Preise im Sinkflug:Darum ist Öl so billig

Shell ignored internal advice on outdated Pipeline in Nigerial De

In den Händen zerronnen: Der Ölpreis fällt so schnell wie nie zuvor.

(Foto: George Esiri/dpa)
  • Der stetig sinkende Rohölpreis ist eine Reaktion auf das Grundprinzip der Marktwirtschaft: Da außerhalb des Opec-Kartells immer mehr Öl gefördert wird, steigt das Angebot, während gleichzeitig die Nachfrage sinkt.
  • Die aktuellen Förderrekorde und die schwächelnde Nachfrage sind verzögerte Folgen der Preisentwicklung seit der Jahrtausendwende, die nur kurz von der Rezession zwischen 2008 und 2011 unterbrochen wurde.
  • Für die Ölproduzenten ist der Preisverfall eine schmerzhafte Erinnerung daran, dass ihr Geschäft von langen, trägen Preiszyklen geprägt ist.
  • Fraglich ist, ob die Opec den Preisverfall aufhalten kann, da sie ihre Mitglieder nicht zur Einhaltung vereinbarter Fördermengen zwingen kann.

Von Jan Willmroth

Was für ein Einbruch. Wenige Monate haben gereicht, um den Weltmarkt für Rohöl komplett durcheinanderzuwirbeln. Den wichtigsten Rohstoffmarkt überhaupt, auf dem Produzenten, Händler und Konsumenten täglich miteinander ausmachen, wie viel ein Fass Öl kosten soll. Am 19. Juni 2014 waren das noch etwa 115 US-Dollar für die Nordseesorte Brent, die für den Ölmarkt wie eine Leitwährung funktioniert. Es sollte der Tag werden, an dem der mehr als zehn Jahre dauernde Trend immer weiter steigender Preise sein Ende nahm. Der Tag, auf den ein Preissturz um zeitweise mehr als 60 Prozent folgte.

Warum fällt der Ölpreis?

Auf den ersten Blick gibt es eindeutige Gründe dafür, warum ein Barrel Rohöl (circa 159 Liter) nicht dauerhaft mehr als 100 Dollar kosten konnte. Sie haben mit dem Grundprinzip der Marktwirtschaft zu tun, dem Ausgleich von Angebot und Nachfrage. Je höher der Preis steigt, desto mehr lohnt es sich für Förderländer und -unternehmen, in neue Quellen zu investieren. Eindrucksvoll zu beobachten war das in den vergangenen Jahren in den USA. Dort hat der Fracking-Boom zu einer enormen Steigerung der Ölproduktion geführt. Heute produziert das Land so viel Öl wie zuletzt 1973. Dadurch werden große Mengen für andere Abnehmer an den Weltmärkten frei.

Zugleich haben andere wichtige Ölstaaten außerhalb des Opec-Kartells immer mehr gefördert. Russland zum Beispiel: Dort hat die Ölförderung zuletzt ein Rekordniveau seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion erreicht. Nie zuvor ist die Förderung in Nicht-Opec-Staaten so stark gestiegen wie im vergangenen Jahr. Die Folge war ein deutliches Überangebot, das auf eine nunmehr schwächelnde Nachfrage trifft - die Wachstumsraten in den asiatischen Schwellenländern, vor allem in China, blieben hinter den Erwartungen zurück. Der Preisrutsch war unumgänglich.

Preise im Sinkflug: Quelle: Bloomberg

Quelle: Bloomberg

Diese Verschiebung ist ein wichtiger Teil der Erklärung, aber eben nur ein Teil. Denn sie erklärt nicht, warum der Preis derart schnell und stark gefallen ist. Der Förderboom in den USA war seit mindestens drei Jahren für jeden absehbar, der die monatlichen Förderstatistiken verfolgt hat; ebenso war seit Jahren ein schwächeres Wachstum im Ölverbrauch zu beobachten. Allein, das war nicht die Geschichte, die man sich am Markt erzählt hat. Man könnte also sagen: Im vergangenen Jahr haben die Marktteilnehmer etwas Offensichtliches eingesehen - und das führte zu einer Überreaktion am Markt. Deshalb ging es so rasant.

Was ist das Besondere an den Ölpreisschwankungen?

Für die Ölproduzenten ist der Preisverfall eine schmerzhafte Erinnerung daran, dass ihr Geschäft von langen, trägen Preiszyklen geprägt ist. Es dauert seine Zeit, bis sich steigende oder fallende Preise sichtbar auf Angebot und Nachfrage auswirken. Ökonomen nennen diese Schwankungen auf Rohstoffmärkten "Supercycles" (engl. "Superzyklen"). Sind die Preise niedrig, investieren Öl-Unternehmen weniger, in der Folge wächst die Produktion immer langsamer, das Angebot wird knapper. Niedrige Preise senken für Nachfrager den Anreiz, effizienter mit dem Rohstoff umzugehen, der Verbrauch steigt wieder schneller.

Umgekehrt sind die aktuellen Förderrekorde und die schwächelnde Nachfrage verzögerte Folgen der Preisentwicklung seit der Jahrtausendwende, die nur kurz von der Rezession zwischen 2008 und 2011 unterbrochen wurde. Investitionsentscheidungen, die Unternehmen jetzt treffen, beeinflussen bereits, wie viel Öl es in zehn Jahren geben wird. Hinzu kommt: Sobald sich diese tiefen zyklischen Veränderungen erst einmal vollziehen, lassen sie sich ähnlich wie ein Öltanker nicht kurzfristig umkehren. Noch im September, als der Preisverfall schon in vollem Gange war, genehmigte die zuständige Behörde in den USA fast 2000 neue Bohrlöcher, mehr als doppelt so viele wie im Vorjahresmonat.

Laut der US-Energiebehörde dürfte die Ölproduktion erst im kommenden Mai einen vorläufigen Höhepunkt erreichen und - falls die Preise niedrig bleiben - danach sinken, weil die Förderrate in bestehenden Feldern schnell sinkt und ständig neue gebohrt werden müssen, um die Pipelines weiter zu füllen. Die niedrigen Preise zwingen nun zunächst jene Produzenten mit den höchsten Förderkosten aus dem Markt. Es werden Monate vergehen, bis man das an den Statistiken ablesen kann.

Könnte die Opec den Preisrutsch aufhalten?

In den vergangenen Monaten ist viel geschrieben worden über die schwindende Marktmacht der Opec. Dabei könnte sie doch, weil sie noch immer etwa 40 Prozent der weltweiten Ölproduktion kontrolliert, einfach ihre Förderquoten kürzen und so den Preis nach oben treiben. Warum tut sie es dann nicht? Und welchen Zweck erfüllt die Opec dann noch?

Die Organisation erdölexportierender Länder, wie das im Jahr 1960 gegründete Preiskartell auf Deutsch heißt, hat es bisher selten geschafft, effektiv die Preise zu kontrollieren. Denn ihr fehlt ein entscheidender Mechanismus, um die Definition eines Kartells voll zu erfüllen: eine Möglichkeit, seine Mitglieder zur Einhaltung von vereinbarten Mengen zu zwingen. Immer wieder gab es Opec-Länder, die zwar Förderkürzungen zugestimmt, dann aber doch mehr als vereinbart gefördert haben.

Ein weiterer Unsicherheitsfaktor für die Opec ist die Konjunkturentwicklung, die sie ebenso wenig vorhersagen kann wie andere auch. Und: Auf alles, was außerhalb der Opec passiert, hatte die Organisation nie großen Einfluss. Als Antwort auf die Preisschocks in den 1970er Jahren waren das die Ölförderung in der Nordsee und in Alaska; nach der Jahrtausendwende erst der Aufstieg Russland zum größten Ölproduzenten der Welt und später der Schieferöl-Boom in den USA. Es kommen aktuell also zwei Dinge zusammen: die mangelnde Einigkeit der Kartell-Mitglieder, und angesichts des Überangebots die Gefahr, dass Förderkürzungen nur zu sinkenden Marktanteilen führen würden. Trotzdem ist die Opec weit davon entfernt, machtlos zu sein - weil ein Großteil der günstig zu fördernden Reserven auf sie entfällt und laut Szenarien der Internationalen Energie-Agentur (IEA) viel der in Zukunft benötigten zusätzlichen Fördermengen von den Opec-Mitgliedern im Nahen Osten kommen muss. Spätestens dann, wenn die Fracking-Ära in den USA in einigen Jahrzehnten wieder zu Ende geht.

Wie entwickelt sich die Ölnachfrage?

Kurzfristig lässt sich das ziemlich genau berechnen. Im Schnitt lag die weltweite Ölnachfrage laut der Internationalen Energie-Agentur im vergangenen Jahr bei 92,4 Millionen Barrel am Tag. Zuletzt haben die Experten ihre Prognose für das Nachfragewachstum in 2015 gekürzt - zwar dürfte der Ölverbrauch stärker anziehen als im Vorjahr, aber eben nicht so deutlich, wie noch vor einigen Monaten erwartet. Das ist erstens eine verspätete Reaktion auf die hohen Preise und zweitens eine Folge der in vielen wichtigen Absatzländern erhöhten Konsumsteuern und gekürzten Subventionen - Faktoren, auf die Ölförderer keinen Einfluss haben. Drittens sind einige Währungen im Vergleich zum US-Dollar stark gefallen, weshalb die Preise für Endkunden, die Erdölprodukte kaufen, nicht so deutlich sinken wie der in Dollar berechnete Rohölpreis.

Zur langfristigen Entwicklung lassen sich keine genauen Zahlen vorhersagen. Fest steht aber, dass die Ölverbrauch noch einige Zeit zunimmt, solange die Weltwirtschaft wächst. Eine steigende Wirtschaftsleistung bei sinkendem Energieverbrauch funktioniert nämlich bislang nur in der Theorie. Die IEA geht davon aus, dass der Ölverbrauch bis 2040 weiter steigt und bis dahin allerdings vor allem in Nordamerika, Europa und Japan schon lange gesunken sein wird. Zwar ist Öl noch der wichtigste Energieträger im weltweiten Mix, aber es verliert zunehmend an Bedeutung. Dass die Preise mittelfristig wieder steigen, kann das aber auch nicht verhindern.

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