Diskriminierung auf dem Balkan:Frauen kämpfen um ihr Recht auf Erbe

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Shyhrete Berisha kämpft in Suhareke im Südwesten des Kosovo vor Gericht. Sie will ihr Haus von der Familie ihres verstorbenen Mannes zurückgewinnen. Foto: Jeta Abazi

(Foto: Jeta Abazi)

Die Gesetze sind auf ihrer Seite - aber altes Gewohnheitsrecht und die Hausmacht der Männer sind oft unüberwindliche Hürden. Überall auf dem Balkan kämpfen Frauen darum, erben zu dürfen. Eine Reporterin folgt der Spur patriarchalischer Traditionen - bis nach London.

Von Jeta Abazi Gashi, Pristina/Podgorica/Aracinovo/London

Während des Kosovokonflikts töteten serbische Polizisten den Ehemann von Shyhrete Berisha und ihre vier Kinder vor ihren Augen.

Ihr jüngstes Kind war keine zwei Jahre alt, ihr ältestes wäre zwei Monate später 15 geworden. Shyhrete wurde in den Bauch geschossen. Man hielt sie für tot und lud sie auf einen Lastwagen, zusammen mit den Leichen von ungefähr 50 anderen Kosovo-Albanern, die am 26. März 1999 in der südwestlichen Stadt Suhareke getötet worden waren.

Shyhrete und zwei ihrer Verwandten überlebten als einzige das Massaker, indem sie vom fahrenden Lastwagen sprangen.

"Wozu brauchst du das Haus? Alle sind tot"

Damals konnte sich Shyhrete nicht vorstellen, noch mehr verlieren zu können als ihren Ehemann, ihre zwei Töchter und zwei Söhne. Sie hat jedoch seitdem auch noch ihr gemeinsames Zuhause verloren.

Das Haus gehörte ihrem Schwiegervater. Nach dem Krieg hätte ihre Schwiegermutter zu ihr gesagt: "Wozu brauchst du das Haus? Alle sind tot. Es ist jetzt unser Haus."

Shyhretes Geschichte ist das extreme Beispiel eines Problems, das auf dem gesamten Balkan zu finden ist, wenn auch für gewöhnlich in einer weniger dramatischen Form: die Diskriminierung von Frauen in Erbangelegenheiten.

In diesen patriarchalen Gesellschaften gehen Eigentum und Vermögen oft in den Besitz der männlichen Erben der Familie über. Frauen sind davon ausgeschlossen, obwohl sie einen gesetzlichen Erbanspruch hätten.

Manche Behörden und Aktivisten versuchen mithilfe von Werbekampagnen ein Umdenken zu erreichen und Frauen ziehen im Kampf für ihre Rechte vor Gericht. Sie stoßen dabei aber auf starken Widerstand von Traditionalisten und sind frustriert über das langsame und überlastete Justizwesen.

Die Familie des Mannes weigerte sich, ihr die Schlüssel zu geben

Shyhrete zufolge haben die Männer der Berisha-Familie 1977 eine mündliche Vereinbarung über die Aufteilung des Familienbesitzes getroffen. Shyretes Mann Nexhat erhielt einen Anteil an einem großen Haus, in dem er und seine Familie lebten. Sein Bruder und später dessen Sohn bekamen den anderen Teil.

Nach dem Krieg, so Shyhrete, hätte sie das Haus bei ihrer Rückkehr jedoch versperrt vorgefunden. Die Familie ihres Mannes weigerte sich, ihr die Schlüssel zu geben.

"Ich wollte doch nur, dass sie mir sagten, ich sei zu Hause willkommen", erinnert sie sich im Haus ihrer Eltern in Mushtisht, einem Dorf nahe Suhareke.

Mithilfe internationaler Wohltätigkeitsorganisationen wurde Shyhrete im Ausland wegen ihrer Verletzungen und Traumata behandelt. Jetzt lebt sie in Deutschland. Diesen Juni kehrte sie jedoch in den Kosovo zurück, um eine Klage vor dem Gericht in Suhareke einzubringen und ihr Haus zurückzufordern.

Shyhrete sieht älter aus als 52. Wenn sie über ihre Zeit mit Nexhat spricht, lacht sie - ohne dabei jedoch zu lächeln. Sie hätten ein gutes Leben gehabt, sagt sie. Ihr Mann war in einem örtlichen Kulturzentrum angestellt und die beiden kassierten Miete von kleinen, in ihrem Haus untervermieteten Geschäften. Sie kümmerte sich um die Kinder und den Haushalt.

Das Gesetz ist eindeutig - aber die Gerichte überlastet

Der Versuch, dieses Haus zurückzubekommen, ist ein langer und schwieriger Prozess. Shyhrete begann vor zwölf Jahren gerichtliche Schritte einzuleiten, aber ihr Anwalt erschien nicht vor Gericht, woraufhin der Fall nicht geprüft wurde. Ein neuer Anwalt, Ymer Koro, übernahm den Fall im September 2012.

Koro zufolge sei das Gesetz eindeutig: Nachdem die Immobilie an Shyhretes Mann vermacht worden war, sollte sie jetzt ihr gehören. "Da sie rechtmäßig verheiratet war, ist sie erbberechtigt", betont er.

Die Familie ihres Mannes sieht die Sache anders. Ihr Schwager, Xhelal Berisha, beharrt darauf, dass das Grundstück auf den Namen seines Vaters eingetragen war. "Vor seinem Tod hat er es mir durch ein schriftliches Testament überlassen", erzählt er. Shyhrete und ihr Anwalt bestreiten, dass ein solches Dokument existiere.

Einstweilen besitzt Xhelal Berisha die Schlüssel für das Haus und vermietet die darin befindlichen Geschäfte. "Ich zahle Vermögenssteuer, deshalb steht mir die Miete zu", meint er. "Ich habe Shyhrete gesagt, sie sei in unserem Haus willkommen. Aber sie wollte nicht zu uns kommen."

Es scheint höchste Zeit, dass die Justiz zu einem Urteil gelangt. Shaban Zeqiraj, der für diesen Fall zuständige Richter am Gericht von Suhareke, sei jedoch "mit 800 Fällen überlastet". Im September fand schließlich eine erste Anhörung statt, der Fall blieb jedoch ungelöst.

Koro räumt ein, dass es im Justizsystem des Kosovo einen enormen Rückstau an anhängigen Verfahren gebe, meint aber, dass dies nicht die ganze Geschichte sei. "Die Gerichte sind überlastet, aber sie wollen auch nicht arbeiten", meint er.

Gesetz gegen Tradition

2008 erklärte die Republik Kosovo ihre Unabhängigkeit nach einer Phase der internationalen Überwachung infolge der Bombardierung durch die Nato 1999, die das serbische Regime beendete.

Artikel 7 der Verfassung des Kosovo beschreibt die Gleichheit der Geschlechter als "einen Grundwert für die demokratische Entwicklung der Gesellschaft".

Laut Erb- und Familienrecht wird im Todesfall einer Person deren Vermögen unter den Familienmitgliedern aufgeteilt, wobei der Ehepartner und die Kinder ein Vorrecht genießen. Liegt ein Testament vor, so können Familienmitglieder von der Erbschaft nur unter bestimmten Voraussetzungen ausgeschlossen werden, wobei keine davon geschlechtsspezifisch ist.

Mit einer öffentlichen Kampagne für die Gleichberechtigung von Mann und Frau wurden Ehepaare ermuntert, ihr Eigenheim auf beide Namen eintragen zu lassen. Wohneigentum ist jedoch nach wie vor oft überhaupt nicht registriert und, falls doch, dann nur auf den Namen des Mannes.

"Grundbesitz gehört ihnen beiden", heißt es in einem offiziellen Video

Ein von offizieller Seite im September veröffentlichter und von internationalen und lokalen Organisationen unterstützter Videospot zeigt ein junges Paar, das sich ein Kuchenstück teilt, im Bett fernsieht und ein Auto kauft, bevor es sich hinsetzt und gemeinsam die Formalitäten für sein Eigenheim erledigt.

"Sie können Ihre Partnerin glücklich machen, indem Sie alles mit ihr teilen", sagt eine Stimme aus dem Off. "Grundbesitz gehört Ihnen beiden - lassen Sie Ihr gemeinsames Eigentum eintragen."

Doch alte Traditionen sterben langsam. Viele Menschen glauben immer noch, dass Grundbesitz über die männliche Linie vererbt werden sollte, gemeinsam mit dem Familiennamen. Laut Angaben des Katasteramts befinden sich mehr als 79 Prozent des im Kosovo eingetragenen Haus- und Grundbesitzes im Eigentum von Männern.

In traditionellen Gemeinden werden Besitzstreitigkeiten in Versammlungen von ausschließlich männlichen älteren Mitgliedern der Gemeinschaft geschlichtet, die sich auf den Kanun des Leke Dukagjini, eine Sammlung von alten albanischen Gewohnheitsrechten, berufen.

"Grundbesitz gehört nur dem Mann", heißt es im Kanun

Ali Pasoma, 58, leitet Versammlungen zur Beilegung von Streitigkeiten in der Stadt Vushtrri, etwa 25 Kilometer nördlich der Hauptstadt Pristina.

"Grundbesitz gehört nur dem Mann. Selbst wenn eine Familie keinen Sohn hat, geht der Grundbesitz an die männlichen Cousins", zitiert Pasoma im Büro des Energieversorgungsunternehmens, wo er als Portier arbeitet, aus dem Kanun.

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Ali Pasoma führt den Vorsitz von Versammlungen zur Beilegung von Streitigkeiten in der kosovarischen Stadt Vushtrri. Foto: Jeta Abazi

(Foto: Jeta Abazi)

Pasoma erklärte sich zum Gespräch mit einer Reporterin nur unter der Voraussetzung bereit, dass ein männlicher Kollege ebenfalls anwesend sei. Er spricht angeregt mit tiefer Stimme, wobei sich seine Augenbrauen konzentriert zusammenziehen und sein üppiger Schnauzbart beim Reden bewegt.

"Ich kann den Besitz meiner Familie nicht dem Mann meiner Schwester überlassen - jemandem mit einem anderen Familiennamen. Wenn ihnen etwas Schlimmes zustößt (meiner Schwester und ihrem Mann), werde ich sie schützen und sie einladen, in meinem Haus zu wohnen. Aber wenn sie mir meinen Besitz wegnehmen wollen, sind sie in meinem Haus nicht willkommen", erklärt er.

Zuvor an diesem Tag hatte Pasoma den Vorsitz über eine Zeremonie, bei der es um die Trennung eines jungen Paares ging. Auch dies veranschaulicht die patriarchalen Traditionen solcher Gemeinschaften. Jede Partei war durch zehn Männer vertreten und der Fall wurde von vier weiteren entschieden.

Armut spielt eine Rolle

Wirtschaftliche Faktoren spielen beim Ausschluss von Frauen aus Erbangelegenheiten ebenfalls eine Rolle. Traditionsgemäß wird der Grundbesitz der Eltern an den jüngsten Sohn vererbt, damit er vollständig erhalten bleibt und nicht aufgeteilt wird. Von der Familie des Sohnes wird erwartet, dass sie die Eltern dort wohnen lässt und im Alter für sie sorgt.

In einem der ärmsten Länder Europas, wo ungefähr 30 Prozent der Bevölkerung mit weniger als zwei Euro pro Tag auskommen müssen, tritt ein solches System an die Stelle der staatlichen Altersfürsorge, die es im Kosovo kaum gibt.

Valbona Salihu, geschäftsführende Direktorin von Norma, einer Gruppe, die sich für Frauenrechte im Kosovo einsetzt, erzählt, ihre Organisation habe Fälle erlebt, in denen Familien bei einem Todesfall Frauen von der Liste der Erben gestrichen hätten - im Bestreben, diese Praxis aufrechtzuerhalten.

Manche Frauen lehnen es auch ab, von ihrem Erbrecht, das nach dem Gesetz jedem Erben zusteht, Gebrauch zu machen.

Selbst wenn das Gericht zugunsten des Erbrechts einer Frau entscheidet, ist die Wirklichkeit komplizierter.

Männer erben drei Mal häufiger als Frauen

Vor zwei Jahren starb der Mann einer im nördlichen Kosovo beheimateten 30-jährigen Frau an den Folgen eines Herzinfarkts. Ein Gericht habe entschieden, dass sie die gesetzliche Erbin einer auf den Namen ihres Mannes eingetragenen Wohnung sei, erzählt die Frau gegenüber BIRN (Balkan Investigative Reporting Network) unter der Bedingung, dass ihr Name in diesem Artikel nicht zitiert wird.

Die Vermietung oder der Verkauf der Wohnung hätten ihr ein dringend nötiges Einkommen verschafft. Doch ihre Schwiegereltern weigerten sich, die Entscheidung des Gerichts anzuerkennen. Sie leben immer noch dort, während die Schwiegertochter ihre zwei Kinder in einer Mietwohnung großzieht.

Eine Reihe von Institutionen, etwa die Agentur für Gleichberechtigung mit ihren 17 Mitarbeitern oder der Richterrat des Kosovo, soll sicherstellen, dass Frauenrechte im Kosovo geachtet werden. Dennoch konnte keine der beiden Statistiken dazu vorlegen, wie viele Frauen Erbstreitigkeiten vor Gericht ausgetragen haben.

Die Interessengruppe Norma hat diese Statistiken direkt von den Gerichten zusammengetragen. Ihre Recherche zeigt, dass Frauen sehr wohl Erbrechtsfälle vor Gericht bringen - aber weniger häufig als Männer. Aus der Analyse der Gerichtsdaten von 2008 und 2009 geht in dem Bericht der Gruppe auch hervor, dass Männer drei Mal häufiger erben als Frauen.

"Jeden Tag wächst das Bewusstsein für die Bedeutung von Erbschaft"

Haxhi Gashi, ein Professor für Zivilrecht an der Universität von Pristina, ist der Ansicht, dass das Fehlen offizieller Statistiken das Versagen der staatlichen Institutionen widerspiegele, sich dem Thema Erbschaft zu widmen. Er glaubt jedoch, dass die Menschen mittlerweile besser informiert seien.

"Jeden Tag wächst das Bewusstsein für die Bedeutung von Erbschaft", sagt er. Gashi würde sein Eigentum zu gleichen Teilen zwischen seiner Tochter und seinem Sohn aufteilen.

Fehmije Gashi-Bytyqi, eine 49-jährige Juristin aus Pristina, bricht ebenfalls mit der Tradition. Sie selbst hat von ihren Eltern nichts geerbt, jedoch bereits eine Wohnung für ihre erst zehnjährige Tochter erworben.

"Ich wollte meinen beiden Söhnen ein Vorbild sein; ich wollte, dass sie von ihrer Mutter lernen, dass Grundbesitz gerecht aufgeteilt werden soll", so Gashi.

Auf dem ganzen Balkan gilt: Männer zuerst

Im Kosovo, wo mehr als 90 Prozent der Bevölkerung Muslime sind, wird die Bevorzugung von Männern in Erbangelegenheiten oft mit dem Islam sowie dem Kanun in Zusammenhang gebracht. Die Praxis überwindet auf dem Balkan jedoch sowohl religiöse als auch politische Grenzen.

Es gibt beispielsweise im hauptsächlich vom orthodoxen Christentum geprägten Montenegro beinahe drei Mal so viele männliche wie weibliche Grundbesitzer.

"Gott hat uns diese Tradition hinterlassen"

Die zwei Brüder Milan und Jovan Stijepovic und ihr Freund Vesko Razhnatovic, alle zwischen 40 und 50 Jahre alt, arbeiten gemeinsam in einem kleinen Restaurant im Dorf Dujeva, etwa 20 Kilometer von der montenegrinischen Hauptstadt Podgorica entfernt.

Alle drei geben an, stolz darauf zu sein, nur Söhne zu haben. Jovan bemerkt außerdem, dass seine Schwester von der Familie keinen Grundbesitz geerbt hätte. Er spricht über Familiennamen genauso wie die Menschen im Kosovo. In traditionellen Gemeinschaften wird davon ausgegangen, dass die Töchter heiraten und die Namen ihrer Männer annehmen.

"Ich kann doch nicht Leute mit einem anderen Familiennamen in meinem Haus haben. Gott hat uns diese Tradition hinterlassen und wir haben sie übernommen", sagt Jovan.

Nach montenegrinischem Recht haben Frauen und Männer die gleichen Rechte. Aber ebenso wie im Kosovo werden die Gerichte in Montenegro dafür kritisiert, dass die Beilegung von Erbstreitigkeiten zu lange dauert.

Ibrahim Smailovic, ein Richter am Erstgericht von Podgorica, erklärt, er bemerke "einen wachsenden Trend, dass Frauen ihre Familienerbschaftsangelegenheiten vor Gericht bringen". Offizielle Statistiken zu diesen Fällen gibt es allerdings nicht.

In Mazedonien betrifft die Diskriminierung bei Erbschaftsfragen sowohl ethnische Mazedonier, die im Allgemeinen orthodoxe Christen sind und 63 Prozent der Bevölkerung stellen, als auch Albaner, die hauptsächlich Muslime sind und etwa ein Viertel der Bevölkerung ausmachen.

Grundbesitzer in Mazedonien sind mit fünf Mal höherer Wahrscheinlichkeit Männer als Frauen.

Spasena Surlovska, 78, die in dem nicht weit von der Hauptstadt Skopje entfernten Dorf Ljubanci lebt, arbeitete gemeinsam mit ihrem inzwischen verstorbenen Mann in einer Bäckerei. Wenn die Häuser, die sie von ihrem Mann geerbt hat, aufgeteilt werden, geht ein Großteil davon an ihre Söhne - obwohl sie mehr Zeit im Haus ihrer Tochter verbringt.

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Spasena Surlovska, eine Witwe im mazedonischen Dorf Ljubanci, sagt, der Großteil des Familienbesitzes werde an die Söhne gehen. Foto: Jeta Abazi

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"Es ist keine Schande, Traditionen aufrechtzuerhalten", sagt der Imam

"Das ist bei uns schon lange Tradition, obwohl sich die Töchter mehr um ihre Eltern kümmern als die Söhne", so Surlovska.

Ajdin Salihu, ein 34-jähriger Imam aus Aracinovo, einem ethnisch-albanischen Dorf etwa 20 Minuten Autofahrt entfernt, erklärt, dass Frauen nach der örtlichen Tradition keinen Grundbesitz erben, auch wenn "dies dem Willen Gottes, dem Koran und dem Staat widerspricht".

Auf die Frage, wie er dies in seiner eigenen Familie handhaben würde, meint er, er wolle die Zukunft nicht vorhersagen, fügt aber hinzu: "Es ist keine Schande, Traditionen aufrechtzuerhalten und wir können unseren Traditionen auch nicht entkommen. Ich habe ein Haus und ich denke, ich werde es meinem Sohn geben."

Jovo Vangelovski, ein Richter am Obersten Gerichtshof in Mazedonien, glaubt, dass sich die Dinge ändern werden. "Der wichtigste Faktor dabei ist die Bildung der Frauen", sagt er. "Dies hat großen Einfluss auf die Überwindung traditioneller Werte und auf die Akzeptanz der Rechtsstaatlichkeit."

Der Fall Großbritannien

Nicht nur auf dem Balkan kämpfen Frauen um ihr Erbe. In Großbritannien ist die Diskriminierung bei Erbschaftsangelegenheiten nach wie vor ein Thema, besonders in einigen muslimischen Gemeinschaften, und das obwohl sich verheiratete Frauen bereits vor 144 Jahren ihr Recht auf Erbschaft erkämpft haben.

Im Teesalon im Oberhaus erklärt Caroline Baroness Cox, 77, über das Klirren der Porzellantassen hinweg, sie wolle eine Stimme für die muslimischen Frauen des Landes sein, die in Scheidungs- und Erbangelegenheiten diskriminiert werden.

In Großbritannien gibt es etwa 80 Scharia-Gerichte, die sich weigern, die britischen Gesetze anzuerkennen, wenn es um Erbschaftsfragen geht, sagt sie. Sie hat ein Gesetz eingebracht, um diese Paralleljustiz zu verbieten.

"Sie [die muslimische Gemeinschaft] sollte die Gesetze dieses Landes und die Gesetze der Demokratie respektieren", so Cox.

Britische Adelstöchter können die Titel ihrer Väter nicht erben

Sie stellt die Teetasse zurück auf den Tisch und fügt mit dem durchdringenden Blick ihrer stahlblauen Augen hinzu: "In Großbritannien ist das Recht auf Seite der Frauen und sie sollten davon Gebrauch machen."

Diskriminierung gegenüber Frauen ist auch in einem völlig anderen Teil der britischen Gesellschaft ein Thema: der Aristokratie. 2013 verabschiedete Großbritannien ein neues Gesetz zur Thronfolge und beendete damit die Praxis, dass männliche Erben bei der Thronregelung bevorzugt behandelt werden. Britische Adelstöchter können jedoch nach wie vor nicht die Titel ihrer Väter erben.

Die preisgekrönte Gesundheitsjournalistin Victoria Lambert, die als Frau des Earl of Clancarty auch Countess ist, macht sich für Veränderung stark. Sie unterstützt ein parlamentarisches Gesetz, das die Gleichberechtigung von Mann und Frau in den für die Vererbung von Adelstiteln zuständigen Bestimmungen gesetzlich verankern soll.

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Victoria Lambert, Countess of Clancarty, unterstützt ein Gesetz im britischen Parlament, das es Töchtern erlauben soll, Adelstitel zu erben. Foto: Jeta Abazi

(Foto: Jeta Abazi)

Lambert hat ein starkes persönliches Interesse, da sie nur eine Tochter hat, Rowena, die den Familientitel nicht erben kann. Sie ist jedoch der Meinung, dass eine Änderung des Gesetzes eine noch weitreichendere Auswirkung haben und eine starke Botschaft an Familien im ganzen Land senden würde, die Frauen diskriminieren.

"Wenn wir die Tradition ändern können, wird sich diese Veränderung durch die gesamte Gesellschaft ziehen", meint Lambert in einem Kaffeehaus in der Londoner Innenstadt.

"Es geht um Fairness"

Ein früherer Versuch, das Gesetz zu ändern, hat es nicht durch das Parlament geschafft, aber Lambert beharrt darauf, dass der Kampf weitergehen werde.

"Es geht um Fairness", erklärt sie. "Ich kann nicht aufhören, es ist Zeit zum Umdenken."

Derselbe Wunsch nach Fairness treibt Frauen unter gänzlich anderen Umständen am anderen Ende Europas an zu kämpfen - darunter auch Shyhrete Berisha, in ihrem Kampf mit dem Gericht von Suhareke und mit der Familie ihres verstorbenen Mannes.

"Solange ich bei Bewusstsein bin, werde ich niemals aufgeben", ist Shyhrete überzeugt.

Jeta Abazi unterrichtet Journalismus an der Universität Pristina, zuvor arbeitete sie als Fernsehreporterin. Die Reportage "Frauen kämpfen um ihr Erbrecht" entstand im Rahmen des Balkan Fellowship for Journalistic Excellence, mit Untersützung der ERSTE Stiftung der Open Society Foundations und in Zusammenarbeit mit dem Balkan Investigative Reporting Network (BIRN). Der Text wurde beim Journalistenwettbewerb des Balkan-Fellowship-Programms mit dem Ersten Platz ausgezeichnet.

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