Anschlag auf "Charlie Hebdo":Die Terrorverbindungen der Kouachi-Brüder

  • Der jemenitische Ableger des Terrornetzwerks al-Qaida (AQAP) bekennt sich in einem Video zu dem Terrorangriff auf das französische Satiremagazin Charlie Hebdo, zuvor hatte sich die Gruppe bereits in einer schriftlichen Botschaft verantwortlich erklärt.
  • Offen ist, ob AQAP eine aktive Rolle gespielt hat. Das Ausmaß der Steuerung durch die Dschihadisten im Jemen untersuchen die Geheimdienste noch.
  • Offenbar waren beide Kouachi-Brüder Mitte 2011 über Oman nach Jemen gereist, um in einem Al-Qaida-Lager zu trainieren.

Von Paul-Anton Krüger, Kairo

Jemenitischer Al-Qaida-Ableger bekennt sich zu Anschlägen

Jemens Präsident Abd Rabbo Mansur Hadi sah sich zu einer Klarstellung genötigt. Sein Land sei kein Exporteur von Terrorismus, versicherte er dem französischen Botschafter in Sanaa, es sei selbst Opfer der Terrorismus. Als Beleg führte er das Selbstmordattentat auf die Polizeiakademie in der Hauptstadt an, bei dem nur wenige Stunden vor dem Angriff auf Charlie Hebdo 37 Menschen getötet worden waren. Hinter der Attacke, die sich in eine ganze Serie von Attentaten in den vergangenen Wochen einreiht, vermuten die Behörden al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel, auch bekannt unter dem englischen Akronym AQAP.

Es ist diese aktivste Filiale des Terrornetzwerks, bei der offenbar Saïd Kouachi und auch sein Bruder Chérif den Umgang mit der Waffe lernten. An diesem Mittwoch veröffentlichte die Gruppe im Internet ein Video, in dem sie sich zu dem Terrorangriff auf das französische Satiremagazin bekennt. Zuvor hatte sie bereits in einer schriftlichen Botschaft erklärt, der Angriff sei von der AQAP-Führung gesteuert worden.

Authentizität und vor allem der Inhalt der Statements sind bisher nicht bestätigt: AQAP könnte - ohne eine aktive Rolle gespielt zu haben - den Anschlag für sich in Anspruch nehmen, um im Wettstreit um die Führungsposition im internationalen Dschihadismus verlorenes Terrain gegenüber dem Islamischen Staat (IS) gutzumachen, der in Irak und Syrien aktiv ist.

Kouachi-Brüder trainierten im Jemen

Das Ausmaß an Steuerung durch die Dschihadisten im Jemen untersuchen die Geheimdienste noch - sie halten es für möglich, dass der Auftrag für den Mord an den Karikaturisten von dort kam, belastbare Indizien dafür gibt es allerdings bisher nicht, wie US-Justizminister Eric Holder Anfang der Woche sagte. Klarer dagegen ist inzwischen, dass offenbar beide Kouachi-Brüder Mitte 2011 über Oman nach Jemen gereist waren und in einem Al-Qaida-Lager im Wadi Adiba bei Marib trainiert wurden, 100 Kilometer östlich von Sanaa.

Jemenitischen Sicherheitskreisen zufolge reisten sie am 25. Juli nach Oman ein, wurden über die Grenze geschmuggelt und kehrten am 15. August nach Frankreich zurück. Zur damaligen Zeit hatten die Dschihadisten im Jemen das Machtvakuum genutzt, das im Zuge der Proteste gegen Präsident Ali Abdullah Salih entstand, um Gebiete im Süden des Landes unter ihre Kontrolle zu bringen; im Gouvernement Abyan riefen sie ein Islamisches Emirat aus. Westliche Geheimdienste schließen auch nicht aus, dass die Kouachi-Brüder an der Seite anderer ausländischer Kämpfer vorwiegend aus Saudi-Arabien, Algerien und Somalia für AQAP an einzelnen Terroroperationen teilgenommen haben.

Saïd Kouachi traf Al-Qaida-Chefideologen Anwar al-Awlaki

Sicherheitskreise in Jemen sind sich zudem ziemlich sicher, dass zumindest Saïd, der ältere der beiden, während seines Aufenthaltes den in den USA geborenen Prediger Anwar al-Awlaki im benachbarten Gouvernement Schabwa begegnet ist, der Heimat von dessen jemenitischer Familie. Auch Chérif Kouachi hatte während der Flucht in einem Telefonat mit einem französischen TV-Sender von einem Treffen mit dem Prediger gesprochen: "Scheich Anwar al-Awlaki hat meine Reise finanziert", fügte er hinzu.

Der eloquente Spiritus Rector von al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel und wohl erfolgreichste Rekrutierer des Terrornetzwerks hatte zusammen mit seinem ebenfalls mit einer US-Staatsbürgerschaft ausgestatten Adlatus Samir Khan die Gruppe mit seinen Video-Auftritten ins Youtube-Zeitalter katapultiert und die Anziehungskraft von AQAP für ausländische Kämpfer vervielfacht. Die beiden begründeten das englischsprachige Hochglanzmagazin Inspire, in dessen erster Ausgabe bereits dazu aufgerufen wurde, Karikaturisten zu töten, die den Propheten Mohammed lächerlich machten. Die beiden wurden im September 2011 durch einen US-Drohnenangriff getötet. Anfang 2013 rief ihre Dschihadisten-Postille dann namentlich zum Mord an Charlie-Hebdo-Chef Stéphane Charbonnier auf.

Awlaki soll Inspiration und Anleitung für eine Reihe von Attentaten gegen westliche Ziele gegeben haben. Ihm zugeschrieben wird etwa der Versuch, im Oktober 2010 mit Sprengstoff präparierte Laserdrucker-Kartuschen an Bord von Frachtflugzeugen über den USA zu zünden sowie eine Messerattacke auf einen britischen Abgeordneten im Mai des gleichen Jahres.

Auch der sogenannte Unterhosenbomber, Umar Farouk Abdulmutallab, der am Weihnachtstag 2009 versucht hatte, ein Passagierflugzeug der Northwest Airlines auf dem Weg nach Detroit mit in seiner Unterwäsche eingenähtem Sprengstoff zum Absturz zu bringen, hatte ihn mehrmals getroffen. Später erzählte er dem FBI, Awlaki habe das Attentat genehmigt und mit angeleitet. Ein jemenitischer Journalist, der Abdulmutallabs Vorleben in Sanaa recherchiert hat, behauptet, Saïd Kouachi habe mit dem Attentäter bei einem früheren Aufenthalt in Sanaa im Jahr 2009 die Unterkunft geteilt, als sie die selbe, als Treffpunkt militanter Islamisten bekannte Sprachschule besuchten; er beruft sich dabei auf ein Interview mit Kouachi im Jahr 2010 in Sanaa.

Inspiration über den Tod hinaus

Die Geheimdienste versuchen nun herauszufinden, ob die Kouachi-Brüder womöglich einen konkreten Auftrag aus ihrer Zeit in Jemen hatten und solange als Schläfer stillhielten, bis die französischen Behörden das Interesse an ihnen verloren hatten - oder ob sie doch aus eigenem Antrieb handelten.

Dass Awlaki und Khan über ihren Tod hinaus Terroristen als Inspiration dienten, zeigte sich auf grausame Weise beim Anschlag auf den Boston-Marathon im April 2013: Die Tsarnaev-Brüder hatten ihre Kochtopf-Bomben nach einer Anleitung aus dem Inspire-Magazin gebaut. Ob die alten Terror-Strukturen in Jemen zumindest noch in Teilen weiterhin bestehen, ist dagegen nicht sicher. Die jemenitischen Sicherheitsbehörden haben nach eigenen Angaben keine Kommunikation mehr zwischen den Brüdern und AQAP registriert, seitdem diese Jemen 2011 verlassen hatten. Unklar bleibt daher, wen oder was die Kouachis genau meinten, als sie sich bei ihren Taten auf al-Qaida im Jemen beriefen.

Al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel, bereits im Januar 2009 aus dem Zusammenschluss der Zweige in Saudi-Arabien und Jemen entstanden, war nach einer Offensive der jemenitischen Regierung und einer Serie von Drohnenangriffen der Amerikaner im Jahr 2012 massiv unter Druck geraten, hatte aber weiterhin schwerste Anschläge in dem Land verübt, darunter 2012 ein Selbstmordattentat auf eine Parade zum Nationalfeiertag mit 120 Toten. Im Dezember 2013 griff die Gruppe in einer koordinierten Operation das Verteidigungsministerium im Zentrum von Sanaa an und tötete 56 Menschen.

AQAP zieht wieder mehr ausländische Kämpfer an

Im vergangenen Jahr verzeichnete AQAP nach dem Vorrücken schiitischer Houthi-Milizen neuen Zulauf und wird von einigen sunnitischen Stämmen in deren Gebieten geduldet. Seit die Houthis im September 2014 die Hauptstadt überrannten, verübten die sunnitischen Extremisten mehr als 150 Attacken in 14 der 21 Gouvernements, Sanaa mitgezählt. Sie griffen die Sicherheitskräfte an, zudem die Houthi-Kämpfer, aber auch westliche Ziele, wie die US-Botschaft.

Experten wie Bill Roggio vom Long War Journal, einem Internet-Portal, das Aktivitäten islamistischer Terrorgruppen dokumentiert, sehen mit den militärischen Erfolgen al-Qaidas im Jemen auch die Bedrohung für den Westen wachsen: AQAP habe nicht nur einen Weg gefunden, sich auf die US-Drohnenschläge einzustellen, sondern mache wie schon 2011 Geländegewinne und ziehe wieder mehr ausländische Kämpfer an, sagt er. Die lokale Unterstützung, die den Kämpfern Rückzugsgebiete gewährt, sei der Schlüssel dafür, Anschläge jenseits der Grenzen Jemens verüben zu können - in der jüngsten Inspire-Ausgabe wird zum Dschihad gegen Amerika aufgerufen und zu neuen Attentaten auf Flugzeuge westlicher Airlines. Ausdrücklich ist die Rede von Attacken einsamer Wölfe - Militanten, die in ihre Heimatländer im Westen zurückgekehrt sind - so wie die Kouachi-Brüder in Frankreich.

Keine Anzeichen für Allianz zwischen IS und al-Qaida

Anzeichen für eine gemeinsame Planung der Anschläge von Paris durch al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel und der konkurrierenden Terrormiliz Islamischer Staat sehen die Geheimdienste bislang nicht, geschweige denn eine Allianz zwischen ihnen. Spekulationen darüber hatte der dritte Attentäter von Paris, Amedy Coulibaly, ausgelöst, der sich in einem für authentisch erachteten Video zum selbsternannten Kalifen Abu Bakr al-Baghdadi bekannte. Die persönlichen Verbindungen zwischen den Attentätern reichen allerdings in eine Zeit zurück, in der die beiden Organisationen noch nicht in offener Konkurrenz zueinander standen. Die Ermittler halten es für wahrscheinlich, dass es lediglich Absprachen zwischen den Tätern gab, nicht zwischen den Gruppen, denen sie sich zugehörig fühlten.

Allerdings sehen westliche Geheimdienste die größten Sympathien für den IS in den Reihen von al-Qaida bei deren jemenitischer Filiale. Mehrmals hatte die im Sommer 2014 in Videobotschaften ihre Unterstützung für die Dschihadisten im Irak erklärt. Als jedoch Baghdadi im November die Ausweitung seines Kalifats auf Jemen und Saudi-Arabien verkündete und damit einhergehend die Auflösung anderer dschihadistischer Gruppen forderte, zog dies heftige Reaktionen al-Qaidas nach sich. AQAPs spiritueller Führer Harith bin Ghazi al-Nadhiri sprach ihm die Legitimation ab und bekräftigte den Treueschwur zu Al-Qaida-Führer Aiman al-Sawahiri, der in Pakistan vermutet wird.

Alte Loyalitäten zur Kernzelle al-Qaida

Der Emir der jemenitischen al-Qaida, Nasser al-Wuhaischi, einst Osama bin Ladens persönlicher Sekretär in Afghanistan, soll zuvor versucht haben zu vermitteln zwischen jenen, die den IS auch wegen seiner extrem brutalen Taktiken ablehnten und anderen, die das militärische Vorgehen des IS im Irak und Syrien als Modell für AQAPs Kampf gegen die Armee im Jemen sahen. Den Ausschlag für die Treuebekundungen zu Sawahiri haben demnach vor allem alte Loyalitäten zur Kernzelle der al-Qaida gegeben.

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