Übertragung der Handball-WM:Ins Abseits gekullert

VfL Gummersbach v Fuechse Berlin  - DKB HBL

Silvio Heinevetter und seine Kollegen können Fans diesmal nur im Bezahlfernsehen bei der Arbeit beobachten.

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Die Handball-WM beginnt und in Deutschland sendet nur das Bezahlfernsehen Livebilder. Das ärgert Fans wie Vereine. Dabei überlegen Sender gut, was Quote bringen könnte - manchmal liegen sie auch daneben.

Von Martin Schneider

"Dreiheiuuunddreiheißig Sekunden noch", brüllt der ZDF-Kommentator heiser ins Mikrofon. "Ganz cool ab-zo-cken", feuert er die sieben deutschen Handballer auf dem Feld an, auch wenn die ihn nicht hören können. Zweite Verlängerung, die Uhr zeigt 79:57 Minuten an, als der Franzose Daniel Narcisse hochsteigt und die Kugel abfeuert. Torhüter Henning Fritz knickt mit dem linken Knie ein, hält, jubelt, alle jubeln, Ekstase in der Halle. "Das Spiehiel ist aus", schreit der Kommentator.

Wer an diesem 1. Februar 2007 nicht Handball-Fan wurde, der wurde es wohl nie mehr. 32:31 endete das Halbfinale der Weltmeisterschaft im eigenen Land zwischen der deutschen Nationalmannschaft und Frankreich. 10,64 Millionen im Schnitt und 15,34 Millionen in der Spitze schauten zu. Es war ein Donnerstag, Anpfiff war um 17.30 Uhr. Das Finale gegen Polen drei Tage später sahen im Schnitt 16,17 Millionen Zuschauer, das Spiel kam aber an Faszination und Dramatik nicht an das Halbfinale heran. Deutschland wurde Weltmeister, nie war Handball populärer.

"Es kommt wenig Nachwuchs nach"

Fast acht Jahre später wirft die Gebrüder-Apfelbeck-Halle ein fahles Licht in die kalte Münchner Nacht. Carsten Schreiber steht im Treppenhaus, ein großer, stämmiger Mann. Gleich wird er wieder die B-Jugend des TSV Milbertshofen trainieren.

Vieles hat sich seit dem Sieg von 2007 geändert. Am morgigen Donnerstag beginnt die Handball-WM in Katar. Deutschland ist schon lange nicht mehr Weltmeister und im frei empfangbaren Fernsehen werden keine Bilder zu sehen sein. Weder ARD und ZDF noch der Spartensender Sport1, sondern einzig der Pay-TV-Kanal Sky konnte dem Rechteinhaber, einer Tochter des katarischen TV-Senders Al Jazeera, garantieren, dass die Übertragung nur innerhalb Deutschlands empfangbar ist, und er bekam die Rechte.

Die Folgen werden nun Carsten Schreiber und viele andere Jugendtrainer zu spüren bekommen. "Langfristig ist das natürlich nicht gut", sagt er. Der TSV Milbertshofen war 1991 Europapokalsieger, zwei Jahre später meldete er Konkurs an, jetzt ist er ein Verein wie viele in Deutschland. Schreibers Jungs laufen sich warm. "Es kommt wenig Nachwuchs nach", sagt er. Schreiber unterhält sich mit den zwei Betreuern. Es geht um die Übermacht des Fußballs und die Handball-Bundesliga. Die immerhin läuft auf Sport1.

Die Frage, wann eine Sportart wo und in welchem Fernsehsender einen Platz findet, ist nicht leicht zu beantworten. Aber sie ist wichtig. Fernsehpräsenz entscheidet über Sponsoren. Und Kinder finden nur dann Vorbilder, wenn sie ihnen auch zuschauen können. 2008, im Jahr nach dem WM-Titel, traten 22 500 Menschen Handballvereinen bei, ein Schub wie seit Jahren nicht mehr. 2009, ein Jahr nachdem Jan Frodeno in Peking Triathlon-Olympiasieger wurde und die Triathlon-Serien im Fernsehen zu sehen waren, steigerte der Deutsche Triathlonverband seine Mitgliederzahlen um mehr als zehn Prozent.

Wer entscheidet, dass in der ARD etwa Rodeln live gezeigt wird, aber kaum Tischtennis? Würden RTL oder Sat1 Ski Alpin zeigen, wenn sie könnten?

Es ist ein Rätsel, was im TV funktioniert

Die zweite Frage ist einfacher zu beantworten, denn im Privatfernsehen wird nach einem einfachen Grundsatz entschieden: Es muss sich rechnen. Für Matthias Bolhöfer, RTL-Sprecher in Sachen Sport, eignen sich nur drei Sportarten für wirklich zuschauerstarke Übertragungen: Fußball, Boxen und Motorsport. Alle drei Sportarten hat RTL im Programm, wobei es nicht sicher ist, ob es mit der Formel 1 weitergeht. Die Quoten sinken. Andere Sportarten nimmt RTL nur ins Programm, wenn ein außergewöhnlich hohes Zuschauerinteresse besteht. Zu Zeiten Martin Schmitts oder Sven Hannawalds galt das etwa für Skispringen. Und 2009 auch für die Handball-WM, das Turnier nach dem Titel.

Dass Experimente nicht zwingend erfolgreich sein müssen, hat Sat1 vor kurzem festgestellt. Der Sender zeigte das Finale des Federation Cup, des wichtigsten Teamwettbewerbs im Damen-Tennis. Zum ersten Mal seit 1992 stand Deutschland im Endspiel. Eigentlich gute Voraussetzungen bei einer Nation, die durch Graf, Becker und Stich in den Neunzigerjahren einen Tennis-Boom erlebte. Doch die Übertragung floppte, blieb mit 6,5 Prozent Marktanteil unter Senderschnitt.

"Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Für mich ist es ein Rätsel, warum manche Sportarten im Fernsehen nicht angenommen werden", sagt ZDF-Sportchef Dieter Gruschwitz, der bei seinem öffentlich-rechtlichen Sender allerdings nicht so streng nach marktwirtschaftlichen Kriterien entscheiden muss wie die private Konkurrenz. "Unser oberstes Gebot ist Vielfalt", sagt Axel Balkausky, Sportkoordinator der ARD-Sender. Nicht nur öffentlich-rechtliche Gremien sollen ja schließlich die Gesellschaft abbilden, sondern vor allem das Programm. Da der Sendetag aber auch nur 24 Stunden hat, muss aus der Vielfalt immer wieder gut begründet ausgewählt werden.

Gerade hat die ARD die Rückkehr zur Tour de France beschlossen. Und macht es sich dabei ein bisschen leicht. Nachdem die Öffentlich-Rechtlichen 2009 nach zahlreichen Doping-Skandalen aus der Übertragung ausgestiegen waren, wolle man, so Balkauskys Begründung, dem Radsport eine zweite Chance geben. Das ZDF macht nicht mit, es muss Personalkosten einsparen. Die umstrittene Rückkehr zur Tour de France illustriert ganz gut das Problem der Öffentlich-Rechtlichen mit Sommersportarten abseits von Fußball und Olympia.

"Sowohl die Turn-EM 2011 in Berlin als auch die Schwimm-EM in Berlin letztes Jahr sind Veranstaltungen, die theoretisch eine gute Quote erzielen sollten", sagt Gruschwitz. Auf dem Papier gehören Turnen und Schwimmen zu den mitgliederstärksten Vereinssportarten in Deutschland. Gleichzeitig gibt es gute deutsche Athleten, ein wichtiger Faktor, sagen alle Senderverantwortlichen. Trotzdem war die Resonanz mäßig. Im Tischtennis habe man eine ähnliche Situation. Gruschwitz: "Das frustriert uns selbst ein bisschen."

Noch rätselhafter ist es im Wintersport. Kaum jemand hat schon mal selbst Biathlon, geschweige denn Skispringen betrieben. Die Quoten sind trotzdem super. "Wir haben den Vorteil, dass wir Wintersport als Block anbieten können", sagt Balkausky. Die Verbände stimmten sich terminlich ab. Einzeln funktionierten Nordische Kombination, Rodeln oder Eisschnelllauf wohl nicht. "Im Winter verbringt man halt eher den Tag vorm Fernseher als im Sommer", sagt Balkausky.

In der Halle in Milbertshofen spielt die Handball-Mannschaft Basketball. "Wann spielen denn die Deutschen?", fragt Carsten Schreiber am Spielfeldrand in die Runde. "Am Freitag", sagt einer der Betreuer. "Treffen wir uns bei mir? Ich hab' Sky." Kurze Pause. "Nix da", herrscht ihn Schreiber an, "Freitag ist Training."

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