Nolegida in Leipzig:Gegen das Dagegen

Protest gegen Demo der Anti-Islam-Bewegung 'Legida' in Leipzig

Mit Clownsverkleidung gegen die Anti-Islam-Bewegung: Die Gegendemonstranten waren in Leipzig klar in der Überzahl.

(Foto: dpa)
  • Beim Pegida-Ableger in Leipzig gingen 5000 Menschen auf die Straße.
  • Den Demonstranten ging es nach eigenen Worten um den Erhalt der christlich-jüdisch wertgeprägten Kultur, die Vorrang gegenüber allen anderen Dingen haben solle.
  • Vor allem mit drei Parolen taten sich die Legida-Anhänger hervor: "Lügenpresse, Lügenpresse", "Deutschland, Deutschland, Deutschland!" und "Wir sind das Volk!"
  • 30 000 Gegendemonstranten versammelten sich ebenfalls in der Stadt, deren Bürger einst zu DDR-Zeiten mit den friedlichen Montagswachen den Sturz des Regimes einläuteten.

Von Hannah Beitzer, Leipzig

Ausgerechnet durch das Waldstraßenviertel. Das ärgert den jungen Mann, der hier in der Leipziger Waldstraße mit einer roten Kerze steht, direkt vor einem Stolperstein, einer kleinen in das Straßenpflaster eingelassenen Gedenktafel, die an die Deportation von Juden im Dritten Reich erinnert. "Das ist das alte jüdische Viertel. Deswegen finde ich es besonders schändlich, dass Legida hier lang geht."

Legida - Leipzig gegen die Islamisierung des Abendlandes - ist ein Ableger der Dresdner Pegida-Demonstrationen. Leipzig ist die Stadt, in der die friedlichen Montagswachen in der DDR begannen, der Geburtsort des Slogans "Wir sind das Volk", den die Dresdner Pegida nun für sich reklamiert. Hier wollte die Bewegung eine zweite Basis aufbauen. Doch der Plan schlägt fehl.

Denn es gelingt Legida zwar, fast 5000 Menschen auf die Straße zu bringen, mehr als in jeder anderen Stadt außerhalb Dresdens. Doch auf der anderen Seite kommen mehr, viel mehr. Der junge Mann mit der Kerze ist nur einer von etwa 30 000 Gegendemonstranten, die Legida von allen Seiten umzingeln. Bereits nachmittags hatte die Polizei das Waldstraßenviertel abgeriegelt. An sieben verschiedenen Orten versammeln sich Gegendemonstranten, ziehen kreuz und quer durchs Quartier.

Sie treffen sich zum Beispiel zum Friedensgebet in der Nikolaikirche - wie damals, in den achtziger Jahren, als in Leipzig erstmals DDR-Bürger "Wir sind das Volk" riefen und schließlich ihr marodes System in einer friedlichen Revolution zu einem Ende brachten. Dass diesen Slogan nun in Dresden und anderswo Teilnehmer der Pegida-Demonstrationen rufen, gefällt vielen Leipzigern gar nicht. Es kommen Studenten, Familien, Politiker, die Straßen sind voller Menschen, ein wenig Sommerfest-Stimmung mitten im Winter. Die Fenster der anliegenden Häuser stehen offen, aus vielen von ihnen klingt ein Lied: Freude, schöner Götterfunken! Die Ode an die Freude von Beethoven, Hymne jenes Europas, dem sich auch Pegida im Namen verpflichtet hat.

Der Teil des Waldstraßenviertels, durch den bald der Pegida-Ableger Legida ziehen soll, liegt dagegen in seltsamer Stille. Kein Mensch auf den Straßen, kein Auto schon seit Stunden, nur wartende Polizisten. Ein paar Leute hasten die Straßen entlang, die Polizei fragt jeden, der vorbei will: Anwohner? Demonstrant? Presse? Und doch rücken die Gegendemonstranten schon nahe an den Versammlungsort der Legida heran, bevor die Versammlung überhaupt anfängt. Immer wieder treffen unterschiedliche Demonstrationszüge aufeinander, umstellen schließlich den Platz vor dem Stadion, auf dem sich Legida trifft.

Männer mit kurzgeschorenen Haaren

Dort stehen vor allem Männer, junge Männer, alte Männer, viele mit kurzgeschorenen Haaren, Armeejacken, Kleidung von Lonsdale, jener Marke, die seit Jahren erfolglos gegen die eigene Beliebtheit in rechten Kreisen ankämpft. Aber auch einige ältere Damen, ein paar Mädchen, Teenager. Vor der heutigen Demonstration gab es eine kurze Diskussion um die Frage: Dürfen die Protestler dort islamkritische Karikaturen der von Islamisten ermordeten Zeichner der Satirezeitschrift Charlie Hebdo zeigen? Die Stadt wollte das erst verbieten, musste dann jedoch nach heftiger Kritik unter anderem des Deutschen Journalisten-Verbandes einlenken.

Auf der Legida-Demonstration ist dann jedoch keine Charlie-Hebdo-Zeichnung in Sicht, stattdessen viele Deutschlandflaggen, außerdem Schilder, die die Abschaffung der GEZ fordern oder vor den Gefahren von "Chemtrails" warnen - so bezeichnen Verschwörungstheoretiker die Kondensstreifen von Flugzeugen, die angeblich mit Chemikalien versetzt sind, um die Bervölkerung gefügig zu machen.

Auf der Bühne spricht eine Rednerin von den Attentaten von Paris: "Vier der Toten waren Juden. Warum warnen unsere Politiker und Medien vor Islamfeindlichkeit? Müssten sie nicht vor Judenfeindlichkeit warnen?" Dass sich bereits zahlreiche Debattenbeiträge mit Antisemitismus in Frankreich beschäftigt haben - geschenkt.

Dass die Menge laut "Lügenpresse, Lügenpresse" skandiert, legt jedoch den Schluss nahe: Um die Anschläge von Paris, die ermordeten Journalisten von Charlie Hebdo geht es hier nicht wirklich. Denn die waren ja Teil der Lügenpresse, die hier als selbstherrliche Elite verachtet wird. Tatsächlich gehört nicht viel Fantasie dazu, sich vorzustellen, was die Ermordeten von Pegida und Co hielten. Es reicht, sich ihre Karikaturen über die inhaltlich verwandte Marine Le Pen anzuschauen.

In Leipzig gibt es auch noch ein anderes Volk

Nolegida in Leipzig: "Bier trinkt das Volk!": Gegendemonstranten verhöhnen mit Spaßplakaten die Legida-Anhänger.

"Bier trinkt das Volk!": Gegendemonstranten verhöhnen mit Spaßplakaten die Legida-Anhänger.

(Foto: AFP)

Aber worum geht es dann eigentlich? "Der Erhalt der christlich-jüdisch wertgeprägten Kultur in unserem Land und in Europa hat Vorrang gegenüber allen anderen Dingen", heißt es in einem Positionspapier, das auf der Demo verteilt wird. "Daher ist allen anderen Religionen und Kulturen Mäßigung und Achtung unserer Kultur auferlegt." Außerdem fordert Legida eine "Abkehr von der Multikulti", eine "Beendigung des Kriegsschuldkultes und der Generationenhaftung", die Überprüfung der deutschen Nato-Mitgliedschaft und eine "Reform des Gleichstellungsgesetzes (Gender Mainstreaming)".

Abseits der Bühne sind aber vor allem drei Parolen zu hören: "Lügenpresse, Lügenpresse", "Deutschland, Deutschland, Deutschland!" und "Wir sind das Volk!" Das Volk, dessen Willen - so sagen es die Redner auf der Bühne - missachtet wird von einer selbstherrlichen Elite aus Politikern und Journalisten.

Doch hier in Leipzig gibt es auch noch anderes Volk. Als sich der Zug gegen halb acht in Bewegung setzt, wartet an jeder Straßenecke eine Gruppe Gegendemonstranten. "Haut ab, haut ab", rufen sie, trommeln Samba-Takte, pfeifen. "Wir sind die Mauer - das Volk muss weg", brüllen sie. Vereinzelt fliegen auch Feuerwerkskörper in den Demonstrationszug, plötzlich stürmen Gegendemonstranten mit Mülleimern, die sie rumpelnd vor sich her schieben, aus dunklen Hauseingängen, die Polizei drängt sie zurück, stürmt auch in andere Hinterhöfe.

"Die Studenten! Arbeiten nichts!"

Eine kleine Frau mit kurzen rotgefärbten Haaren aus dem Pegida-Zug verliert die Nerven, rennt ganz allein auf die Gegendemo zu. Ein stämmiger Polizist in voller Monitur trägt sie zurück wie ein Kind, sie strampelt, fängt an zu weinen. Ihre Stimme überschlägt sich: "Nur wegen denen ... wegen denen ...", ruft sie. Sie bringt den Satz nicht zu Ende. Ein alter Herr mit einem Gehstock brüllt: "Die Studenten! Arbeiten nichts!"

Am Schluss geht den Legida-Demonstranten auf ihrem Zug ein wenig die Luft aus, die "Wir sind das Volk"-Rufe werden leiser. Sie ziehen vorbei an Häusern, deren Anwohner Plakate mit der Aufschrift "Refugees are welcome here", "Für eine bunte Stadt" und "Nazis raus" aus ihren Fenstern gehängt haben. Und dann, immer wieder: die Ode an die Freude von Beethoven, jene Melodie, mit der man ganz bestimmt nicht gegen irgend etwas demonstrieren kann, sondern nur für etwas, weil sie selbst so ganz dafür ist: für die Freude, für das Leben.

Leipzig hat sich damit gegen das Dagegen der Pegida-Bewegung gestemmt, mit aller Kraft und einiger Kreativität. Und doch haben die, die hier auf der anderen Seite "Wir sind das Volk" rufen, nicht ganz unrecht. Denn sie sind Teil des Volkes, genauso wie es die Gegendemonstranten sind. Das Kräftemessen vor Ort hat Legida erst einmal verloren. Doch die Auseinandersetzung mit ihren Gedanken, lautstark, auf der Straße, in Leipzig, Dresden und anderswo hat gerade erst begonnen.

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