Pegida:Entladung des Gefühlsstaus

Pegida-Pressekonferenz

Die erste Pressekonferenz der Pegida-Organisatoren: Gründer Lutz Bachmann und Sprecherin Kathin Oertel in Dresden

(Foto: Getty Images)

Bankenpleiten, Euro-Rettung, Digitalisierung, Zuwanderung - komplexe Mega-Themen überfordern viele Menschen. Sie finden sich bei Pegida wieder. Noch geht es der Organisation nicht um Fakten, sondern um den "riesengroßen Frust".

Ein Kommentar von Detlef Esslinger

Es hat derzeit wenig Sinn, mit Kathrin Oertel über Asylpolitik zu diskutieren. Nicht weil die Frau, eine der drei Hauptorganisatoren von Pegida, ja doch nicht zu überzeugen ist oder gar rechtsextrem wäre. Das ist nicht der Punkt. Sondern: Eine solche Debatte käme um einiges zu früh, wie die Sendung von Günther Jauch am Sonntagabend in der ARD gezeigt hat.

Zwischen Politikern, Wissenschaftlern und Journalisten sowie den Demonstranten in Dresden herrscht eine Gesprächsstörung. Viele aus der erstgenannten Gruppe würden nur zu gern mit denen von Pegida über Migranten und Islam sprechen, um all den Parolen ein paar Fakten entgegenzuhalten. Das würde aber voraussetzen, dass es den Gesprächspartnern letztlich um Fakten geht. Doch Frau Oertel sprach nur ganz allgemein von dem "riesengroßen Frust", den es in der Bevölkerung gebe. "Wir wollen auf die Defizite aufmerksam machen, die durch die Regierung zustande gekommen sind", sagte sie.

In jeder Silbe wurde deutlich, auf welcher Basis sie agierte: auf der von pauschalen Eindrücken sowie von Gefühlen, die sie womöglich noch nicht einmal selber genau lokalisiert hat. Inhaltlich war sie nicht nur nicht satisfaktionsfähig. Sie wollte dies auch gar nicht sein. Wie aber soll man mit jemandem streiten, der Demos gegen kaum vorhandene Muslime in Dresden mittels Verweis auf Demos für den Regenwald erklärt - mit der Begründung, den gebe es in Deutschland ja auch nicht. Was soll man ihr antworten, wenn sie endlich eine Debatte über Zuwanderung fordert? Das ist so, als verlangte sie, dass endlich die Frauenkirche in Dresden wieder aufgebaut wird.

Günther Jauchs Sendung hat eine Gesprächsstörung offengelegt

Eine alte Redewendung besagt, dass viele Menschen zwar das wenigste verstünden, aber das meiste fühlten. So könnte es auch bei Pegida sein: dass Menschen sich generell überfordert fühlen - von Bankenpleiten, Euro-Rettung, demografischem Wandel, Zuwanderung, TTIP, Digitalisierung, Ukraine, Klimawandel, und was da sonst noch für Mega-Themen im Umlauf sind; dass sie irgendwann aus den Debatten ausgestiegen sind (wenn sie denn je eingestiegen waren), weil ihnen all diese Themen sowie die Art der Debatte über den Kopf gewachsen sind. Und nun sehen sie nur noch die Bringschuld von Politikern und Journalisten, nicht aber die eigene Holschuld. Auch wenn die nicht minder zum Wesen der Demokratie gehört.

Die Überforderung führt zwangsläufig exakt zu jenem Gefühlsstau, der sich gerade in Pegida entlädt. Bevor sodann ein ernsthaftes Gespräch über - zum Beispiel - Zuwanderung möglich ist, braucht es zunächst das, was Psychologen "Meta-Kommunikation" nennen: Gespräche übers Gespräch. Genau so etwas hat Jauch ermöglicht. Er nahm Oertel eben nicht in die Mangel, wie viele Twitter- und andere Kommentatoren es im Nachhinein von ihm verlangten. Sondern er ließ sie sich entfalten, in all ihrer argumentativen Harmlosigkeit und emotionalen Relevanz. Das muss eine Demokratie aushalten. Es tut ihr sogar gut.

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