Folgen der Franken-Aufwertung:Gigantischer Winterschlussverkauf

A traffic sign is pictured in front of a border crossing between the German town of Konstanz and the Swiss town of Kreuzlingen

Grenze zur Schweiz: Szene aus Konstanz

(Foto: REUTERS)
  • Die Schweizerische Nationalbank hat den Mindestkurs von 1,20 Franken je Euro aufgehoben und damit für eine deutliche Aufwertung der Währung gesorgt.
  • Anleger, Exporteure und Urlauber aus dem Ausland fluchen - doch viele Schweizer profitieren auch von der Entscheidung.
  • Die deutschen Geschäfte im Grenzgebiet rüsten sich für einen Zuwachs an Schweizer Kunden.

Analyse von Benjamin Romberg

Diesmal ist man vorbereitet. "Wir haben viele Erfahrungen gesammelt", sagt Peter Herrmann, Manager des Einkaufszentrum Lago in Konstanz. Das Parkhaus ist größer, die Läden haben mehr Vorräte gebunkert und sogar die Kassensysteme sind umgestellt, um die Rückerstattung der Mehrwertsteuer zu erleichtern. Die Schweizer können kommen.

Am Donnerstag schockierte die Schweizerische Nationalbank Anleger, Unternehmen und Politiker, als sie völlig überraschend den Mindestkurs für den Schweizer Franken aufhob. Die Grenze von 1,20 Franken je Euro ist Geschichte, was sich prompt auf den Kurs auswirkte: Bis zu 30 Prozent legte der Franken zwischenzeitlich an Wert zu.

Der Schock war groß. Was für eine Katastrophe, so die erste Einschätzung vielerorten. Für die Anleger an den Börsen. Für deutsche Skiurlauber, die so gerne die Pisten im Nachbarland nutzen. Und nicht zuletzt für die Schweizer selbst, deren Wirtschaft erheblicher Schaden durch verteuerte Exporte droht.

"Einkaufserlebnis Deutschland"

Doch viele Schweizer sehen auch die andere Seite, die positive: Die Notenbank hat quasi einen gigantischen Winterschlussverkauf ausgerufen - auf der anderen Seite der Grenze, in Konstanz etwa. "20 Prozent auf alles", titelte die Neue Zürcher Zeitung. Herrmann rechnet für das kommende Wochenende mit zehn Prozent mehr Besuchern im Einkaufszentrum als üblich. Das zeigten die Erfahrungen aus der Vergangenheit, aus der Zeit, als der Franken schon einmal teurer wurde. Bevor die Zentralbank sich einmischte.

Damals sei man überrannt worden, erinnert sich Herrmann im Gespräch mit der SZ, das soll nicht wieder passieren. Und auch auf Schweizer Seite bereitet man sich vor: In Basel etwa fährt die Tramlinie 8 am Samstag doppelt so häufig wie sonst. Ihr Ziel: Weil am Rhein, Deutschland.

Mehr Schweizer werden das "Einkaufserlebnis Deutschland" entdecken, erwartet Andreas Steffes, Chefökonom beim Schweizer Handelsverband. Und der Trend werde noch durch die Preisentwicklung innerhalb der Schweiz verstärkt, sagte er der SZ. Viele wiesen zwar zu Recht darauf hin, dass sich nicht nur die Exporte für Schweizer Unternehmen verteuerten, sondern zugleich auch Importe billiger würden. Doch das schlägt nicht unmittelbar auf die Preise durch. "Lieferverträge sind langfristig und die Lager sind noch gefüllt", sagt Steffes. Es könne drei bis sechs Monate dauern, bis die Preise auch in der Schweiz sinken.

In dieser Zeit wird der Frust der Konsumenten steigen, vermutet er - und das treibt sie zum Shoppen über die Grenze. Vor allem für größere Anschaffungen wie Möbel oder Elektrogeräte. Nach Konstanz kommen die Schweizer vor allem, um Drogerieartikel und Klamotten zu kaufen, berichtet Einkaufszentrum-Manager Herrmann.

Kalte Pizza und neue Reiseziele

Nicht nur der Personenverkehr dürfte an den Grenzen zunehmen, auch wird es im Zollamt wohl noch häufiger nach Prosciutto e Funghi riechen. Schon vor dem rasanten Anstieg des Frankens haben sich viele Schweizer Pizza über die Grenze liefern lassen, weil sie auf der anderen Seite günstiger ist. Die Schweizer Zollbehörde sah sich gar genötigt, über eine Ausnahmeregelung für italienische Speisen nachzudenken - doch letztlich entschied man sich gegen eine "Pizza-Sonderlösung". Sonst könne ja bald jede Branche eine Ausnahme verlangen, so die Begründung. Es bleibt also dabei: Die Pizza ist zwar billiger, aber dafür häufig auch kalt, wenn sie ankommt.

Die Entscheidung der Notenbank dürfte auch die Urlaubsplanung der Schweizer beeinflussen. Auslandsaufenthalte in Euro-Ländern sind plötzlich deutlich günstiger. "Es ist noch zu früh, um Schlüsse zu ziehen", sagt Walter Kunz vom Schweizer Reise-Verband im Gespräch mit der SZ, "aber es ist klar, dass die Attraktivität der Euro-Länder gestiegen ist". In den Sommerferien gingen ohnehin bereits 90 Prozent der Reisen in den Euro-Raum - nun könnten aber auch Menschen, die sonst lieber daheim bleiben, über einen Auslandsaufenthalt nachdenken. Als der Franken das letzte Mal teurer wurde, war vor allem Deutschland ein beliebtes Reiseziel.

Bereits unmittelbar nach der Verlautbarung durch die Notenbank gingen an einigen Schweizer Bankomaten bereits die Euro-Scheine aus. Viele sicherten sich offenbar schon mal das nötige Kleingeld für Shopping oder Urlaub jenseits der Grenze. Einen Fehler machten allerdings diejenigen, die noch am Donnerstag ihre Kreditkarten nutzten, um etwa Waren online zu bestellen. Während der Wechselkurs an Bankomaten im 30-Minuten-Takt aktualisiert wird, gibt es für Kreditkarten einen Tageskurs. Der war festgelegt worden, bevor die Notenbank alles durcheinanderbrachte.

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