Kinofilm über die Abfahrt in Kitzbühel:Fall ins Bodenlose

Streif - One Hell of a Ride

Wie Skispringen, nur ohne Schanze: Der Schweizer Didier Cuche hebt im Januar 2010 an der berühmten Hausbergkante ab.

(Foto: Herbert Neubauer/dpa)

Zum 75. Jubiläum der legendären Abfahrt in Kitzbühel kommt "Streif - One Hell of a Ride" in die Kinos. Der Film verklärt den Mythos nicht, er erklärt ihn - und lässt viel Raum für die Verletzlichkeit der Athleten.

Von Johannes Knuth

Am Anfang ist die Stille. Wenn sich die Skirennfahrer ins Starthaus in Kitzbühel schieben, kurz bevor sie sich die Abfahrtspiste, die "Streif", herunterstürzen, dann ist es so ruhig wie sonst nirgendwo im Skizirkus, heißt es. "Bei meinem ersten Mal", erinnert sich der Schweizer Didier Cuche zu Beginn des Films "Streif - One Hell of a Ride", "wäre ich am liebsten wieder rückwärts aus dem Starthaus rausgekrochen."

Im alpinen Skisport ist oft von sogenannten Klassikern die Rede, aber Kitzbühel ist natürlich mehr. Kitzbühel ist ein Mythos, sagen sie, nicht nur in Kitzbühel, es ist ja unbestritten: Das Rennen am Hahnenkamm ist eine große Herausforderung, begleitet von einem großen Spektakel. An nur einem Rennwochenende kommen 100 000 Zuschauer, die Organisatoren schütten diesmal 620 000 Euro Preisgeld aus, mehr als überall sonst im Skizirkus. Am kommenden Wochenende tragen sie das Rennen zum 75. Mal aus, und ein Jubiläum erfordert natürlich besondere Maßnahmen. Die Regisseure Gerald Salmina und Tom Dauer haben einen Film gedreht, "Streif - One Hell of a Ride" heißt er, am 15. Januar kommt er in die deutschen Kinos. Die Streif, ein Höllenritt.

Salmina und Dauer begleiten fünf Rennfahrer bei ihrer Vorbereitung auf das Rennen vom Vorjahr, darunter Aksel Lund Svindal und Hannes Reichelt, den späteren Sieger. Sie versuchen, einen Mythos zu ergründen. Herausgekommen ist irgendetwas zwischen Dokumentation, Sportfilm und monumentaler Bilderflut - natürlich unterstützt von Red Bull. Harte Kerle, Action, das passt bestens in das Portfolio des Brause-Imperiums. Wobei es nicht Produktplatzierungen und Hochglanzbilder sind, die den Film sehenswert machen. Sondern, wie die Regisseure die Beziehung zwischen Fahrern und der wohl gefährlichsten Piste der Welt ausleuchten. "Die Streif hat Leute zerstört", sagt der ehemalige Kitzbühel-Sieger Daron Rahlves in den Anfangsminuten, "sie hat Leute aber auch auf ein neues Level gehoben."

Er habe sich beim Berg "bedankt", sagte Didier Cuche

Es gibt steilere Hänge, fiesere Kurven als jene auf der "Streif", und doch ist die Piste extremer als alle anderen. Sie verknüpft lauter Gemeinheiten zu einer großen Gemeinheit. Salmina nimmt den Zuschauer mit auf eine Fahrt durch die Mausefalle, wo die Fahrer ins Bodenlose fallen, es geht atemlos weiter, durch Kompression, Steilhang, Karussell, Traverse, zwei Minuten lang. Jede Fahrt ist mehr als sonst eine Kunst darin, die eigenen Bedenken auszutricksen. "Du musst Mut aufbringen für etwas, vor dem du Angst hast", sagt Svindal. Wer in Kitzbühel einen Fehler macht, der scheidet nicht aus, er riskiert oft automatisch sein Leben. Zuletzt verlor der Österreicher Hans Grugger 2011 während des Trainings beim Sprung in der Mausefalle das Gleichgewicht, er prallte derart hart auf das blanke Eis, dass er zwei Wochen lang im Koma um sein Leben kämpfte. 15 Monate später beendete er seine Karriere.

Die Streif, sie ist der Hauptdarsteller in Salminas Film. Sie ist Agonist und Antagonist, sie kann ja beides: Leute zerstören, Leute auf ein neues Level heben.

Zum Beispiel Didier Cuche. Die Regisseure lassen ihn erzählen von seiner ersten Fahrt, von seiner Angst im Starthaus, von seinen Siegen, vor allem aber von seinem letzten Auftritt im Januar 2012. Es sind diese Momente, in denen der Film seine größte Kraft entwickelt. "Fast jedes Jahr nimmt sich die Streif einen. Du denkst, dass du der nächste sein könntest", sagt Cuche. Er kam dann unten an, Cuche gewann zum fünften Mal, Rekord. "Ich habe mich beim Berg bedankt", erinnert er sich.

Daniel Albrecht, ein Opfer

Vermutlich entwickeln die Fahrer auch deshalb derart starke Bindungen zu diesem Berg, vermutlich ist der Ruhm, der den heimischen Siegern hier zuteil wird, nirgends größer. Für Hermann Maier zum Beispiel, der nach einem Motorradunfall 2001 beinahe ein Bein verlor, zwei Jahre später sensationell den Super-G gewann. Oder für Franz Klammer, dem die Fans 1984, nachdem er zum vierten Mal in Kitzbühel gewonnen hatte, zujubelten wie auf einem Konzert der Beatles.

Die Streif kann Leben auf ein neues Level heben. Oder Leben zerstören.

Zum Beispiel Daniel Albrecht. Der Schweizer beging 2009 einen kleinen Fahrfehler im Zielhang, er prallte mit dem Rücken aufs nackte Eis. Als er im Krankenhaus aufwachte, war es, als ob jemand eine Löschtaste gedrückt hatte. Albrecht erkannte seine Angehörigen nicht, er musste seine Sprache neu lernen, das Skifahren, die Sprache. Es gibt eine Szene im Film, in der Albrecht am Rennwochenende nach Kitzbühel zurückkehrt. Die Fahrer begrüßen ihn freundlich, aber reserviert, sie wissen: Sie könnten die nächsten sein.

"Streif - One Hell of a Ride" bastelt zwar auch am Mythos der "Streif", doch er verklärt nicht, er erklärt: dass Skisport ein fortwährendes Risiko ist, dass sich die Fahrer Kräften aussetzen, denen sie oft nicht gewachsen sind. Der Film gibt der Verletzlichkeit, den Zweifeln viel Raum. Und das ist durchaus beachtlich bei einer Dokumentation über ein Rennen, bei dem die Gefahr das größte Verkaufsargument ist.

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