Mittelstürmer Stefan Kießling:"Ich weiß, wann sich ein Foul lohnt"

FC Augsburg - Bayer 04 Leverkusen 1:3

Stefan Kießling wurde in 17 Spielen 59 Mal gefoult - häufiger erwischte es niemand in der Bundesliga.

(Foto: Stefan Puchner/dpa)

Er ist der meistgefoulte Profi der Bundesliga-Hinrunde, langt aber auch selbst oft zu: Ein Gespräch mit Leverkusens Stefan Kießling über Wehwehchen eines Stürmers, den Spitznamen "Fießling" und die Psychologie des harten Spiels.

Von Jonas Beckenkamp

SZ: Herr Kießling, lassen Sie uns über Fouls sprechen. Schienbeinschoner parat?

Stefan Kießling (lacht): Die sind Pflicht, es gibt in meinem Beruf ja immer wieder was auf die Füße. Auch, wenn es keine Absicht ist. Der Körper muss geschützt sein, sonst komme ich nach jedem Spiel mit blauen Flecken nach Hause.

Das muss bei Ihnen häufig der Fall sein. Schätzen Sie mal, wie oft Sie in der Hinrunde gefoult wurden?

Schwer zu sagen, ich zähle da nicht mit. Ich habe 17 Spiele gemacht, also tippe ich auf 70 bis 80 Mal? Also, um die fünf Fouls pro Partie?

Laut der Statistikzähler von Opta waren es 59 - dabei sind Sie auch der Spieler der nach Valon Behrami vom HSV am zweithäufigsten foult. Wie erklären Sie sich das?

Das ist einfach. Wenn meine Mitspieler mich vorne suchen, also mir lange Bälle zuspielen, gerate ich in Zweikämpfe und muss mich behaupten. Vor allem in Luftduellen bekomme ich mitunter Pfiffe gegen mich. Die meisten Fouls begehe ich beim Kopfball, wenn mein Gegner und ich im Sprung sind. Mir passieren sicherlich öfter klassische Stürmerfouls als etwa Fouls beim Gegenpressing in der Verteidigung.

Gegnerische Fans rufen Sie bereits "Fießling". Wieviel Raubein steckt denn in Ihnen?

Davon habe ich nichts mitbekommen. Ich denke, dass ich mich wehren kann. Aber ich halte mich für einen fairen Spieler. Ich gehe vielleicht mal hart rein, trotzdem ist es nicht so, dass ich andere absichtlich verletzen will. Ein gewisses Maß an Einsatz gehört dazu, sonst gibt es gegen physisch starke Abwehrspieler nichts zu holen.

Welche Tricks muss ein Angreifer beherrschen, um sich durchzusetzen?

Die Schwierigkeit besteht oft darin, den Verteidiger auszuspielen, wenn er hinter mir steht. Mein Ziel ist natürlich, dass der Schiedsrichter in engen Situationen nicht gegen mich pfeift. Da entsteht manchmal ganz schöner Blödsinn. Zum Beispiel bei hohen Bällen: Ich stelle den Körper rein, um an den Ball zu kommen und der Schiedsrichter legt es als Foul von mir aus. Fouls des Verteidigers werden da seltener gepfiffen. Gerade wenn es um Szenen in der Nähe des Sechzehners geht, haben es Stürmer schwer, Pfiffe zu bekommen.

Fühlen Sie sich genug geschützt von den Schiedsrichtern?

Ich möchte gar nicht auf den Schiedsrichtern rumhauen. Grundsätzlich empfinde ich die Regelauslegung schon als gerecht. Die Referees können es durchaus einschätzen, wenn ein Verteidiger ununterbrochen auf mich als Angreifer drauf geht. Sowas sehen die Schiedsrichter meistens, das ist in Ordnung.

An welche Fouls erinnern Sie sich besonders? Die schmerzhaften? Die fiesen? Oder jene, die einen Torerfolg direkt verhindern?

Ganz klar: Die, bei denen man sich ernsthaft weh tut. Mich hat es einmal sehr schlimm erwischt. Da hatte ich durch ein Foul ein Loch im Fuß. Solche Aktionen vergisst man nicht.

2010 fielen Sie nach einer Attacke von Nürnbergs Andreas Wolf mit einem gerissenen Syndesmoseband monatelang aus.

Er ist mir an der Mittellinie von hinten reingerutscht und bekam nicht einmal Gelb dafür. Wenn ich mir die Bilder von damals anschaue, muss ich leider sagen: In dem Fall war ich nicht gut geschützt. Im Endeffekt war es mir auch egal, ob er bestraft wird oder nicht - schlimmer war, dass ich danach das Problem mit der schweren Verletzung hatte.

"Dass es zwickt, gehört dazu"

Wie schaffen Sie es, in so einem Moment nicht stinksauer auf den Gegenspieler zu sein?

Ich habe gar nicht so viel darüber nachgedacht, was jetzt mit ihm geschieht oder wie es dazu kommen konnte. Man muss erstmal damit klarkommen, dass was passiert ist. Es ist eher so, dass im Nachhinein die Gedanken kommen: Was hat der denn für einen Mist gebaut? Oder kann er vielleicht wirklich nichts dafür, weil es einfach unglücklich war?

Wieviel Psychologie steckt im Foulspiel?

Wenn ich als Fußballer nach dem Spiel mit kleineren Wehwehchen heimkomme, denke ich nicht permanent daran, wie oft ich gefoult wurde. Das passiert eher, wenn ich mir wirklich was getan habe. Wenn es was Ernsthaftes ist. Dass es ein bisschen zwickt, wenn man umgehauen wird, gehört dazu. Reine Gewöhnungssache.

Hart einsteigen und trotzdem straffrei bleiben - kann man das einstudieren?

Ich glaube nicht, dass man sich sowas wie in der Schule antrainieren kann. Das Problem ist ja, dass beim Trainingsspiel kein Schiedsrichter entscheidet, sondern alles untereinander ausgemacht wird. Da wird man schon mal sauer und geht dann auch hart rein. Es gehört dazu, dass es rauere Zeitgenossen auf dem Platz gibt. Ich kann mich auch nicht erinnern, dass Trainer Fouls explizit üben lassen.

Nichtmal die sogenannten taktischen Fouls?

Nein, die entstehen aus der Situation heraus. Wenn du gegen Bayern spielst und selten an Ball kommst, hilft dir das auch nichts. Da ist es wichtiger, nah dran zu sein. Nur treten bringt dich nicht weiter.

Früher langten Sie häufiger hin, Sie bekamen mehr gelbe Karten und kassierten zu Beginn Ihrer Leverkusener Zeit zwei Platzverweise.

(lacht) Der erste Feldverweis war eigentlich ein Witz, daran kann ich mich gut erinnern. Ich flog runter, weil ich mir an die Stirn gedeutet hatte, um zu sagen: Ich war mit dem Kopf dran und nicht mit der Hand. Das interpretierte der Schiedsrichter als Vogel zeigen. Beim zweiten Mal war es ein Zweikampf mit einem Hertha-Spieler - auch nicht unbedingt rotwürdig. Seitdem bin ich reifer geworden. Ich lasse mich nicht mehr so oft zu unnötigen Fouls hinreißen und kassiere deswegen weniger Verwarnungen.

Was läuft bei Ihnen während eines Zweikampfs im Kopf ab? Wissen Sie, wann Sie die Regeln überschreiten?

Vieles geschieht intuitiv. In manchen Duellen merke ich: Es wäre Schwachsinn, jetzt anzugreifen. Da tue ich mir und der Mannschaft keinen Gefallen, denn es wird Freistoß geben. Ich weiß schon recht gut, wann ein Foul sich lohnt und wann nicht. Diese Mechanismen eignet sich ein Spieler mit der Zeit an.

Sie meinen, dass Profis altersmilde werden beim Thema Härte?

Ja, mit zunehmender Erfahrung kannst du Szenen besser einschätzen und reagierst überlegter. Das macht viel aus. Bei mir ist es so, dass ich nicht mehr jedem Ball grundlos hinterherjage, weil es dafür oft gelbe Karten gibt. Insofern lernt man natürlich dazu.

Haben Sie über die Jahre auch gelernt, wer der unangenehmste Gegenspieler der Liga ist?

(lacht) Vielleicht Kyriakos Papadopoulos. Wenn ich zu seiner Schalker Zeit gegen ihn ran musste, waren es immer Duelle mit Pfeffer. Ein Glück, dass er jetzt bei uns spielt.

Hier die Foul-Statistik von Stefan Kießling im Auftaktspiel gegen Borussia Dortmund (das Leverkusen 2:0 gewann):

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