Dresden:Wie es Andersfarbigen ergeht

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Migranten und Deutsche demonstrieren in der Innenstadt von Dresden, um auf den gewaltsamen Tod von Khaled B. aus Eritrea aufmerksam zu machen. (Foto: dpa)

Seit Khaled B. erstochen aufgefunden wurde, trauen sich seine Mitbewohner nicht mehr allein aus dem Haus. Asylbewerber leben gefährlich in Dresden, beklagt Sachsens Flüchtlingsrat. Es ist ein Klima der Angst, in dem Verständnis für Pegida wichtiger sei als die Sorgen der Flüchtlinge.

Von Jan Heidtmann

Gäbe es in Deutschland einen Titel für die Hauptstadt politischer Symbolik, Dresden müsste ihn tragen. Er wiegt zur Zeit so schwer, da ist es fast verwunderlich, dass die Stadt noch nicht unter ihm zusammengebrochen ist. Fremdenfeindlichkeit, Islamismus, Rechtsextremismus - jedes Ereignis, das damit in Zusammenhang stehen könnte, erfährt sofort eine vielfache Deutung. Medienvertreter aus Deutschland und der ganzen Welt wirken als vielstimmige Lautverstärker. In der Stadt wird zurzeit jeder Stein umgedreht. Und unter jedem Stein scheint eine andere Wahrheit versteckt zu sein.

So geschieht es auch im Fall des Khaled B., des Flüchtlings aus Eritrea, der am vergangenen Dienstag tot aufgefunden worden ist. Die Symbolik hier erstreckt sich von Schildern "Je suis Khaled", die auf einem Gedenkmarsch für den Toten am Samstag zu lesen waren, bis hin zu der Warnung des Chefs der Opferberatung Dresden: "Niemand will ein neues Sebnitz." Robert Kusche erinnert damit an den Tod des jungen Joseph Abdulla in einem Schwimmbad, der im Jahr 2000 zu Unrecht Rechtsextremen zugeschrieben worden war.

Es ist wie in einer langen Beziehung: Immer lässt sich etwas finden, was gegen den anderen spricht. Im Fall von Sachsen kommen zu Sebnitz die Schlampereien in den Ermittlungen zum NSU hinzu oder die Hetzjagd auf Inder in Mügeln, die zu lange nicht als Tat von Neonazis gesehen wurde.

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Ausgerechnet Dresden. In einer Plattenbausiedlung stirbt hier der Flüchtling Khaled B. durch Messerstiche - wenige Kilometer entfernt demonstriert Pegida allmontaglich gegen Überfremdung. Die Stadt muss sich Fragen gefallen lassen.

Von Ulrike Nimz

Die Spurensicherung war nach der Tat an Ort und Stelle

Und nun, zwei Tage nachdem Khaled B. aufgefunden wurde, hat der grüne Bundestagsabgeordnete Volker Beck Strafanzeige wegen Strafvereitlung gestellt. Anlass war die Vermutung, dass die Dresdner Polizei erst 30 Stunden nach seinem Auffinden Spuren gesichert habe. Die Annahme stellte sich als falsch heraus. Der Bund Deutscher Kriminalbeamter wiederum will Beck nun wegen falscher Verdächtigung anzeigen. In der aufgeheizten Situation in Dresden wirkte Becks Anzeige wie ein Brandbeschleuniger.

Genauso wie die verunglückte Aussage des Polizeisprechers, die Ermittler hätten erst einmal keine Hinweise darauf entdeckt, dass Khaled B.s Tod von Fremden verschuldet sei. Tatsächlich aber wurde bereits kurz nach dem Leichenfund in alle Richtungen ermittelt; inzwischen hat eine Sonderkommission die Arbeit übernommen. Mit Ergebnissen rechnet die Staatsanwaltschaft aufgrund der komplizierten Ermittlungen erst in zwei, drei Wochen.

Die Leidtragenden sind ohnehin die Flüchtlinge. Sie müssen in Dresden in einer vollkommen vergifteten Atmosphäre leben, eingeschüchtert und verängstigt. Die Türen der Wohngemeinschaft von Khaled B. in der Plattenbausiedlung im Stadtteil Leubnitz-Neuostra waren schon vor seinem Tod mit Hakenkreuzen beschmiert worden. Die Arbeiterwohlfahrt berichtet auch, dass dagegengetreten worden sei. Seitdem Khaled B. tot aufgefunden worden ist, trauen sich seine sieben Mitbewohner, ebenfalls Flüchtlinge aus Eritrea, nicht mehr allein aus dem Haus. Als sie am Freitag gemeinsam zur Moschee gegangen seien, hätten Passanten Affenlaute von sich gegeben.

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"Eine unglaubliche Schlamperei": Ein Nebenkläger-Anwalt des NSU-Prozesses kritisiert die Polizeiarbeit im Fall des getöteten Asylbewerbers Khaled B. Er sieht Parallelen zu den nachlässigen Ermittlungen im Zusammenhang mit den NSU-Morden.

Khaled B. hatte den Krieg in Libyen überlebt

Alle diese Männer - und das trägt zur Tragik ihrer Lage bei - haben Lebensgefahren auf sich genommen, um Deutschland zu erreichen. Khaled B. hat vom Südsudan aus die größte Trockenwüste der Erde, die Sahara, durchquert. Er schlug sich durch das umkämpfte Libyen hindurch. Er überlebte die Überfahrt nach Italien; sein älterer Bruder war zuvor bei der Schiffspassage ertrunken. Doch im vermeintlich sicheren Deutschland angekommen, musste er sich wieder fürchten. So wie jetzt seine Mitbewohner. Sie wünschen sich nur noch eines: aus Dresden wegzukommen, der aufgeheizten Atmosphäre in der Stadt zu entkommen. Die Flucht geht weiter.

Ali Moradi sagt, er habe großes Vertrauen in den Polizeipräsidenten der Stadt, in Dieter Kroll. "Er wird die Ermittlungen in die richtigen Bahnen lenken." Ganz anders ergeht es Moradi, C, mit der Landesregierung. Seit jeher herrsche eine ausgeprägt fremdenfeindliche Stimmung in Sachsen. Dabei seien gerade einmal 8000 Flüchtlinge da, davon 1000 in Dresden, bei gut vier Millionen Einwohnern im Bundesland. Seit Jahren würden vor allem Flüchtlinge aus Nordafrika hierher geschickt und bewusst keine Menschen aus Schwarzafrika. "Die werden doch zur Zielscheibe."

Schon der jüngste Wahlerfolg der AfD habe die Stimmung weiter verschärft, sagt Moradi. "Aber seit Pegida ist die Situation unerträglich." So seien landesweit Sondereinheiten gegen straffällige Asylbewerber gegründet worden. "Aber keiner hat mal gefragt, wie es den Andersfarbigen hier ergeht", sagt Moradi. "Alle wollen Pegida verstehen." Bei einigen Mitbürgern mit dunklerer Hautfarbe gehe die Angst so weit, dass sie ihre Kinder nicht mehr zur Schule schicken - montags, wenn demonstriert werde.

© SZ vom 20.01.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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