grenzen zwischen denjenigen, die die Anlagen steuern sollten und denjenigen, die sie nicht steuern dürfen, sind aufgeweicht. Ein deutsches Atomkraftwerk dürfte sich wohl mit ein bisschen mehr Mühe auch aus dem Ausland abschalten lassen. Wer hätte das gedacht?

Ignoranz ist der Normalfall

Jedenfalls nicht der Sicherheitschef des größten belgischen Telekommunikationsunternehmens, Belgacom. Er sagt allen Ernstes in die Kamera von NDR-Reporterinnen, er habe niemals damit gerechnet, dass Belgacom das Ziel einer Geheimdienstattacke werden könnte. Warum auch? Unter den Kunden des Unternehmens sind ja nur die Nato und die Europäische Kommission in Brüssel. So viel Ignoranz ist für die Reporterinnen weniger Glück, als man zunächst glaubt. Ganz im Gegenteil, keine Ahnung scheint in der Industrie eher der Normalfall zu sein.

Denn: Die Ahnungslosigkeit und das große Staunen ziehen sich durch den ganzen Film Schlachtfeld Internet, den die ARD am Montagabend nach ihrer Doku Jagd auf Edward Snowden zeigt. Industriechefs zeigen sich erstaunt und erschüttert, entweder, weil sie bereits angegriffen wurden, oder weil sie in den vergangenen Monaten zum ersten Mal auf die Idee gekommen sind, dass es bald soweit sein könnte.

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Den Recherchen liegen Dokumente von Edward Snowden zugrunde, in die die Reporter Einblick erhalten haben. Darunter ist das Black Budget, ein Haushaltsplan amerikanischer Geheimdienste, aus dem hervorgeht, wie viele Millionen die National Security Agency (NSA) in Systeme investiert, die ihr die Übernahme fremder Industrieanlagen ermöglichen, "unter anderem über Öl- und Gasleitungen und Transportsysteme sowie Systemsteuerungen von Elektrizitätswerken".

Sabotagen sind Teil eines großen Plans

Die Dokumente und die Aussagen Snowdens sind das große Verdienst dieses Films, weil sie deutlich machen, dass die Angriffe auf Industrieanlagen und digitale Infrastruktur nicht einzelne Vorkommnisse sind, sondern Teil eines großen Plans: Aus Spionage wird Sabotage. Deutlich wird zum Beispiel, dass die Sabotage von Nuklearzentrifugen mit einem Computervirus, mit deren Hilfe Iran wohl in den Besitz einer Atombombe kommen wollte, kein Einzelfall war.

Ähnlich verhält es sich mit der Attacke auf das deutsche Unternehmen Stellar, dessen Kunden Internet in abgelegene Regionen der Welt bringen, und das bekanntlich von der NSA sabotiert worden ist. Wie angreifbar die Infrastruktur ist, ist bekannt, aber vor allem in Fachkreisen. In der Öffentlichkeit werden diese Gefahren kaum diskutiert.

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Die Reporterinnen, die zur Untermalung ihrer düsteren Botschaft auch nicht vor Röntgenbildern zurückschrecken, ziehen ein deprimierendes Fazit. Wie die allermeiste digitale Technik soll künftig wohl auch die Überwachungs- und Sabotagetechnik automatisiert handeln. Dann droht eine Auseinandersetzung zwischen Maschinen. Die Opfer werden Menschen sein.

Schlachtfeld Internet - Wenn das Netz zur Waffe wird , ARD, 23.30 Uhr.

© SZ vom 12.01.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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