Toter Flüchtling in Dresden:"Wir sehen den Hass in den Augen der Menschen"

Spekulationen um Tod eines Afrikaners in Dresden

Der Dresdener Stadtteil Leubnitz-Neuostra: Hier starb gewaltsam ein 20-jähriger Flüchtling.

(Foto: dpa)

Ausgerechnet Dresden. In einer Plattenbausiedlung stirbt hier der Flüchtling Khaled B. durch Messerstiche - wenige Kilometer entfernt demonstriert Pegida allmontaglich gegen Überfremdung. Die Stadt muss sich Fragen gefallen lassen.

Von Ulrike Nimz, Dresden

Leubnitz-Neuostra ist grau, auch an Sonnentagen. Das Plattenbauareal im Südosten Dresdens zählt mit seinen Sechsgeschossern und den schmalen Grünstreifen nicht zu den Vorzeigevierteln der einstigen Residenzstadt. Viele Wohnungen stehen leer, die Balkons bröckeln, in einigen hängen Deutschlandfahnen.

In einem Innenhof an der Johannes-Paul-Thilman-Straße liegt eine einzelne weiße Rose auf zerdrücktem Gras. "RIP Khalid" hat jemand an eine Häuserwand gesprüht. Dienstagfrüh ist Khaled B. an dieser Stelle gefunden worden, leblos, nur wenige Meter von dem Haus entfernt, in dem er eine Vier-Raum-Wohnung mit sieben anderen Flüchtlingen aus Eritrea bewohnte. Es gibt ein Foto von ihm - es zeigt einen schmalen dunkelhäutigen Mann in grauer Fleecejacke.

Khaled B. ist erstochen worden, das geht aus dem Obduktionsbericht der Polizei hervor. Was genau passiert ist, ist unklar. Die Kriminalpolizei verhört derzeit hauptsächlich junge Männer aus dem Bekanntenkreis des Opfers. Es werden Zeugen gesucht.

Wer sich umhört im Viertel, der erfährt allerdings, dass hier nicht die Flüchtlinge für Brutalität bekannt sind. Eine Anwohnerin, die seit 1988 im ersten Stock des Nachbarhauses wohnt, berichtet von gewalttätigen Jugendlichen - Deutschen. "Die dealen hier mit Crystal und haben mir den Balkon angezündet." Bis vor Kurzem habe eine Familie aus Syrien nebenan gewohnt. "Die mussten nach Döbeln ziehen, die waren hier nicht mehr sicher." Ein älterer Mann kommt hinzu, berichtet davon, dass Khaled B. nicht der erste Tote im Viertel gewesen sei: "Vor Kurzem haben sie einen Russen in seiner Wohnung gefunden - erhängt - der hing da drei Monate."

Kaputte Jalousien, zwei Betten pro Zimmer, Zigarettenrauch

Die Wohnung von Khaled B. liegt im zweiten Stock. Vor den Fenstern kaputte Jalousien, in jedem Zimmer zwei Betten, Zigarettenrauch hängt in der Luft. Elf junge Männer sitzen dicht gedrängt um einen schmalen Tisch, nur einer von ihnen spricht ein wenig Englisch, die anderen Tigrinya und Arabisch. Khaled I. sei in Eritrea geboren, später in den Sudan und dann nach Deutschland geflüchtet, der Vater tot, berichten sie. Ab und an habe I. in Dresden die Moschee besucht.

Die Männer sind aufgewühlt, weil sie die Leiche ihres Freundes gesehen haben, der Körper bereits steif und mit sichtbaren Verletzungen. Doch die Polizei habe das Blut einfach weggewischt. "Khaled hat niemandem etwas getan", sagen sie. "Aber wir sehen den Hass in den Augen der Menschen, jeden Tag. Wir wollen hier weg. Schaut, wie wir leben müssen."

Der gewaltsame und ungeklärte Tod des Asylbewerbers Khaled B. ist das Worst-Case-Szenario für Dresden. Das ganze Land weiß, was hier am Montagabend passiert. Seit Wochen gehen in der sächsischen Landeshauptstadt Tausende "besorgte Bürger" auf die Straße, um gegen eine vermeintliche "Islamisierung des Abendlandes" zu protestieren. Pegida-Ableger gibt es auch in anderen Städten Deutschlands, aber nirgendwo sind es so viele wie in Dresden. Stetig bekommt die Bewegung Zulauf, aus anderen Regionen Sachsens, anderen Bundesländern, zuletzt wehten auf der Kundgebung vereinzelt schwedische und norwegische Flaggen.

Montags wird das Haus nicht verlassen

Als Khaled B. am Montagabend kurz vor 20 Uhr die Unterkunft verließ, um im Supermarkt auf der anderen Straßenseite noch etwas einzukaufen, schrien vier Kilometer entfernt 25 000 Menschen "Wir sind das Volk". Dass die Netzgemeinde sofort nach Bekanntwerden der Tat über ein fremdenfeindliches Motiv spekulierte, mag ein Reflex, voreilig und falsch sein, aber es zeigt, wie es momentan um das gesellschaftliche Klima in Dresden bestellt ist.

Die Männer, die sich mit Khaled B. eine Wohnung teilten, verlassen an Montagen schon lange nicht mehr das Haus, sagen sie. Denn obwohl sie kein Deutsch sprechen, Sätze wie "Wir sind das Volk" nicht verstehen, spüren sie doch, dass die Menschen mit den Deutschlandflaggen ihnen nicht wohlgesonnen sind.

Als wäre das alles einem "Tatort"-Drehbuch entsprungen

Wer im Fall Khaled B. auf Reflexe zu sprechen kommt, auf unüberlegtes Handeln, der muss auch über die Dresdner Polizei sprechen. Tatsächlich schlossen die Beamten kurz nach Auffinden der Leiche eine "Fremdeinwirkung" aus, hielten einen Suizid oder einen Unfall für wahrscheinlich. Erst die Dresdner Morgenpost machte öffentlich, dass die Mordkommission die Ermittlungen aufgenommen hatte. Dresdens Polizeipräsident Dieter Kroll sprach mit dem Boulevardblatt offenbar Klartext, während sein Sprecher gegenüber anderen Medien noch dementierte.

Am Mittwoch wurde die Leiche von Khaled B. obduziert. Ergebnis: Der 20-Jährige ist "durch mehrere Messerstiche in den Hals- und Brustbereich zu Tode gekommen". Kroll war es dann auch, der gestern im Innenausschuss des Sächsischen Landtages Fehler einräumte: Die Beamten vor Ort hätten eine Stichwunde zunächst für einen offenen Schlüsselbeinbruch gehalten. Mittlerweile hat die Polizei das Operative Abwehrzentrum (OAZ) eingeschaltet, eine Sondereinheit, die auf Fälle mit rechtsextremem Hintergrund spezialisiert ist.

Der Tod von Khaled B. - ein Rätsel, heißt es in einigen Zeitungen und Nachrichtenportalen, so als wäre das alles einem "Tatort"-Drehbuch entsprungen. Nur lässt der Fall von Khaled B., anders als der Sonntagabendkrimi, Fragen offen. Warum Polizisten eine Gewalttat ausschließen, wenn ein Mensch in einer Blutlache liegt. Warum eine gründliche Spurensicherung erst Stunden nach dem Leichenfund erfolgte. Und nicht zuletzt warum niemand etwas gehört oder gesehen haben will, trotz der vielen Fenster und Balkone.

Das sind die Rätsel, die es in Dresden zu lösen gilt.

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