Aussagen zum Islam in Deutschland:Merkels Rückwärts-Rhetorik

Angela Merkel

Erteilte der Islamophobie, die anderen nur als Vehikel für Unzufriedenheiten dient, eine deutliche Absage: Kanzlerin Angela Merkel.

(Foto: Getty Images)

"Der Islam gehört zu Deutschland" - mit dem bekannten Satz von Ex-Bundespräsident Wulff erteilt Kanzlerin Merkel der Islamfeindlichkeit eine Absage. Dabei ist die Aussage im Grunde überholt. Treffender formuliert es Bundespräsident Gauck.

Kommentar von Nico Fried

Zwei Aussagen hat Angela Merkel in den vergangenen Tagen betont. Zum einen bekräftigte sie den Satz des früheren Bundespräsidenten Christian Wulff, der Islam gehöre zu Deutschland. Zum anderen fügte sie beim Besuch des türkischen Ministerpräsidenten hinzu, sie sei die Kanzlerin aller Deutschen, egal welcher Herkunft. Wer allerdings gesehen hat, wie viele Unions-Abgeordnete am Donnerstag nach Merkels Wiederholung der ersten Aussage den Beifall verweigerten, der kann sich der Gültigkeit der zweiten Aussage nicht mehr ganz sicher sein.

Genau genommen ist der Satz, der Islam gehöre zu Deutschland, fast so alt wie die Kanzlerschaft Merkels. Ihr erster Innenminister Wolfgang Schäuble eröffnete 2006 die Auftaktsitzung der von ihm initiierten Islam-Konferenz mit der identischen Aussage in einer vergleichbaren Formulierung: "Der Islam ist ein Teil Deutschlands und Europas." 2010 prägte dann der damalige Bundespräsident Christian Wulff das viel diskutierte Original, auf das sich auch Angela Merkel inzwischen mehrere Male bezogen hat.

Es ist einerseits beachtlich, dass die Kanzlerin trotz der großen Vorbehalte in den eigenen Reihen dieser Festlegung nicht ausweicht. Merkels Position offenbarte sich schon in ihrer Neujahrsansprache. Darin erteilte sie unreflektierter Islamophobie, die zudem nur als Vehikel für andere Unzufriedenheiten dient, eine deutliche Absage. An diesem Punkt ist Merkel, die nicht selten für ihre Anpassungsfähigkeit an politische Opportunitäten kritisiert wird, mittlerweile ähnlich prinzipientreu wie in ihrer Loyalität zu Israel - obgleich beide Grundsätze hierzulande wohl weniger populär sind als die Kanzlerin selbst.

Die Diskussion über diesen Begriff ist rückwärtsgewandt

Das Problem besteht darin, dass Wulffs Satz eigentlich überholt ist. Nicht weil er falsch wäre, sondern weil er zu statisch wirkt. "Der Islam gehört zu Deutschland", das ist eine Zustandsbeschreibung, eine Feststellung, mit der die Entwicklung und die Veränderung der vergangenen Jahrzehnte zusammengefasst werden. Deshalb ist auch die Diskussion über diesen Begriff vor allem rückwärtsgewandt und bewegt sich im Grunde seit Jahren auf der Stelle. Kurzum: Der Satz, den Merkel - wie man unterstellen darf - in integrativer Absicht nutzt, schadet ihrer Intention nicht, er fördert sie aber auch nicht erkennbar.

Merkel selbst hat in ihrer Rede im Bundestag beschrieben, dass in Deutschland viele Menschen dem Islam unsicher, manchmal auch ratlos begegnen. Darin steckt zum einen die Aufforderung an die Muslime hierzulande, sich zu öffnen und zu erklären. Es kann aber auch eine Ermutigung der anderen Seite sein, auf Muslime mit mehr Interesse zuzugehen. Wulffs Satz hat seine Verdienste. Mittlerweile aber beschreiben die Worte des amtierenden Bundespräsidenten Joachim Gauck, wonach die Muslime, die hier leben, zu Deutschland gehören, die Aufgabe der gegenseitigen Integration treffender. Denn sie stellen Individuen in den Vordergrund, und nicht ein diffuses Ganzes.

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