Arbeitsorganisation:Ordnung muss rein

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Ob energetische Modernisierung, technische Standards, Mietrecht oder Digitalisierung: Die Anforderungen an Verwalter werden immer höher.

(Foto: imago)

Papierberge, viele bunte Stifte und E-Mail-Postfächer, die überquellen: Chaos im Büro hält uns von der Arbeit ab, kostet Zeit - und es nervt. Dabei ginge es auch ganz anders. Ein Besuch bei Menschen mit System.

Von Hannes Vollmuth

Auf dem Tisch stehen zwei Bildschirme. Davor die Tastatur, die Maus, ein Tischkalender, ein Namensschild. In der Ablage: ein Blatt. Die andere Ablage: leer. Das ist alles. Das ist der Schreibtisch von Daniel Böhm.

Ups, ganz schön kahl

"Wenn auf dem Schreibtisch nichts herumliegt, kann mich nichts ablenken." So sieht es Böhm, 25 und Versuchstechniker bei Continental in Roding, Ostbayern. Am Anfang, kurz nach dem Aufräumen und Ordnen, hatte er noch gedacht: "Ups, ganz schön kahl." Aber nach ein paar Wochen fühlte er sich wohl - und schaffte sogar mehr Berichte als in den alten, chaotischen Zeiten, als er noch nichts wusste vom Ordnungssystem 5S.

Nicht jedem geht es schon wie Daniel Böhm. Die Realität in deutschen Büros sieht anders aus: Auf dem Schreibtisch türmt sich Papier, und in den Schubfächern lagert der Müll. Wenn es noch einen funktionierenden Kugelschreiber gibt, dann schluckt ihn garantiert das Chaos. Und der Computer-Desktop wirkt, als habe ihn jemand mit Dateien tapeziert.

Das Geheimnis der Ordnung: 5S

Das Chaos raubt unsere Arbeitszeit, und zwar ein ganzes Drittel. So beschreiben es zumindest das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung in Stuttgart zusammen mit dem Kaizen Institute in Bad Homburg in der Studie "Lean Office 2006". Der größte Bremsklotz: mangelnde Abstimmung und das Suchen von Information.

Weil Zeit auch Geld kostet, erfand schon 1991 der Toyota-Chef Takashi Osada das Ordnungssystem 5S. In Fabrikhallen auf der ganzen Welt ist 5S Standard, jetzt erreicht es das Büro. Wer damit arbeitet, muss nicht mehr suchen, spart sich Wege, kann sich wieder konzentrieren und erledigt schneller seine Arbeit. So lautet das Versprechen. Könnte es also allen so gehen wie Daniel Böhm?

"Ganz am Anfang", sagt Hermann Wagner, "ist der Widerstand natürlich groß." Wagner läuft mit schnellen Schritten durch das Großraumbüro von Continental in Roding: Schreibtische, Drucker, Büroschränke, Zimmerpflanzen, Rollcontainer. Wagner arbeitet für das Kaizen Institute und berät Unternehmen. Jeden dritten Einsatz macht er für 5S, Bedarf gibt es genug. "Sogar Kreativ-Arbeiter", sagt Wagner, "die leiden auch unter ihrem Chaos."

Nur im Büro mosern alle am Anfang

Natürlich hat sich auch bei Continental niemand ums Aufräumen gerissen. Wagner kennt das, immer dasselbe: "Wer ordnet, ist zu faul zum Suchen", sagen sie in ganz Deutschland zu ihm. Oder sie fragen: "Soll ich jetzt meinen Kugelschreiber nach Norden ausrichten?" In Fabrikhallen kapieren sie sofort die Idee hinter 5S: kein Müll an den Maschinen und der Bohrer immer am selben Platz. "Nur im Büro", sagt Wagner, "mosern alle am Anfang".

5S leitet sich ab von den Anfangsbuchstaben der japanischen Begriffe seiri, seiton, seiso, seiketsu und shitsuke. Was ins Deutsche übertragen heißt: Sortieren, Systematisieren, Sauberkeit, Standardisieren, Selbstdisziplin. Jeder der Begriffe ist eine Stufe, das Ganze ein Prozess von etwa einem Jahr. Was erst mal sperrig klingt, ist eigentlich ziemlich praxisnah, versichern 5S-Experten "Es ist einfach, es ist total einfach, und es ist effektiv", sagt Wagner.

Mit dem ersten S, dem Sortieren, flogen in Roding gleich mal vier Tonnen Schrott auf den Müll: Telefonbücher aus den Neunzigern, Fieberthermometer, ausgedruckte Mails und Massen kaputter Stifte, sogar ein Strip-Dollar aus New York war dabei. Wagner, der 5S-Coach, sagt: "Wer sucht, der arbeitet nicht."

Ein Materialschrank wie ein Schreibwarengeschäft

Suchen und finden: Natürlich hat das auch bei Daniel Böhm viel Zeit gefressen, früher. Böhm sitzt an seinem kargen Schreibtisch und wippt mit dem Stuhl. "Manchmal habe ich sogar Stunden gesucht", sagt Böhm und zieht seinen Rollcontainer auf. Darin: elf Stifte auf schwarzen Anti-Rutschmatten, drei Textmarker, ein Enthefter, eine Schere, ein Kleberoller, ein Radiergummi, ein USB-Stick - mehr nicht. Auch hinter dem Schreibtisch: nichts. Früher schlängelten sich dort die Kabel. "Ich finde jetzt tatsächlich alles, was ich suche", sagt Böhm, "besser gesagt, ich suche gar nicht mehr."

Nach dem ersten S wie Sortieren kommt zweitens: Systematisieren. Dann drittens: Sauberkeit. Und schließlich das vierte S, die Standards. Bei Continental haben sie jetzt einen Materialschrank, der aussieht wie aus dem Schreibwarengeschäft. Es gibt Regeln, nach denen Dateien benannt werden. Und Regeln, wer in einer Mail cc gesetzt wird. Es gibt Paten für die Drucker, und Paten für die Laufwerke im Netzwerk. Sogar ein Farbsystem für Chef-Mails gibt es hier.

Das Chaos auf Computer und Laufwerken ist ein Riesenproblem

"Die Unordnung ist ja nicht nur auf dem Schreibtisch oder in den Schränken", sagt Josef Wigger, der für das Bildungswerk der Bayerischen Wirtschaft 5S-Kurse gibt. "Das Chaos ist auch auf dem Computer und den Laufwerken." Outlook zum Beispiel, sagt Wigger - "ein Riesenproblem."

Aber es gibt auch Erfolge: Bei Nordan, einem norwegischen Unternehmen, verdoppelte sich der operative Gewinn von fünf auf zehn Prozent, der Hauptgrund war 5S. In den USA konnten 5S-Unternehmen ihre Schreibarbeit um 40 Prozent reduzieren. Und wenn bei Continental in Roding ein Kunde zur Besichtigung kommt, reichen 15 Minuten zur Vorbereitung des Standorts, früher war es ein Tag.

Selbstdisziplin - ein Wort wie ein Peitschenhieb

Natürlich kann man 5S auch übertreiben, das Ordnen und Sortieren, das mit der Sauberkeit und den Standards - zum Beispiel für die Stelle auf dem Schreibtisch, an der die Kaffeetasse zu stehen hat, vielleicht noch mit einem Farbkreis. 5S-Trainer reden deshalb von "gesundem Menschenverstand" und "Hirn einschalten". Das größte Problem liegt aber woanders, bei Phase fünf: Selbstdisziplin, ein Wort wie ein Peitschenhieb, es wird anstrengend. Auch bei 5S geht am Ende nichts ohne Selbstdisziplin, leider.

Aber wer mit den Trainern und Buchautoren spricht, mit Mitarbeitern und Abteilungsleitern, wer Beschriftungssysteme, Farbmarkierungen und Materialschränke bei Continental in Roding gesehen hat, der muss zugeben: Die Idee von 5S macht Sinn. "Weniger Wege, weniger Suchen und weniger Konflikte mit den Mitarbeitern", sagt Wigger vom Bildungswerk der Bayerischen Wirtschaft. "Die Menschen sind zufriedener und konzentrieren sich jetzt auf das Wesentliche." Schreibtisch, Büro, Computer, sogar den Geist soll 5S befreien. Nur bei einer Sache muss man wirklich aufpassen. "5S steckt an, auch privat", verrät ein Trainer. Garage, Küche, Werkstatt, Hobbykeller, man kann gar nicht mehr aufhören mit dem Ordnen und Sortieren. Und selbst seine Frau sagt schon zu ihm: "Schatz, die Aktentasche im Flur, da hast du einen Standard verletzt."

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