Koran-Auslegung:Fundamentalisten mit grünem Textmarker

Islamisten

Der Koran erzählt nicht nur vom Paradies, sondern gibt auch vor, wie das Zusammenleben auf Erden organisiert sein sollte. Im Bild: Islamisten verteilen im Frühjahr 2012 am Potsdamer Platz in Berlin kostenlose Koran-Exemplare an Passanten.

(Foto: dpa)

"Der Islam ist eine Religion des Friedens" - diese Aussage als Abgrenzung zu Terrorakten ist zu einfach. Die Mehrheit der gemäßigten Muslime muss endlich über den Koran debattieren. Sonst wird ihr heiliges Buch weiter von Extremisten vereinnahmt.

Kommentar von Tomas Avenarius

Als der Erzengel Gabriel dem Propheten Mohammed Gottes Wort unverschlüsselt verkündete, kannte der Mann aus Mekka die Ideenwelt des Christen- und des Judentums, jedenfalls in groben Zügen. Das ist der Grund, weshalb sich im Islam christliche und jüdische Grundvorstellungen wiederfinden. Dennoch ist die Religion des Arabers Mohammed eine andere als das Christentum. Der Umgang mit diesem Glauben fällt christlich geprägten Gesellschaften schwer, manchmal schmerzt er. Und manchmal tun Muslime Dinge im Namen eines vermeintlichen Islam, die unerträglich sind - siehe Paris und die Attentate.

Auch wenn Dschihadisten nur eine winzige Minderheit der Muslime sind: Nicht nur der Terror gegen die Charlie-Hebdo-Zeichner zeigt, dass einzelne Fraktionen unter den Muslimen in Europa elementare Grundprinzipien einer freien Gesellschaft ablehnen. Das gilt in Bezug auf ein religiös begründetes Bilderverbot und unliebsame Satire, ebenso aber auch bei der Gleichstellung von Frau und Mann oder bei der Religionsfreiheit.

Bei gewaltlüsternen Dschihadisten - und bei vielen nichtmilitanten Islamisten - kann man sich Überzeugungsarbeit sparen. Ihr Islam ist antidemokratisch, antilibertär. Er stellt Gottes Gesetz über jede Rechts- und Werteordnung. Da geht nichts.

Die Frage nach der Demokratie- und Freiheitsfähigkeit des Islam

Derart hartgesottene Islamisten sind zum Glück noch eine Minderheit unter den Muslimen; in Europa sowieso, aber auch in den muslimischen Kerngebieten, in Nahost, Afrika, der Türkei, Südostasien. Deshalb kann die Frage nach der Demokratie- und Freiheitsfähigkeit des Islam - und damit nach seiner Integrationsfähigkeit in Gesellschaften wie die deutsche - sich nicht an diese radikalen Randgruppen richten, sondern nur an die gemäßigtere Mehrheit der Muslime.

An dieser Stelle der Debatte wird von Muslimen und Nicht-Muslimen angeführt, dass alle monotheistischen Religionen im Kern gleich friedliebend seien, dass nur einzelne Radikale die fromme Botschaft missbrauchten. Weshalb dem Entsetzen der Mehrheitsmuslime über den Terror der Minderheitsmuslime stets der Satz folgt: "Der Islam ist eine Religion des Friedens."

Das ist zu einfach. Ja, es gibt keine unterschiedlichen Wertigkeiten von Religionen. Der eine Glauben ist nicht "besser" als der andere. Aber es gibt, wie bei weltlichen Ideologien oder anderen Denkgebäuden, unterschiedliche Konstruktionsprinzipien. Der Islam unterscheidet sich vom Christentum dadurch, dass er in vielen Aspekten Gesetzesreligion bleibt. Er gibt neben paradiesischen Perspektiven auch vor, wie die Gesellschaft ihr Zusammenleben auf Erden organisieren soll. Der Koran und die Kommentare geben Auskunft , wann der Islam geschützt werden muss, wann Gewalt legitim ist. Das macht es Extremisten leicht. Sie sehen den Islam bedroht, wenn einer den Propheten ohne Hose zeichnet. Irgendwelche den Gewaltaufruf deckende Textstellen finden Radikale immer.

Die Mehrheitsmuslime müssen endlich über den Umgang mit der theologischen Konstruktion des Islam debattieren. Solange ein heiliges Buch als einzig wahres offenbartes Wort des Schöpfers gilt, ist dies kaum möglich - wer kann Gott redigieren? Natürlich versuchen liberale muslimische Denker dieses Kunststück seit Jahrhunderten. Aber dann kommen die Fundamentalisten mit dem grünen Textmarker - und behalten recht.

Ohne dem Koran seine Göttlichkeit zu nehmen

Die Herausforderung ist es, den Koran als historischen Text aus dem siebten Jahrhundert zu begreifen, ohne ihm seine Göttlichkeit zu nehmen. Das erfordert fast schon die islamische Quadratur des islamischen Kreises. Nur dies würde diese Religion so weiträumig interpretationsfähig machen, dass sie im 21. Jahrhundert die produktive Rolle spielen kann, die ihr viele Muslime zusprechen.

Schnell wird dies nicht gehen. Der liberale Euro-Islam ist eine Insel der Seligen, aber er ist auch Teil der Umma, der muslimischen Weltgemeinde. Und dort bewegt sich seit Jahrzehnten wenig; und wenn, dann in Richtung Fundamentalismus und Radikalisierung. In den Ländern, welche den Trend setzen, weist der Islam-Zeitgeist in die falsche Richtung. Von Ägypten über Saudi-Arabien bis nach Südostasien werden die Reformer übertönt von Extremisten.

Zu sagen, dass es der Geduld bedürfe, ist für praktische Politik unbefriedigend. Vielleicht hilft der Blick auf das Eigene: Weil das Christentum anders konstruiert oder offenbart wurde als der Islam, hatten es die Christen leichter, die machtbesessenen und gewaltaffinen Vertreter ihres Glaubens einzuhegen. Was das Säkularisationspotenzial angeht, hatte der Religionsstifter aus Nazareth eine leichtere Hand als der Mann aus Mekka. Blutig war es dennoch bei den Christen, lang gedauert hat es auch.

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